WIEN. Die tägliche Erscheinungsweise der Wiener Zeitung soll eingestellt werden, so hat es die Bundesregierung beschlossen. Fritz Hausjell, Medienhistoriker und stellvertretender Institutsvorstand des Publizistikinstituts der Universität Wien, übt jetzt scharfe Kritik in einem offenen Brief an Medienministerin Susanne Raab.
Hinter verschlossenen Türen
So habe ihr Kabinett viele Monate hinter verschlossenen Türen zu mehreren medienpolitischen Materien den Rat von Fachleuten gesucht und die Positionen der Medienakteure sondiert, und dazu stellt er gleich zu Beginn seines Briefes die Frage: „Warum wurden die Protokolle dieser Erkundungen nicht öffentlich zugänglich gemacht? Wie soll auf der Basis verordneter Verschwiegenheit eine demokratische Debatte darüber geführt werden, ob die Regierung nun die besten Lösungen tatsächlich gesucht und sich dafür entschieden hat?”
Im Fall der von der Regierung favorisierten De-Facto-Einstellung der gedruckten Tageszeitung Wiener Zeitung werde der Eindruck vermittelt, sie sei „alternativlos”, so Hausjell.
Tatsächlich gäbe es mehrere Modelle, wie die Wiener Zeitung für ihr Publikum weitergeführt werden könne. Diese seien zum Teil öffentlich besprochen wie auch in Sondierungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erörtert, aber vom Kabinett nie bewertet worden.
Auch genauere Details wolle das Team um Ministerin Raab nie wissen, ist im Schreiben zu lesen.
„Ich war wie andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter von Medien-NGOs sowie Institutionen ohne kommerzielle Interessen in diese Sondierungen eingebunden. Nicht nur bei mir hatte sich alsbald der Eindruck eingestellt, dass Ihr Ministerium an Lösungsvorschlägen für die weitere Existenz der Wiener Zeitung nicht interessiert war. Der Plan Ihres Vorgängers, aus der journalistischen Qualitätsmarke Wiener Zeitung ein digitales ‚Schwarzes Brett' der Republik und viele Corporate Publishing-Produkte für die Regierung zu schaffen, scheint offensichtlich in parteipolitisches Gestein gemeißelt zu sein”, zeigt sich Hausjell betroffen.
Zunehmend mehr Medien gerieten bezüglich Finanzierung von Journalismus unter Druck und könnten dies nicht mehr ausreichend leisten.
So sei es laut Hausjell „ohne jeglichen Weitblick”, den Bürgerinnen und Bürgern, die gerade einmal unter 14 Tageszeitungen wählen könnten, eine hochqualitative davon wegzunehmen. „Das ist Vielfaltsverringerung. Gleichzeitig bieten die bisher von Ihnen vorgestellten Maßnahmen nichts zur Vielfaltsmehrung, etwa durch Start-up-Förderungen im Medienbereich”, schreibt er.
Zudem kritisiert er das Argument der geringen Leserinnen- und Leserzahl als Grund für die Einstellung. Dabei stellt Hausjell die Frage, woher die ins Treffen geführte Zahl stammt und fragt zudem, warum dies in einer ausdifferenzierten Gesellschaft ein Kriterium sein solle. Er setzt nach: „Außerdem dachte ich, Sie wollen primär Qualität im Journalismus fördern, nicht Quantität (wovon wir am heimischen Tageszeitungsmarkt dank üppiger Regierungsinserate noch sehr viel haben).”
Statt die Wiener Zeitung weiter täglich gedruckt zu ermöglichen, wolle die Regierung fünf Mio. € für Journalistenausbildung und Medienkompetenzbildung unter dem Firmenhut Wiener Zeitung ausgeben. Dass Journalistenausbildung in einem dem Bundeskanzleramt weisungsgebunden Unternehmen demokratiepolitisch ein Unding sei, betont der Medienwissenschaftler am Ende seines Briefes – und er hat auch noch einen Tipp parat: „Widmen Sie diese Millionen lieber der Tageszeitung Wiener Zeitung; damit kann diese vorerst ihre tägliche Ausgabe weiterführen, und überlassen Sie die finale Entscheidung einer nachfolgenden Regierung.” (red)