WIEN. Dass kritische Meinungen zu verschiedenen Covid-19-Maßnahmen, wie Schutzmasken, Tests und Impfungen geäußert werden, ist in einer Demokratie zulässig, wichtig und Bestandteil einer funktionierenden Meinungspluralität. Werden Meinungen aber als wissenschaftliche Fakten dargestellt und auf einer reichweitenstarken Plattform öffentlich wiedergegeben, kann daraus Desinformation werden.
In dem „Offenen Brief“ des ACU-A vom 8. Jänner 2021 wurde mit verschiedenen Aussagen eine breite wissenschaftliche Fundierung suggeriert, die nicht gegeben ist. Vielmehr wurden angeführte Befunde einseitig ausgewählt, was zu einer verzerrten Darstellung der Sachlage führt. Auch werden im offenen Brief keine Quellen angeführt, anhand derer die Leser die Aussagen prüfen könnten. Eine Sichtung der Quellen auf der Website des ACU-A, die offenbar als Belege für die Aussagen zur Nutzlosigkeit oder Gesundheitsgefährdung von Masken dienen sollen, ergab: Die Mehrzahl der Quellen steht in keinem Bezug zu Covid-19 oder ist veraltet; Limitationen der wenigen wissenschaftlichen Studien zu Covid-19 bleiben unberücksichtigt oder befürwortende Aussagen zu Schutzmaßnahmen werden ausgeblendet.
Außerdem werden Erkenntnisse, die das Gegenteil der im offenen Brief vorgebrachten Aussagen belegen, ausgeblendet. Die Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) äußerte sich in einer eigenen Presseaussendung zum offenen Brief wie folgt: „Die Aussagen des Vereins ACU-A widersprechen ganz klar in wesentlichen Punkten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie gründen auf einem unwissenschaftlichen Ausblenden der Wirklichkeit hinsichtlich der Pandemiefolgen und einer beliebigen Auswahl von Theorien unter Auslassung relevanter wissenschaftlicher Erkenntnisse“ (ÖGAM, 11. Jänner 2021).
Kritikwürdig ist aus Sicht des PR-Ethik-Rats außerdem, dass im offenen Brief suggeriert wird, die Mehrheit der Wissenschaftler warne vor drohenden, teils schwerwiegenden Nebenwirkungen einer Covid-Impfung. Vielmehr weisen die Stellungnahmen bedeutender Ärztevereinigungen wie der ÖGAM oder der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) darauf hin, dass die vorwiegend befürwortende Haltung von Ärztinnen und Ärzten gegenüber der Covid-Impfung durch die Aussage im offenen Brief konterkariert wird. Zum offenen Brief des ACU-A äußerte sich der Präsident der ÖÄK, Thomas Szekeres, im Standard wie folgt: „Die Österreichische Ärztekammer hat sich mehrfach klar für eine Maskenpflicht zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie, für PCR-Tests als wichtiges Diagnoseinstrument bei Verdachtsfällen und für die Impfung gegen Covid-19 ausgesprochen“ (Der Standard, 8. Jänner 2021).
Da es sich bei dem offenen Brief um ein Instrument der Public Relations handelt, kommen für die Bewertung die Ethik-Kodizes der PR-Branche zum Tragen. Auf Basis der Analyse des Sachverhalts stellt der österreichische PR-Ethik-Rat fest, dass der ACU-A gegen die Grundsätze des international anerkannten Code of Lisbon verstößt, der betont: „Jeder Versuch, die Öffentlichkeit oder ihre Repräsentanten zu täuschen, ist nicht zulässig.“ Auch der Ehrenkodex des Public Relations Verbands Austria (PRVA) enthält ähnliche Bestimmungen.
Der PR-Ethik-Rat spricht sich explizit für Meinungsfreiheit aus. Meinungen sollten jedoch auch als Meinungen vorgebracht werden. Werden Meinungen als Fakten dargestellt, die selektiv ausgewählt und tendenziös verzerrt vorgebracht werden, kann daraus rasch Desinformation werden. Gerade in Zeiten erhöhter Unsicherheit kann Desinformation schwerwiegende Folgen für die Bevölkerung haben. Auch Medien tragen eine Mitverantwortung für die auf ihren Verbreitungsplattformen veröffentlichten werblichen Inhalte. Daher rät der PR-Ethik-Rat Werbeschaltungen auf Desinformation zu überprüfen, insbesondere wenn daraus Risiken für die Medienrezipientinnen und -rezipienten entstehen könnten.
Über den PR-Ethik-Rat
Der Österreichische Ethik-Rat für Public Relations steht für die freiwillige Selbstkontrolle der heimischen PR-Fachleute. Er überwacht die Einhaltung ethischer Grundsätze in der Öffentlichkeitsarbeit, untersucht Streitfälle, zeigt Fehlverhalten und Missstände auf. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt darin, Positionen, Prinzipien und Definitionen ethisch korrekten Verhaltens in der PR auszuarbeiten und zu publizieren. Besonders gilt dies für jene Bereiche, in denen ethische Standards (noch) fehlen oder unklar definiert sind. Der PR-Ethik-Rat wird aufgrund von Beschwerden tätig und greift auch selbst Fälle auf. Dem Rat gehören zwölf Mitglieder aus allen Bereichen der Gesellschaft an. (red)