WIEN. Die gebürtige Salzburgerin hat es vom Bergbauernhof nach Wien verschlagen. Schon in ihrer Kindheit ist sie in einer Welt voller Geschichten aufgewachsen, die sie vor Gefahren in den Bergen beschützen sollten. Von Geschichten lebt sie auch heute noch in ihrem Job. „Gute Geschichten zu erzählen, macht gute Werbung aus“, ist Merlicek überzeugt. Algorithmen können zwar Geschichten erzählen, haben aber nicht die Erfahrung und das Feingefühl, um damit Handlungen bei Menschen auszulösen, zu sensibilisieren und emotionalisieren.
Mutig auf den Tisch hauen
Im Kreativprozess vertieft sich Merlicek nicht intensiv in Briefings, sondern überlegt sich aus einer Distanz heraus die Bedürfnisse der Marke und denkt aus Usersicht. Konkrete Vorstellungen der Auftraggeber müssen manchmal durchbrochen werden, um Kommunikation einfach und verständlich zu machen, damit sie bei den Menschen ankommt. „Kreative müssen selbstbewusst ihre Expertise vermitteln, als Partner agieren und sich nicht zum Erfüllungsgehilfen machen“, blickt Merlicek kritisch auf den Beratungsbereich. Um manchmal couragiert auf den Tisch hauen zu können, kommen ihr die Wurzeln des rebellischen Bergbauerntums zugute.
Es brauche wieder mehr Generalisten, die sich auf alle Medien sowie popkulturelle Hintergründe einlassen und Universalwissen einbringen, um Marken in den richtigen Kontext setzen zu können. Merlicek schätzt Quereinsteiger in ihrem Team – häufig sind es Begegnungen und Zufälle, die über einen Job bei Merlicek & Partner entscheiden. Im Storytelling geht es darum, zwischen Lovebrands und Nerv-Brands abzuwägen, damit Menschen zuhören und mit wichtigen Themen erreicht werden. Das „Ja! Natürlich“-Schweinchen bringt Konsumenten komplexe Themen wie Umweltschutz und Tierwohl sympathisch und subtil näher.
Mangels sozialer Medien gab es in Merliceks Anfangszeiten keine Shit Storms, dadurch auch weniger direktes Feedback der Konsumenten. Die ablehnende Haltung der Menschen kann sie aufgrund der Fülle an schlechter Werbung der letzten Jahre nachvollziehen. Die Flut an Purpose Marketing – „into the face of the customer“ – macht es nahezu unmöglich, zwischen Marken zu differenzieren und Botschaften wahrzunehmen. Die meiste Bewegbildwerbung komme daher wie ein Strategiefilm, von den großen Beraterfilmen dieser Welt für CEOs zusammengeschnitten. „Zu emotionalem Stroyteling kommt es dann gar nicht mehr.“
Arbeit für den Mistkübel
„Mein größter Auftraggeber ist der Mistkübel. Ideen, die einen selbst begeistern, muss man oft über Bord werfen“, verrät sie aus der Praxis. Kreative müssen ein hohes Frustrationslevel entwickeln und abschalten können. „Ideen kommen meist einfach so daher, wenn man entspannt ist und ganz was anderes macht“, verrät Merlicek.
Ihre legendären Puppen sind für Merlicek der Tröster in schwierigen Momenten und helfen spielerisch, die Welt so zu visualisieren, wie sie sein sollte. Die enorme Geschwindigkeit der Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz empfindet sie als überfordernd, weswegen sie den Wunsch nach Work-Life-Balance nachvollziehen kann. Jeder Mensch müsse seinen eigenen Rhythmus finden, um kreative Leistungen erbringen zu können. Die neue Arbeitswelt kommt diesem Bedürfnis entgegen. Spaß und Freude am Job sind der wesentliche Treiber, um sich laufend freiwillig weiterzubilden, den Spieltrieb zu erhalten und sich zu motivieren.
Frischlingen in der Kommunikationsbranche rät sie, sich nicht instrumentalisieren zu lassen und für sich selbst zu arbeiten und zu gewinnen. Sie dürfen sich nicht dem Druck aussetzen, alle zwei Wochen Gold-Ideen zu liefern. Mentoren und Coaches spielen eine große Rolle, um den eigenen Weg zu gestalten und zu reflektieren. Gutes Leadership stellt für sie nach wie vor eine Herausforderung dar – es umfasst jedenfalls die Entwicklung einer Fehlerkultur, Rückendeckung, die Schaffung von Rahmenbedingungen sowie die Förderung des Teams ohne Überforderung.