EU-Kommission: Weiter große Rechtsstaats-Mängel in Polen und Ungarn
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EU-Kommission will politische Werbung im Netz strenger regulieren © APA/AFP/Emmanuel Dunand EU-Justizkommissarin Vera Jourova.
MARKETING & MEDIA Redaktion 15.07.2022

EU-Kommission: Weiter große Rechtsstaats-Mängel in Polen und Ungarn

Zugeständnisse Warschaus reichen EU-Behörde nicht aus - EU-Kommission kritisiert Regierungsinserate und empfiehlt unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft für Österreich.

LUXEMBURG/WARSCHAU/BRÜSSEL. Trotz jahrelangen Drucks auf Polen und Ungarn attestiert die EU-Kommission beiden Ländern weiter gravierende Defizite bei Demokratie und Grundrechten. Die Kommission prangert in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Rechtsstaatlichkeits-Bericht erneut eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz in Polen an und rügt "hochrangige Korruptionsfälle" in Ungarn. Wegen ausbleibender Fortschritte steht aber auch die EU-Kommission selbst in der Kritik.

Die für Werte zuständige EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova betonte, der dritte Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit in den 27 Mitgliedstaaten stehe in einem "außerordentlichen geopolitischen Kontext". Während der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine auch gegen Demokratie und Menschenrechte zu Felde ziehe, könne die EU "nur dann glaubwürdig sein, wenn in unserem eigenen Haus Ordnung herrscht".

Vor allem in Polen und Ungarn sieht die Kommission die EU-Vorgaben nicht erfüllt: In Polen bemängelt die Kommission seit Jahren die Einflussnahme der nationalkonservativen Regierungspartei PiS auf die Justiz. Zugeständnisse machte Warschau erst, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im November eine tägliche Millionenstrafe verhängt hatte, die sich nach Brüsseler Angaben inzwischen auf 300 Millionen Euro summiert.

Am Freitag tritt in Polen ein Gesetz zur Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer in Kraft, die missliebige Richter entlassen oder betrafen kann. Dies reicht der EU-Kommission zufolge jedoch nicht aus, um die Gewaltenteilung zu garantieren. Ungarn wird zudem des Missbrauchs von EU-Geldern verdächtigt. Die EU-Kommission hatte deshalb im Februar kurz nach der Wiederwahl von Regierungschef Viktor Orban ein Sanktionsverfahren eingeleitet, das zur Kürzung von EU-Subventionen führen kann.

Wegen der mangelnden Fortschritte steht die Kommission als Hüterin der europäischen Verträge aber auch selbst in der Kritik: "Bei der PiS-Regierung in Polen und Viktor Orban in Ungarn lässt die EU-Kommission eine deutliche Sprache vermissen", kritisierte die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katharina Barley (SPD). EU-Justizkommissar Didier Reynders wies den Vorwurf zurück: Seine Behörde werde "weiter alle zur Verfügung stehenden Instrumente" gegen die beiden Länder nutzen, betonte er. Vizekommissionspräsidentin Jourova sagte, vor allem bei der Vergabe der milliardenschweren EU-Haushaltsmittel sei die Behörde "wachsam".

Als härtestes Druckmittel nutzt die EU den Corona-Wiederaufbaufonds. Solange Polen die Kommissionsforderungen nicht erfüllt, muss das Land auf Mittel im Umfang von 35,4 Milliarden Euro verzichten. Ungarn hat bisher keine Aussicht auf die erhofften 7,2 Milliarden Euro.

Österreich empfahl die EU-Kommission, die Errichtung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft nach "europäischen Standards" fortzusetzen. Außerdem solle die Justiz in die Bestellung von hochrangigen Gerichtspräsidenten einbezogen werden, heißt es in dem am Mittwoch vorgelegten Bericht der EU-Kommission zur Rechtsstaatlichkeit. Der Report äußert wie im Vorjahr wieder Sorgen über hohe staatliche Werbeausgaben und den damit verbundenen politischen Einfluss. Kritik äußert die EU-Kommission auch zu den Arbeitsbedingungen für Medien. "Während die Standards der journalistischen Profession gut sind, waren Journalisten Drohungen und Schikanen ausgesetzt, insbesondere während Protesten", heißt es in dem Bericht.

Zu den weiteren Empfehlungen gehört der Abschluss der rechtlichen Überarbeitung der Regeln für die Parteienfinanzierung. Weiters sollte Österreich wirksame Regeln zur Erklärung finanzieller Interessen für Abgeordnete des Parlaments einführen, verbunden mit einem effizienten Monitoring und Sanktionsmechanismen. Grundsätzlich bescheinigte die EU-Kommission Österreich, dass sich die Effizienz des heimischen Justizsystems weiter verbessert habe, vor allem für Verwaltungsfälle, "und das Niveau der wahrgenommenen Justiz-Unabhängigkeit ist weiterhin sehr hoch". Eine Reihe wichtiger Reformbemühungen sei im Gange.

Von Deutschland verlangte die EU-Kommission, stärker gegen die Einflussnahme von Lobbyisten auf die Politik vorzugehen. Die deutsche Bundesregierung müsse etwa die Vorschriften gegen den sogenannten Drehtür-Effekt verschärfen, heißt es in dem Bericht. Damit ist der Wechsel früherer Politiker oder Staatsbediensteter in die Wirtschaft gemeint.

"Wir müssen mehr tun, um Journalisten vor Druck und Drohungen zu schützen", betonte Vizekommissionspräsidentin Jourova zudem. Das zeigten die Enthüllungen über die Pegasus-Software, mit der Journalisten, Aktivisten oder Politiker ausgespäht worden seien - und das nicht nur in Ungarn und Polen, sondern auch in Ländern wie Spanien oder Frankreich. Am 13. September will die Kommission deshalb ein "Medienfreiheits-Gesetz" vorschlagen.

"Ungarn ist zu einer Fassadendemokratie verkommen, in der die Prinzipien des Rechtsstaats schon lange ignoriert werden und freie und faire Wahlen nicht mehr möglich sind. Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Medienfreiheit sowie eine unabhängige Justiz sind schlichtweg nicht mehr vorhanden", kritisierte die SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath. Die grüne Delegationsleiterin Monika Vana forderte mehr Durchsetzungsmöglichkeiten der EU. "Die Regierungen in Polen und Ungarn höhlen den Rechtsstaat systematisch aus, und es ist daher nicht zu erwarten, dass sie nun auf reine Empfehlungen reagieren werden." (APA/AFP)

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