„Ich bin eine ­Quotenvertreterin”
© ORF/Roman Zach-Kiesling
MARKETING & MEDIA Redaktion 05.03.2021

„Ich bin eine ­Quotenvertreterin”

Interview zum Weltfrauentag: ORF-Programmdirektorin ­Kathrin Zechner über die „Unsichtbarkeit” von Frauen.

••• Von Nadja Riahi

Im Zeichen der Frauen: Der internationale Frauentag – auch Frauenkampftag oder Weltfrauentag genannt – wird seit mehr als 100 Jahren am 8. März begangen. Da es kommenden Montag wieder so weit ist, sprach medianet mit ORF-Programmdirektorin ­Kathrin Zechner über männliches Selbstverständnis, Veränderungen, Aufholbedarf und die Frauenquote.


medianet:
Frau Zechner, was hat sich in den letzten Jahren in der Medienbranche in puncto Gleichstellung getan?
Kathrin Zechner: In den Medien ist es – wie in Teilen der Kunst – doch etwas progressiver abgelaufen.

Ich erkenne in der Medienbranche eine Affinität zum 50/50-Modell, und der Umgang unter den Geschlechtern ist ­respektvoll. In den vergangenen Jahren beziehungsweise ­Jahrzehnten ist einiges gelungen, dennoch kann ich mich allen anschließen, die der Meinung sind, dass in diesem Bereich noch mehr Luft nach oben ist.
Wir müssen auf den Fall stärker ins Handeln kommen.


medianet:
Wie jedes Jahr macht der ORF eine Kampagne zum Frauentag am 8. März. Unter welchem Motto steht die Kampagne dieses Jahr?
Zechner: Die heurige Kampagne steht unter dem Titel ‚Sichtbar machen'. Wir haben in unserem Team festgestellt, dass die Männerwelt darauf achtet, dass Frauen unsichtbar sind und bleiben.

Das ist eine ganz eigene Form der Diskriminierung und geht zurück bis zu den Formulierungen in der Bibel. Es gibt in praktisch allen Gebieten Frauen, die Sensationelles leisten und nicht genügend wahrgenommen werden.
Wir stellen für unsere Kampagne – in Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte Österreichs (HGÖ), dem Journalistinnenkongress und anderen Institutionen – auf extra.ORF.at Frauen aus verschiedenen Bereichen vor. Ich würde die Kampagne als einen Startschuss bezeichnen. Das heißt, dass wir mit 100 Frauenporträts beginnen und dazu einladen, diese Darstellung zu ergänzen.
Auf diese Weise entsteht ein Gesellschaftspuzzle, das es zu erweitern gilt. Wir laden besonders dazu ein, dass Frauen, die in dem von der Krise gezeichneten Jahr Enormes geleistet haben, visuell und textlich sichtbar gemacht werden. Das kann eine Lehrerin, Krankenpflegerin oder Nachbarin sein.
Dadurch soll ein unendliches Bild der Schaffenskraft der Frauen entstehen.


medianet: Frauen haben in den letzten Monaten viel ge-leistet. Würden Sie sagen, dass die ­Krise einen Backlash ausgelöst hat?
Zechner: Ich würde sagen, dass Frauen nicht nur in ihren spezifischen Berufen, sondern auch in ihrer Fähigkeit und über ihre Pflichten hinaus viel geleistet und neuen Input geliefert haben.

Vor allem im Bereich der Caring Economy, der – wenn überhaupt – schlecht bezahlt ist. Es gibt immer noch ein gewisses Selbstverständnis, das, simpel formuliert, besagt: Männer sind oben und Frauen sind unten – ein Bild, das mich immer wieder aufrüttelt. Frauen leisten unglaublich viel für das Fundament der Gesellschaft.
Das wird einerseits als selbstverständlich angesehen und andererseits weder immateriell noch materiell wertgeschätzt. Dazu dient unsere Kampagne ebenfalls, um sichtbar zu machen, was die unendliche Leistung der Frauen für das Fundament der Gesellschaft ist.
Ich glaube, das ist der Perspektivenwechsel, den wir am dringendsten brauchen – damit es innerhalb der Gesellschaft zu einer größeren Wertschätzung kommt.


medianet:
Ich habe manchmal das Gefühl, dass es Männern leicht fällt, sich in Bezug auf Veränderung zurückzunehmen. Frei nach dem Motto: ‚So wie es ist, funktioniert es gut, daran muss ich als Mann nichts ändern' …
Zechner: Das ist meiner Meinung nach ein gelerntes Selbstverständnis, das Männer an den Tag legen. Wenn man hier mit dem Symbol Yin und Yang eine Analogie ziehen will, dann fehlt uns noch die klare Haltung, dass es sowohl Yin als auch Yang geben muss, damit etwas Ganzes entsteht. Dieses Bild des Kreises könnte man auch als die Erdkugel sehen und begreifen, dass die Welt im Zusammenspiel dieser beiden Hälften besser funktioniert. Das ist wissenschaftlich belegt. Um ein Beispiel aus meinem Arbeitsalltag zu nennen: Ich beobachte, dass gemischte Teams konsequenter, kreativer und produktiver sind und auch das Einverständnis untereinander sehr stark ist.

Das ergibt sich besonders aus der Verschiedenartigkeit der Beteiligten und geht über die reine Trennung zwischen Mann und Frau hinaus.


medianet:
Welche anderen Faktoren spielen hier noch eine Rolle?
Zechner: Es ist sinnvoll, sowohl die ältere als auch die jüngere Generation miteinzubeziehen. Die Älteren haben vor allem die Erfahrung, die Jüngeren eine Unbefangenheit und Energie.

Dieses Zusammenspiel gelingt jedoch nur durch das Sichtbarmachen und das Ziel, einander wertzuschätzen und nicht in den Verdrängungsmodus zu switchen. Die Männerwelt hat jedoch auf der anderen Seite Angst, ihr Revier zu verlieren und sieht nicht, dass das Revier insgesamt reichhaltiger wird, wenn man es gemeinsam bearbeitet.


medianet:
Am 21. Februar hat der Equal Pay Day stattgefunden. Die Berechnung hat ergeben, dass Frauen jedes siebte Jahr gratis arbeiten. Inwiefern spielt der Gender Pay Gap eine Rolle, wenn wir von der Unsichtbarkeit der Frauen sprechen?
Zechner: Der spielt eine ganz große Rolle. Gleiche oder ähnliche Arbeit muss auch gleich oder ähnlich bezahlt werden. Das ist ein gelerntes System, das es nach wie vor aufzubrechen gilt.

Ich kann jetzt nur für die Programmdirektion sprechen, aber da ist ein dickes Brett zu bohren. Wir haben schon einiges erreicht, wenn es um die Anzahl der Frauen geht, die in eine verantwortungsvolle Position kommen. Wenn es 50% Frauen in einem Aufsichtsrat, Vorstand oder Führungsteam gibt, dann sind die Handlungsfähigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten größer.
Andererseits müssen Frauen auch an ihrem eigenen Selbstverständnis arbeiten, damit sie sich diese leitenden Positionen auch zutrauen. Das ist ein altes Thema, aber nicht minder aktuell, wenn ich mir unseren Output anschaue.


medianet:
Wie ist die Lage in der ORF-Programmdirektion?
Zechner: In der ORF-Programm-direktion haben wir aufgrund des Gleichstellungsplans des ORF eine Frauenquote von 58%.

Wenn wir uns die Leitungsfunktionen anschauen, dann liegt die Frauenquote nur, aber auch immerhin, bei 39%. Das hat auch schon einmal anders ausgesehen. Wir haben in den letzten acht Jahren bei den Hauptabteilungsleiterinnen auch 50% erreicht. Ich habe acht Hauptabteilungen zu vertreten und zu leiten und da sind wir jeweils vier Frauen und vier Männer in leitenden Positionen. Das funktioniert großartig. Wenn wir uns die Chefredaktionen im TV-Bereich anschauen, dann sind wir mittlerweile auch bei zwei Frauen und zwei Männern. Da ist schon viel weitergegangen. Im Pay Gap sind wir Frauen allerdings immer noch 13% hintennach.


medianet:
Sie haben im Laufe Ihrer Karriere mit vielen unterschiedlichen Frauen zusammengearbeitet. Welche Ähnlichkeiten und Differenzen haben Sie bemerkt, wenn es um das Thema Gleichstellung ging?
Zechner: Es gibt meiner persönlichen Erfahrung nach zum Glück sehr viele gestaltungswillige und -fähige Frauen, die mit mehr Kraft als mit Verbitterung agieren. Die Verbitterung oder die Enttäuschung ist aber auch verständlich.

Es ist die Aufgabe der jüngeren Generation, die Frauen, die mit einer gewissen Verbitterung auf das Thema Gleichstellung blicken, zu motivieren und Verständnis zu zeigen, anstatt die Augen zu verdrehen. Denn die ältere Generation hat schon vieles geleistet und zeigt sich klarerweise ab und zu resigniert über den langsamen Fortschritt.


medianet:
Durch die Aktion #ReframingQuotenfrau vom Frauennetzwerk Medien ist das Thema ‚Frauenquote' in der Medienbranche wieder aufgenommen worden. Wieso brauchen wir Ihrer Meinung nach eine verpflichtende Frauenquote?
Zechner: Erstens klar und eindeutig: Wir brauchen die Quote, um in einem über Jahrtausende gelernten Selbstverständnis die Veränderung zu bewirken. Und das geht nur über die Quote. Ich hab das auch schon oft gesagt: Ich war als junger Mensch der Meinung: ‚Es ist demütigend, eine Quote zu brauchen, weil ich stark genug und wissend genug bin und das selbst machen kann.' Bis ich herausgefunden habe, dass der Revierverteidigungsreflex so stark ist, dass, wenn wir in diesem Prozess nicht noch einmal 3.000 Jahre brauchen wollen, die Quote ein adäquates Mittel ist. Ich bin eine Quotenvertreterin, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass das Revier gemeinsam beackert besser für die Gesellschaft ist. Die Quote ist vor allem dort notwendig, wo die Entscheidungen fallen.

medianet:
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, am 8. März etwas für das nächste Jahr zu verändern, was wäre das?
Zechner: Ich würde die Quote einführen und parallel dazu jeder einzelnen Frau das Selbstwertgefühl mitgeben, das ihr zusteht.

medianet:
Das fehlende Selbstwertgefühl ist bei vielen Frauen ein ganz großes Thema. Wie können wir Frauen unser Selbstwertgefühl stärken?
Zechner: Ich lade Sie ein, einmal Folgendes auszuprobieren: Setzten Sie sich in Ruhe hin und vervollständigen Sie den Satz: ‚Ich kann XY'. Und dabei ist es vollkommen egal, was. Dann kommen Sie drauf, was Sie alles können.

Der zweite Teil des Satzes lautet: ‚… und ich kann nicht XY und das ist vollkommen egal, denn meine Kollegin, Nachbarin, Schwester, etc. kann das.'
Auf diese Weise wächst Ihr Selbstwertgefühl und Sie kommen weg von diesem schulischen Denken à la ‚Das kannst du nicht und das musst du lernen', anstatt zu sehen, was Sie alles können.

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