HALL/TIROL. Digitale Technologien entwickeln sich ständig weiter und verändern langfristig und nachhaltig die Gesellschaft ebenso wie die Wirtschaft – willkommen in der digitalen Transformation! Dieser Prozess verändert nicht nur unseren Alltag, sondern auch die produzierende Industrie und deren Arbeitswelt. Doch wie können diese Chancen für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs genutzt werden? Wie können alle am besten davon profitieren? Und vor allem: Warum ist es so essenziell, dass möglichst viele Akteure dabei zusammenarbeiten? Diese und viele andere Fragen standen im Mittelpunkt des Kick-offs für den bereits achten „Summit Industrie 4.0“ der Plattform Industrie 4.0 Österreich, heuer in Kooperation mit Standortagentur Tirol und Wirtschafts-Standort Vorarlberg (WISTO) und mit dem Vereinigten Königreich als Partnerland. Dieses alljährliche „Industrie 4.0-Community-Treffen“ zog zahlreiche Interessierte aus dem In- und Ausland ins Salzlager nach Hall in Tirol.
Österreich ist ein Industrieland – das lässt sich allein daran ablesen, welche Wertschöpfung die produzierende Industrie hierzulande generiert: 2022 gab es in diesem Sektor mehr als 31.000 Unternehmen mit über 720.000 Mitarbeiter, die Umsätze in Höhe von fast 280 Mrd. € erlösten. In der jährlich durchgeführten Studie Made in Austria: Produktionsarbeit in Österreich 2024 schätzen Entscheidungsträger aus Produktionsunternehmen die aktuelle Lage allerdings herausfordernd ein, sowohl in puncto Geschäftslage und Wettbewerbsfähigkeit als auch hinsichtlich Personalstände; optimistischer ist die Einschätzung, wenn es um den Einsatz neuer Technologien und die eigene Innovationskraft geht.
Tirol investiert in die Zukunft
„Tirol investiert gezielt in Digitalisierung und intelligente Vernetzung, um Unternehmen im globalen Wettbewerb zu stärken. Unser Ziel ist es, die heimische Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts langfristig zu sichern. Industrie 4.0 ist dabei der zentrale Innovationstreiber unserer Zeit. Sie ist nicht nur ein Thema für große Betriebe, auch kleine und mittelständische Unternehmen profitieren enorm von digitaler Transformation“, erklärt der Tiroler Wirtschaftslandesrat Mario Gerber.
„Tirol spielt im Bereich der Digitalisierung im Spitzenfeld mit. Mit dem datahub.tirol, abgewickelt von der Standortagentur Tirol, haben wir eine Plattform geschaffen, die Unternehmen den Zugang zu relevanten Daten ermöglicht“, führt Gerber fort. Der datahub.tirol gilt als erster EU-konformer regionaler Data Space Europas. Er stärkt den Standort und die branchenübergreifende Zusammenarbeit, indem Zugang und Austausch von Daten erleichtert werden – Datensouveränität und leichte Austauschbarkeit (Interoperabilität) bleiben dabei gewährleistet. Ein daraus hervorgegangenes Projekt ist beispielsweise INNERGY, das die Wärmeversorgung in Tirol durch innovative Technologien und Konzepte auf 100% erneuerbare Energien umstellen will.
Industrie 4.0 in Vorarlberg
Für den Wirtschaftsstandort Vorarlberg ist es entscheidend, nicht nur mit technologischen Entwicklungen wie KI oder Human Centricity Schritt zu halten, sondern aktiv Wissen zu generieren und Innovationen voranzutreiben. „Für die Umsetzung solcher Innovationsprojekte braucht es kompetente Forschungsdienstleister und innovative Unternehmen. Beispiele hierfür sind Leuchtturmprojekte wie die Digital Factory Vorarlberg und das Startup BöhlerBrothers, die beide auf dem diesjährigen Summit vertreten sind“, erläutert Jimmy Heinzl, Geschäftsführer der Wirtschafts-Standort Vorarlberg (WISTO).
Die Digital Factory Vorarlberg, ein überbetriebliches Forschungszentrum in Dornbirn, widmet sich Themen wie cloudbasierten Fertigungssystemen, Data Science, KI, Funktechnologien wie 5G und Cyber-Security. Sie unterstützt Unternehmen mit einem breiten Angebot an Dienstleistungen bei der Einführung und Optimierung digitaler Prozesse. Das Startup BöhlerBrothers trägt mit „Athena KI Flex“ zur digitalen Transformation von Unternehmen bei, indem es interne Abläufe optimiert und pro Mitarbeiter:in jährlich bis zu 100 Stunden einspart. Die KI-Lösung lässt sich flexibel trainieren und in bestehende Prozesse integrieren und wurde durch den Innovation Call Vorarlberg gefördert.
„Neben diesen Vorzeigeprojekten setzen sich auch Leitbetriebe wie Doppelmayr oder Blum intensiv mit Industrie 4.0-Themen auseinander. Lokale Projekte sind wichtig, doch für eine erfolgreiche Transformation spielen überregionale Netzwerke und Kooperationen eine entscheidende Rolle“, unterstreicht Heinzl die Bedeutung kollaborativer Ansätze.
Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer schaffen
„Künstliche Intelligenz kann zur Stärkung unserer Innovationskraft und Produktivität viel beitragen. Um die Chancen durch KI für den Wirtschaftsstandort bestmöglich zu nutzen, müssen Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig einbinden. Geschieht diese Integration bei der Einführung von KI oder anderen datenbasierten Anwendungen nicht, führt das zu Vorbehalten bei den Beschäftigten. Darum ist es von zentraler Bedeutung, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Mittelpunkt des Transformationsprozesses gestellt werden. Zudem verändert die digitale Transformation nicht nur die Produktion in den Bereichen Geschwindigkeit, Flexibilität, Qualität und Effizienz, sondern verlangt auch neue Qualifikationen. Gut ausgebildete Fachkräfte sind daher auch der Schlüssel für die erfolgreiche Nutzung von KI. Nur mit einem klaren Fokus auf Aus- und Weiterbildung werden wir den Wandel bewältigen. Unternehmen und politische Verantwortungsträger müssen sich dieser Herausforderung stellen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen“, sagt Elfriede Schober, stv. Bundesvorsitzende der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE).
Gemeinsam die Herausforderungen meistern
Michael Wiesmüller, Abteilungsleiter „Digitale- und Schlüsseltechnologien für industrielle Innovation“ im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) unterstreicht: „Um im globalen Wirtschaftsgefüge weiterhin tonangebend zu sein, wird Europas Sachgüterproduktion in den nächsten Jahren eine Reihe von Herausforderungen zu meistern haben: Neben den geopolitischen motivierten Handelseinschränkungen, einer drohenden Rohstoffverknappung und damit verbundenen Lieferkettenproblemen sind dies die Transformation zu einer erneuerbaren Energieversorgung und zu nachhaltigen und kreislauffähigen Produktionsweisen. Der Industriestandort Österreich besitzt mit seiner diversifizierten Industriestruktur zwar eine solide Basis, um auf globalen Märkten wettbewerbsfähig zu sein und sich an verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Dennoch braucht es für diese vielfältigen und mehrdimensionalen Herausforderungen Strukturen für vorwettbewerblichen Austausch und Orte, wo alle Akteure des Ökosystems – Unternehmen jeglicher Größe, Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Verbände und Interessenvertretungen – zusammenkommen können. Genau diesen Bedarf deckt die Plattform Industrie 4.0 mit ihren Veranstaltungen und Aktivitäten hervorragend ab.“
Resiliente und wettbewerbsfähige Produktion
Die Industrie steht angesichts der wirtschaftlich herausfordernden Situation, dem anhaltenden Fachkräftemangel, hoher Energiepreise sowie dem zunehmenden globalen Wettbewerb bei der Entwicklung der neuesten Technologien unter Druck.
„Der Einsatz von Automatisierung und digitalen Lösungen ermöglicht Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen in der Industrie und trägt damit wesentlich dazu bei, die Produktion in einem Hochsteuerland wie Österreich zu halten und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie nachhaltig abzusichern und zu stärken“, so Rainer Haag, Geschäftsführender Gesellschafter der ematric gmbh.
Alles müsse darangesetzt werden, die Technologieentwicklung und Anwendung von Automatisierung und digitalen Schlüsseltechnologien wie KI- und Datenlösungen am Standort voranzutreiben. Dafür seien innovative Ökosysteme und das kollaborative Zusammenwirken von Wirtschaft und Wissenschaft von essenzieller Bedeutung. Zudem sei es entscheidend, die Datenverfügbarkeit zu erhöhen, die Kommerzialisierung von Schlüsseltechnologien zu incentivieren, den Risikokapitalmarkt zu stärken, moderne Infrastrukturen auszubauen sowie ausreichend Talente und Fachkräfte in Österreich sicherzustellen. „Wir können es uns nicht leisten, auf die enormen Hebel von digitalen Lösungen und Schlüsseltechnologien für eine innovative, resiliente und wettbewerbsfähige Produktion zu verzichten“, führt Haag weiter aus.
Zusammenarbeit stärken
„Die Digitalisierung ist ein entscheidender Hebel zur Stärkung der heimischen Wettbewerbsfähigkeit. Immer stärker stehen ganze Wertschöpfungsketten in Konkurrenz zueinander und erfordern eine noch intensivere Verzahnung zwischen beteiligten Unternehmen, zunehmend getrieben durch einen sicheren und souveränen Datenaustausch. Zulieferer entwickeln sich zu strategischen Partnern, dadurch entstehen neue, digitale Geschäftsmodelle, die wiederum entscheidend für eine wirtschaftlich erfolgreiche Kreislaufwirtschaft sind“, hebt Thomas Welser, seit Juli 2024 Vorstandsvorsitzender der Plattform Industrie 4.0 Österreich, hervor und betont: „Gerade heute ist es daher wichtiger denn je, diesen Weg kooperativ zu gestalten und alle relevanten Akteurinnen und Akteure synergiestärkend zu vereinen, denn nur so kann der Weg in die Zukunft erfolgreich sein“ – die Plattform Industrie 4.0 ist das lebendige Beispiel dafür. Sie bringt die verschiedensten Experten und Stakeholder zusammen, entwickelt gemeinsame Zukunftsbilder, arbeitet an gemeinschaftlichen Projekten und ermöglicht den offenen Erfahrungsaustausch.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg sei Human Centricity – der Fokus auf den Menschen und dessen Innovationskraft – als zukunftsweisendes Leitmotiv. „Der langfristige Erfolg unseres Standorts hängt davon ab, dass wir Technologie, Nachhaltigkeit und den Menschen gleichwertig in den Mittelpunkt stellen und in Einklang miteinander bringen“, so Welser weiter. „Unser Beitrag ist, diesen tiefgreifenden Transformationsprozess auf konkrete Schritte und gemeinsame Ansätze herunterzubrechen.“
Was beim 8. Summit Industrie 4.0 auf dem Programm steht
Bereits zum achten Mal geht der Summit Industrie 4.0 heuer in Hall in Tirol über die Bühne und ist über die vergangenen Jahre zum jährlichen Fixpunkt für die Industrie 4.0-Community avanciert – geht es doch dabei darum, neue Inputs rund um das Thema Digitalisierung und Industrie zu erhalten und sich mit rund 300 Gleichgesinnten zu vernetzen. 2024 steht erneut ein abwechslungsreiches Programm auf der Agenda: Prof. Birgit Vogel-Heuser (Technische Universität München) hält am Vormittag eine Keynote zu Digitaler Zwilling und Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt, am Nachmittag referiert Andreas Windisch (Joanneum Research) über KI als Chance für Österreich. Was man vom diesjährigen Partnerland Vereinigtes Königreich in puncto Digitalisierung lernen kann, erfahren die Gäste ebenso. Doch auch der österreichische Nachwuchs muss sich hier nicht verstecken, das zeigt das Schülerprojekt einer Innsbrucker HTL und die Preisverleihung für die beste Doktorarbeit. Natürlich stehen außerdem Vorträge und Praxisbeispiele der österreichischen Industrie 4.0-Landschaft auf dem Programm.
„Mit einem robusten und dynamischen Markt bietet das Vereinigte Königreich zahlreiche Chancen für österreichische Unternehmen. Die strategische Lage, das innovative Geschäftsumfeld und die Unterstützung durch die Regierung machen das Vereinigte Königreich zu einem idealen Investitionsziel“, so, der britische Trade Commissioner für Europa, Chris Barton. „Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Österreich sind ebenso weitreichend wie stabil und bieten zahlreiche Vorteile für beide Länder. Wir freuen uns darauf, diese erfolgreichen Geschäftsbeziehungen weiter auszubauen und die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern zu vertiefen“, ergänzt die Botschafterin des Vereinigten Königreichs in Österreich, Lindsay Skoll.
„Der Summit Industrie 4.0 bietet einmal mehr einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Facetten der Produktion der Zukunft – nicht nur aus österreichischer, sondern auch aus internationaler Perspektive. Er freut mich, dass so viele Interessierte den Weg nach Hall in Tirol gefunden haben, um sich hier zu den neuesten Branchenentwicklungen zu informieren und auszutauschen“, so Welser abschließend.