Reporter ohne Grenzen zeigen auf: Journalismus unter Druck
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Rubina Möhring.
MARKETING & MEDIA Redaktion 22.04.2020

Reporter ohne Grenzen zeigen auf: Journalismus unter Druck

Die Rangliste der Pressefreiheit 2020 von Reporter ohne Grenzen macht deutlich, in welchen Ländern es für Journalisten immer riskanter wird, unabhängig zu berichten.

WIEN. Immer dreister auftretende autoritäre Regime, Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit im Kampf gegen Fake News, populistische Stimmungsmache, Gewaltbereitschaft gegen Medienschaffende und die Erosion traditioneller Medien-Geschäftsmodelle stellen die Pressefreiheit weltweit unter Druck. Die Rangliste der Pressefreiheit 2020 von Reporter ohne Grenzen (RSF) macht deutlich, in welchen Ländern es aufgrund dieser Instrumente und Entwicklungen für Journalisten immer riskanter wird, unabhängig zu berichten. Viele der Entwicklungen, die in der Rangliste abgebildet sind, führen in der aktuellen Corona-Pandemie dazu, dass unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit repressive Regierungen ihre Medienkontrolle weiter ausbauen.

„Die Coronakrise - wie wir sie auch hinsichtlich Pressefreiheit bezeichnen können - wirkt wie ein Brandbeschleuniger für autoritäre Tendenzen und repressive Krisenherde,“ sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich. „Zahlreiche Länder, die Scores in der Rangliste verloren haben, gehen zur Zeit besonders aggressiv gegen die demokratische Grundordnung vor, “ so Möhring. Ein naheliegendes Beispiel sei Ungarn, das heuer von Platz 87 auf 89 abrutschte. Grund dafür waren weitere Maßnahmen Viktor Orbáns, die Medien unter seine Kontrolle zu bringen. Mit der (Selbst)Entmachtung des ungarischen Parlaments ist es nun unter Androhung einer bis zu fünf-jährigen Haftstrafe untersagt, Falschmeldungen über das Virus zu verbreiten.

In Polen (62, -3) setzt die Regierung unabhängige Medien durch Verleumdungsklagen, Werbeboykotte und Strafermittlungen zunehmend unter Druck. „Die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit zeigt auf, welche Länder und Regierungen bereits vor der Krise bedrohende Regulierungen für die Pressefreiheit forcierten“, so Möhring. Es seien ebendiese Länder, „die uns aufzeigen, wo die Eingriffe in die Rechte der Presse- und Informationsfreiheit hinführen können und auf welche Entwicklungen wir deshalb auch in Österreich ein besonderes Augenmerk legen sollten,“ sagt Rubina Möhring.

Österreich rutscht um weitere zwei Plätze ab
Nach der eindeutigen Verschlechterung der Lage für Medienschaffende in Österreich, die sich 2019 im Verlust von gleich fünf Plätzen im Pressefreiheitsranking niederschlug, hat sich die Situation auch im zurückliegenden Jahr nicht entspannt. Österreich rutscht im Ranking von Reporter ohne Grenzen um weitere zwei Plätze ab und landet mit einem Score von 15,78 Punkten (zuvor 15,33) auf Platz 18 (zuvor 16) hinter Luxemburg.

„In den letzten Monaten der schwarz-blauen Regierung vor dem Ibiza-Skandal wurden rote Linien in Bezug auf die demokratische Pressefreiheit in Österreich überschritten,“ so Rubina Möhring. Die dezidierte Bevorzugung gewisser Medien und -sektoren durch die Regierung, vermehrte Interventionen in Redaktionen, gerichtliches Vorgehen gegen kritische Berichterstattung, die Versuche des ehemaligen Innenministers, das Handy einer Journalistin zu beschlagnahmen: „Im vergangenen Jahr konnten wir gut erkennen, welches Verständnis von Pressefreiheit konservative und rechtsradikale Parteien vertreten“, so Rubina Möhring. Nicht zuletzt hätten vermehrte verbale Attacken und ein Klima der Intellektuellenfeindlichkeit zum Verlust der wertvollen Plätze im Ranking geführt. „Wir müssen den autoritären Trends, die weltweit zur Bedrohung für Presse- und Informationsfreiheit geworden sind, entgegenwirken. Kritische Berichterstattung muss im öffentlichen Diskurs stattfinden können,“ so Möhring. „Auch in der Coronakrise setzen wir uns dafür ein.“ 

Deutschland hat sich in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit um zwei Plätze vom 13. auf den elften Rang verbessert. Die Zahl der tätlichen Angriffe gegen Journalisten ist deutlich gesunken. Daneben gab es viele erschreckende Beispiele für verbale Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Journalisten. Bedenklich für die Pressefreiheit waren in Deutschland 2019 auch Gesetzesinitiativen, die vorsahen, die Nutzung populärer Verschlüsselungs- und Anonymisierungsdienste zu kriminalisieren sowie deutsche Geheimdienste ohne richterliche Anordnung zum Hacken und Ausforschen der Computer, Server und Smartphones von Medienschaffenden zu ermächtigen. Solche Gesetze würden den Informanten- und Quellenschutz weitgehend aushöhlen.

Dreiste Diktaturen, populistische Stimmungsmache, bedrängte Geschäftsmodelle
Immer unverhohlener versuchen Diktaturen, autoritäre und populistische Regime, unabhängige Informationen um jeden Preis zu unterdrücken und ihre antipluralistische Weltsicht durchzusetzen. Zu den wichtigsten Beispielen für diesen Entwicklungstrend gehören China, Saudi-Arabien und Ägypten – die drei Staaten, in denen weltweit die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. China versucht mit großem Aufwand, selbst jenseits seiner Grenzen eine „neue Weltordnung der Medien“ durchzusetzen. Die Auswirkungen der fast totalen chinesischen Nachrichtenkontrolle, die im Zweifelsfall die Wahrung des schönen medialen Scheins über alles andere stellt, hat in der Corona-Krise die ganze Welt zu spüren bekommen.

Singapur und Benin gehören zu den Staaten, die den berechtigten Kampf gegen Desinformation und Online-Kriminalität missbrauchen, um mit repressiven Gesetzen gegen „Fake News“ die Medienfreiheit einzuschränken. In anderen Ländern wie Russland, Indien, den Philippinen und Vietnam setzen Troll-Armeen im Dienste der Regierenden selbst auf Desinformation, um die öffentliche Meinung zu lenken und kritische Journalisten zu diskreditieren.

Die demokratisch gewählten Präsidenten der USA und Brasiliens sind zwei der prominentesten Beispiele für den besorgniserregenden Trend, dass führende Politiker Feindseligkeit bis hin zu offenem Hass gegen Medienschaffende schüren. Die Folge ist zunehmende Gewalt gegen Journalisten, die deshalb in manchen Ländern in ständiger Angst vor Angriffen leben.

Bei ihren Verbalattacken machen sich populistische Kräfte ein verbreitetes Misstrauen gegen die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit von Nachrichtenmedien zunutze, das sich 2019 zum Beispiel bei Protesten im Irak, im Libanon, in Chile, Bolivien und Ecuador in Gewalt gegen Reporter entlud. In anderen Ländern – darunter Spanien,
Italien und Griechenland – schrecken nationalistische und rechtsextremistische Gruppen nicht vor direkten Drohungen gegen Journalisten zurück.

Schwindende Vertriebs- und Anzeigenerlöse nicht zuletzt infolge der Digitalisierung, aber teils auch steigende Produktionskosten zwingen Medienunternehmen in vielen Ländern zur Verkleinerung ihrer Redaktionen, begünstigen die Konzentration von Medienbesitz in wenigen Händen und leisten damit oft Interessenkonflikten Vorschub. Beispiele dafür finden sich in so unterschiedlichen Staaten wie den USA, Argentinien, Tschechien, Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Slowenien. In Ländern wie Taiwan und Tonga befördert Profitdenken eine Polarisierung und Banalisierung der Medien – und trägt damit erst recht zu schwindendem Vertrauen in ihre Arbeit bei.

Situation in 180 Ländern im Vergleich
Die Rangliste der Pressefreiheit 2020 vergleicht die Situation für Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Untersucht wurde das Kalenderjahr 2019; die weltweiten Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie konnten also noch nicht berücksichtigt werden. Grundlagen der Rangliste sind ein Fragebogen zu verschiedenen Aspekten journalistischer Arbeit sowie die von RSF ermittelten Zahlen von Übergriffen, Gewalttaten und Haftstrafen gegen Medienschaffende. Daraus ergeben sich für jedes Land Punktwerte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder die Platzierung in der Rangliste bestimmen.

Über die Entwicklung der Situation in einem Land gibt dementsprechend eher ein Vergleich der Punktwerte verschiedener Jahre Auskunft als die Bewegung auf der Rangliste. Abhängig vom Abschneiden anderer Länder kann ein Land in der Rangliste im Einzelfall auch aufrücken, obwohl sich seine Punktzahl verschlechtert hat und umgekehrt.

Globaler Indikator der Pressefreiheit: 13 Prozent schlechter seit 2013
Aus den Punktwerten aller bewerteten Länder bildet RSF einen globalen Indikator der Pressefreiheit, der eine Bewertung der Entwicklung weltweit sowie einen Vergleich verschiedener Weltregionen erlaubt. 2020 ist er um 0,9 Prozent gesunken, was eine minimale Verbesserung der Lage der Pressefreiheit bedeutet. Für den Zeitraum seit seiner Einführung 2013 zeigt der globale Indikator der Pressefreiheit eine Verschlechterung um 13 Prozent an.

In Asien hat sich die Lage der Pressefreiheit 2020 insgesamt verschlechtert, in den übrigen Weltregionen – auf sehr unterschiedlichem Niveau – leicht und in Afrika deutlich (um 3,1 Prozent) verbessert. Am schlechtesten steht es um die Pressefreiheit im Nahen Osten und Nordafrika, gefolgt von Osteuropa und Zentralasien. Im regionalen Vergleich am besten ist die Situation in den Staaten der EU und des Balkans.

Aufsteiger und Absteiger
Die größten Aufsteiger in der diesjährigen Rangliste der Pressefreiheit sind Malaysia (Rang 101, +22 Plätze) und die Malediven (79, +19). In beiden Ländern hatten demokratische Regierungswechsel deutliche Lockerungen der Restriktionen für Medienschaffende zur Folge, so dass auch der Druck zur Selbstzensur nachgelassen hat. Ähnliche Auswirkungen hatte der Sturz des langjährigen Diktators Omar al-Baschir im Sudan (159, +16).

Am stärksten verschlechtert hat sich die Lage in Haiti (83, -21), wo seit 2018 bei teils gewalttätigen Protesten immer wieder Reporter angegriffen werden und 2019 ein Journalist ermordet wurde. Auch auf den Komoren (75, -19) und in Benin (113, -17) führten politische Spannungen zu einem Anstieg von Zensur, Schikanen und Repressalien.

Spitzenreiter und Schlusslichter
An der Spitze der Rangliste der Pressefreiheit steht zum vierten Mal in Folge Norwegen, den zweiten Rang nimmt unverändert Finnland ein. Dänemark rückt auf den dritten Rang vor (+2) und lässt damit Schweden (4, -1) und die Niederlande (5, -1) hinter sich, wo Journalisten zunehmenden Online-Schikanen ausgesetzt sind.

Am unteren Ende der Rangliste stehen wie in den Vorjahren Diktaturen, die keinerlei unabhängige Berichterstattung zulassen: Nordkorea (180, -1), Turkmenistan (179, +1) und Eritrea (178, +/-0) haben lediglich untereinander die Plätze getauscht.

Asien-Pazifik
China (177, +/-0) steht unverändert auf einem der schlechtesten Plätze der Rangliste der Pressefreiheit. Mehr als 100 Medienschaffende sitzen dort wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Die meisten von ihnen sind Uiguren. Mittlerweile kann in China das bloße Kommentieren oder Teilen einer Nachrichtenmeldung in sozialen Netzwerken oder Chats zu einer Haftstrafe führen. Seit Anfang 2020 wurden mehrere Bürgerjournalisten festgenommen oder sind verschwunden, die unabhängig über die Coronavirus-Krise berichtet haben

Hongkong (80) hat sich um weitere sieben Plätze auf der Rangliste verschlechtert. In der chinesischen Sonderverwaltungszone kam es 2019 bei Protesten wiederholt zu Gewalt gegen Medien, vor allem durch die Polizei und pekingtreue kriminelle Gruppen. Seit der Einführung der Rangliste der Pressefreiheit im Jahr 2002 ist Hongkong um 62 Plätze abgestürzt.

In Australien (26, -5) durchsuchte die Polizei 2019 die Wohnung einer politischen Reporterin und die Zentrale des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ABC. Diese Razzien haben gefährliche Präzedenzfälle geschaffen, die zusammen mit äußerst restriktiven Sicherheitsgesetzen investigativen Journalismus und Quellenschutz bedrohen.

Das Regime in Singapur (158) ist routiniert in der fast absoluten Kontrolle über Nachrichten und Informationen. Nach der Verabschiedung eines Gesetzes gegen “Fake News”, durch das die Regierung Medien und digitale Plattformen zur Korrektur „falscher“ Inhalte zwingen kann, hat sich der Stadtstaat um sieben Plätze auf der Rangliste verschlechtert. Er gehört nun zur Gruppe der repressivsten, auf der Weltkarte der Pressefreiheit schwarz gekennzeichneten Länder.

In Malaysia (101, +22) können jahrelang verfolgte Medienschaffende seit einem überraschenden Regierungswechsel 2019 wieder ohne Angst arbeiten. Das Spektrum der veröffentlichten Meinungen ist breiter geworden und die neue Regierung hat ein umstrittenes Gesetz gegen Falschmeldungen zurückgenommen. Andere problematische Gesetze bleiben jedoch in Kraft und können Journalisten für bis zu 20 Jahre hinter Gitter bringen.

Auf den Malediven hat das Parlament ein drakonisches, oft zur Repression missbrauchtes Verleumdungsgesetz aufgehoben. Polizeigewalt gegen Journalisten ist seltener geworden, aber die Aufklärung von Verbrechen an Medienschaffenden kommt nicht voran.

Nord- und Südamerika
Die USA (45, +3) verbessern sich auf der Rangliste der Pressefreiheit nur dank der Bewegungen anderer Länder etwas; tatsächlich hat sich die Situation dort im vierten Jahr in Folge verschlechtert. Verbale und tätliche Angriffe auf Journalisten bleiben häufig. Immer wieder werden Medienschaffende von Veranstaltungen und Pressekonferenzen ausgeschlossen. Die Regierung von Präsident Donald Trump geht noch massiver als die seines Vorgängers Barack Obama gegen Whistleblower vor – die Spionage-Anklage gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange ist nur ein prominentes Beispiel.

In Brasilien (107, -2) beleidigen und demütigen der seit Januar 2019 regierende Präsident Jair Bolsonaro, seine Vertrauten und seine Anhängerschaft insbesondere in den sozialen Medien systematisch Journalisten und vor allem schaffen ein Klima des Hasses und Misstrauens. Bei Protestbewegungen in Argentinien (64, -7), Chile (51, -5), Ecuador (98, -1) und Bolivien (114, -1) häuften sich 2019 gewaltsame Übergriffe auf Journalisten. Die Gewalt ging dabei sowohl von Demonstrierenden als auch von den Sicherheitskräften aus.

Die mit Abstand wenigsten Einschränkungen für Medienschaffende gibt es auf dem amerikanischen Doppelkontinent nach wie vor in Jamaika (6, +2) und Costa Rica (7, +3).

Europäische Union und Balkan
Auch in Europa waren Reporter 2019 Gewalt durch Polizei und Demonstrierende ausgesetzt, so bei den „Gelbwesten“-Protesten in Frankreich (34, -2) und in Spanien (29, +/-0) bei Protesten für eine Unabhängigkeit Kataloniens. Hinzu kamen in Spanien wie auch in Italien (41, +2) und Griechenland (65, +/-0) rechtsextrem oder rechtspopulistisch motivierte Angriffe.

In Ungarn (89, -2) kontrolliert die Regierung inzwischen über loyale Unternehmer und zwei zentrale Holdings den weitaus größten Teil der Nachrichtenmedien. Auch über ihre Werbeetats und den Rundfunkrat marginalisiert sie unabhängige Stimmen und hat anlässlich der Corona-Krise die Verbreitung falscher oder „irreführender“ Nachrichten unter Strafe gestellt

Hassäußerungen im Internet gegen Medienschaffende sind ein zunehmendes Problem selbst in Ländern auf den vordersten Plätzen der Rangliste wie Norwegen, Finnland, Schweden und den Niederlanden. In Skandinavien kommen die aggressivsten Online-Attacken aus China und Iran, während Medienschaffende in den baltischen Staaten vor allem von russischen Trollen drangsaliert werden.

Mehr als zwei Jahre nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia in Malta (81, -4) kommen die Ermittlungen in dem Fall endlich voran. Kritische Journalisten stehen dort aber noch immer unter immensem juristischen Druck. Auch mehrere Verleumdungsklagen gegen Caruana Galizia wurden bis heute nicht zurückgezogen.

Bulgarien (111, +/-0) bleibt das schlechtestplatzierte EU-Land. Dort erkauft sich die Regierung mit Hilfe von EU-Geldern loyale Berichterstattung. Unabhängige Medien werden durch Justizschikanen drangsaliert, kritische Medienschaffende auch durch Schmutzkampagnen und Gewalt.

Die EU-Beitrittskandidaten Albanien (84, -2) und Montenegro (105, -1) haben sich weiter verschlechtert – kritische Medienschaffende sind dort Justizschikanen ausgesetzt. Gewalt gegen Journalisten bleibt in Serbien (93, -3) und anderen Staaten des Westbalkans meist straflos.

Naher Osten und Nordafrika
Der Nahe Osten mit Nordafrika bleibt die Weltregion mit der insgesamt schlechtesten Lage der Pressefreiheit. In Syrien (174, +/-0) bedeuten anhaltende Kämpfe und Entführungen durch Dschihadistengruppen ständige Lebensgefahr für Journalisten in den noch umkämpften Gebieten. Nur wenige der nach 2011 entstandenen unabhängigen Medien existieren noch. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad duldet in den Gebieten unter seiner Kontrolle keinerlei unabhängige Medien oder noch so dezente Kritik.

In Ägypten (166, -3) folgt eine Verhaftungswelle auf die nächste; selbst Berichte über die Folgen von Inflation und Korruption werden mitunter mit Gefängnis geahndet. Die Medien sind inzwischen praktisch vollständig unter Kontrolle des Regimes, einige gehören über Tarnfirmen den Geheimdiensten. Unabhängige Online-Medien werden zensiert.

Saudi-Arabien (170, +2) hat sich in der Rangliste der Pressefreiheit nur deshalb leicht verbessert, weil es 2018 durch den Mord an dem Exil-Journalisten Jamal Khashoggi noch schlechter abschnitt. Zensur, willkürliche Haft und Folter halten unvermindert an. Der Iran (173, -3) unterdrückt Berichte über Proteste wie auch über Naturkatastrophen und Unglücke, zensiert das Internet massiv und verweigert schwer kranken inhaftierten Medienschaffende angemessene ärztliche Versorgung.

Im Jemen (167, +1) ist nach Jahren des Kriegs unparteiische Berichterstattung kaum noch möglich. Medienschaffende müssen in allen Landesteilen mit willkürlicher Verhaftung und Misshandlung rechnen. Die jüngst verhängten Todesstrafen gegen vier Journalisten zeigen, wie gnadenlos die Huthi-Rebellen gegen oppositionelle Medien vorgehen. Im Irak (162, -6) werden Reporter, die über die im Herbst 2019 begonnene Protestwelle berichten, bedroht, angegriffen, von Milizen entführt oder sogar ermordet. Berichte über politische oder religiöse Persönlichkeiten und neuerdings auch über Corona-Fallzahlen können zu Strafverfolgung oder zur Suspendierung von Medien führen.

In Algerien (146, -5) illustrieren die Justizschikanen gegen den RSF-Korrespondenten Khaled Drareni, wie rigoros das Regime gegen unabhängige Berichte über die seit Februar 2019 andauernden Proteste für politische und wirtschaftliche Reformen vorgeht.

Afrika südlich der Sahara
Präsidenten- oder Regierungswechsel haben in einigen Ländern Afrikas zu teils deutlichen Veränderungen für die Pressefreiheit geführt. Im Sudan (159, +16) bessert sich die Lage der Medienschaffenden seit dem Sturz des drei Jahrzehnte lang herrschenden Baschir-Regimes allmählich. Der Geheimdienst konfisziert keine ganzen Zeitungsauflagen mehr, aber seine Troll-Armee streut weiter Desinformation und spioniert kritische Medienschaffende aus. Viele der wichtigsten Medien werden nach wie vor von Anhängern des alten Regimes kontrolliert.

In Äthiopien (99, +11) hat Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali seit seinem Amtsantritt 2018 alle inhaftierten Journalisten freigelassen und gesperrte Nachrichtenmedien freigegeben. Aber viele drakonische Regelungen wie das Anti-Terror-Gesetz von 2009 bleiben in Kraft und könnten jederzeit wieder angewendet werden. Haft- und hohe Geldstrafen für vage definierte Hassäußerungen und Desinformation wurden sogar neu eingeführt.

In Gambia (87, +5) hat sich die Lage der Pressefreiheit seit der friedlichen Ablösung des langjährigen Diktators Yahya Jammeh 2017 kontinuierlich verbessert. Das staatliche Nachrichtenmonopol wurde aufgebrochen, viele private Radio- und Fernsehsender sind entstanden und einige geflüchtete Medienschaffende aus dem Exil zurückgekehrt. Dennoch werden gelegentlich Medien für zu oppositionsfreundliche Berichterstattung abgestraft.

Ganz anders in Lesotho (86, -8): Dort steigt der Druck auf die Presse, Regierungs- und armeekritische Journalisten werden verklagt, Verbrechen an Medienschaffenden bleiben ungesühnt. Einige Reporter haben das Land verlassen; wer bleibt, übt vermehrt Selbstzensur.

In Tansania (124, -6) hat sich seit dem Amtsantritt von Präsident John Magufuli 2015 die Situation für Journalisten mit jedem Jahr weiter verschlechtert. Drei Internetsender und eine Zeitung wurden allein 2019 gezwungen zu schließen. Der Investigativjournalist Erick Kabendera verbrachte sieben Monate im Gefängnis, ohne dass die Justiz stichhaltige Belege für ihre wechselnden Anschuldigungen präsentierte. Kabendera hatte über Kritik am Präsidenten in dessen Partei berichtet.

Osteuropa und Zentralasien
Russland verfolgt kritische Journalisten mit Hilfe von Extremismus-Vorwürfen und treibt seine Pläne für ein „souveränes“, bei Bedarf vom Rest der Welt abtrennbares Internet voran. Aus Regionen wie Tschetschenien und der annektierten Krim dringen kaum noch unabhängige Nachrichten heraus.

In der Ukraine (96, +6) haben sich die Reformerwartungen an den neuen Präsidenten Wolodimir Selenski allenfalls zum Teil erfüllt. Die Medienlandschaft ist stark polarisiert, der Teufelskreis aus Gewalt gegen Medienschaffende und Straflosigkeit ungebrochen. Hinzu kommen Justizschikanen und Drohungen durch nationalistische Gruppen. 2019 schlugen Unbekannte einen für seine Recherchen über Korruption bekannten Journalisten zusammen und verletzten ihn tödlich.
In der Türkei (154, +3) ist die Zahl inhaftierter Journalisten 2019 nur vorübergehend zurückgegangen und bleibt eine der höchsten der Welt. Die Zensur von Online-Medien hat sich verschärft: Laut der RSF-Partnerorganisation Bianet wurden 2019 in der Türkei mindestens 586 Nachrichtenmeldungen im Internet zensiert.

Aserbaidschan (168, -2) versucht unverändert, kritische Medienschaffende durch Schikanen, Schlägertrupps, Erpressung oder Kooptation auf Linie zu bringen. Unabhängige Medien trocknet das Regime finanziell aus. Wer sich nicht beugt, wird unter absurden Anschuldigungen zu Haftstrafen verurteilt. Auch Usbekistan (156, +4) schikaniert und marginalisiert unabhängige Medien. Trotz Reformen und gelockerter Tabus seit dem Tod des langjährigen Diktators Islam Karimow 2016 bestehen Überwachung, Zensur und Selbstzensur weiter. (red)

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