Registrierkassen: Ärzte wehren sich gegen Betrugsvorwürfe
PRIMENEWS Martin Rümmele 27.03.2015

Registrierkassen: Ärzte wehren sich gegen Betrugsvorwürfe

Korruptionsdebatte Experten schätzen Korruptionsverluste in Bau, Medizintechnik, Pharma und Therapie auf bis zu 3,5 Milliarden EuroKontrollen Ärzte lehnen Identitätskontrollen von Patienten ab

„Mystery Shopping” der Kassen in Arztpraxen wird von Ärzten abgelehnt, denn das stelle Arzt und Patient unter Pauschalverdacht.

Ärztekammer-Präsident Wechselberger lehnt diese Form der Kontrollen ab: Man untergrabe das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Hauptverbandschef McDonald verteidigt den Einsatz von Testpatienten.

Wien. Die jüngste Debatte über Registrierkassenpflicht im Rahmen der Steuerreform rückt auch das Gesundheitswesen wieder in den Blickpunkt. Denn auch in Arztordinationen wird zunehmend bar kassiert. Nicht zuletzt, weil die Zahl der Wahlärzte steigt und dort Patienten die Kosten der Behandlung zuerst auslegen müssen – und dann bei den Krankenkassen um eine Refundierung eines Teilbetrags ansuchen können. In derartigen Fällen gibt es zwar Rechnungen und Transparenz, Kritiker fürchten aber auch Bereiche, die nicht so ganz klar sind. Das treibt die Ärzte auf die Barrikaden. Sie fürchten eine Pauschalverurteilung einer Branche und zudem eine Öffnung des Arztgeheimnisses. Die Krankenkassen wiederum begrüßen den Plan der Regierung, im Zuge der Steuerreform sogenanntes Mystery Shopping auch bei Ärzten zur Missbrauchsbekämpfung einzusetzen.

„Kein Generalverdacht”

Die Wiener Gebietskrankenkasse schickt nach eigenen Angaben bereits seit rund vier Jahren als Patienten getarnte Prüfer in Praxen. Das habe sich bewährt, sagt der Leiter der Gruppe für Betrugsbekämpfung in der Wiener Gebietskrankenkasse, Franz Schenkermayr. Die Abteilung für Betrugsbekämpfung in der WGKK gibt es seit 2009, seit 2011 werden auch Testpatienten zu Ärzten geschickt, um deren Leistungen zu überprüfen. Allerdings sei das bisher nur in „einer Handvoll Fälle” geschehen, sagt Schenkermayr. Es handle sich dabei um „die Methode der letzten Wahl”, zuerst würden andere Methoden der Kontrolle eingesetzt. Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger lehnt das ab: Damit untergrabe man das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und stelle alle Sozialversicherten unter Generalverdacht.Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger verteidigt den Einsatz von Testpatienten bei Ärzten zur Missbrauchsbekämpfung. Vorstandsvorsitzender Peter McDonald kündigte an, mit der Ärztekammer in einen Dialog einzutreten, wie die von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung so umgesetzt werden können, dass das Vertrauensverhältnis nicht gestört wird. „Es geht nicht darum, dass durch einen österreichweiten Einsatz von Agents provocateurs der Krankenkassen in den Arzt-Ordinationen das Vertrauensverhältnis zwischen den Kassenärzten und den Patienten gestört wird, sondern darum, dass durch stichprobenartige Kontrollen die Solidargemeinschaft der Versicherten in der Sozialversicherung durch einzelne schwarze Schafe nicht geschädigt wird”, stellte McDonald zuletzt in einer Aussendung klar.Der Hauptverbands-Chef betonte aber auch, dass Vertrauen Verantwortung voraussetze, mit den der Sozialversicherung anvertrauten Beitragsgeldern sorgsam – und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend – umzugehen.Tatsächlich ist das Gesundheitswesen ein besonders anfälliges Gebiet für Betrug und Korruption, sagen Spezialisten von Transparency International in Österreich. „Das liegt einerseits an den enormen Geldmitteln, die weltweit darin umgesetzt werden. Andererseits sind auch die Komplexität, der hohe Grad an Intransparenz und die Vielzahl der Akteure, die in diesen Bereich involviert sind, dafür verantwortlich. Auch die Trennung zwischen Konsumenten und Zahlern macht das System anfälliger für Absprachen auf Kosten Dritter.”

Geld „versickert”

Das Ergebnis: Viele Milliarden Euro versickern in dunklen Kanälen und kommen nicht den Patienten zugute. Das Geld fehlt in der Gesundheitsversorgung – einem Bereich, in dem die erforderlichen Finanzmittel immer knapper werden. Wie viel Geld tatsächlich versickert, ist schwer zu schätzen, nicht zuletzt weil Korruption ja vielfach nicht aufgedeckt wird. Experten schätzen allerdings, dass fünf bis zehn Prozent in den verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens verloren gehen. Bei einem Gesamtvolumen von rund 35 Mrd. € wären das zwischen 1,75 und 3,5 Mrd. €. Hinter vorgehaltener Hand wisse fast jeder Bürger von Beispielen zu berichten, die zumindest ethisch fragwürdig sind. Transparency International: „Dazu gehören unter anderem die weitverbreitete Praxis der Kuvertmedizin, mit der man auch hierzulande eine bessere oder schnellere Behandlung gegen Bargeld erkaufen kann. Auch die Diskussion um Naturalrabatte bei Medikamenten vor rund zehn Jahren zeigte, dass das Thema die Menschen bewegt.”

Wien. In Sachen E-Card hat Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) bereits im Jänner in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung bekannt gegeben, dass zwischen 2008 und 2013 exakt 421 Missbrauchsfälle durch Patienten gemeldet wurden. Mehr als die Hälfte davon (214) wurde in der Steiermark registriert. Von diesen insgesamt 421 Fällen wurden 39 zur Anzeige gebracht, daraus resultierten sieben Verurteilungen. Der Schaden dadurch belief sich auf rund 100.000 €, 18.100 € konnten die Krankenkassen davon wieder zurückholen. Die 421 gemelden Missbrauchsfälle sind aber nur die Spitze des Eisberges – wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nicht sagen. Als gestohlen gemeldet und gesperrt wurden im Jahr 2013 rund 48.000 E-Cards, als verloren gemeldet gut 158.000. Die Unterscheidung zwischen gestohlen und verloren ist allerdings nicht immer leicht nachzuvollziehen.

Strafen für Ärzte, die keine E-Card-Kontrollen durchführen, lehnt die Ärztekammer ab; sie fordert stattdessen ein Foto auf der E-Card. „Als Mediziner haben Vertragsärzte in erster Linie Kranke zu behandeln und nicht Ausweiskontrollen für die Sozialversicherung abzuwickeln”, sagte Vizepräsident Johannes Steinhart. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist allerdings weiter gegen ein Foto: Als Argument werden dort nicht in erster Linie die Kosten von 18 Mio. € ins Treffen geführt, sondern vielmehr das logistische Problem, auf 8,4 Mio. E-Cards immer aktuelle Fotos zu haben.Größer als das Problem der Weitergabe der E-Card an nichtberechtigte Personen ist nach Einschätzung des Hauptverbands jenes, dass Patienten mit ihrer E-Card zu mehreren Ärzten gehen und sich auf diese Art viele Rezepte ausstellen lassen. Dabei liege dann der Verdacht nahe, dass die Medikamente weiterverkauft werden.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL