Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Wenn diese Formel für irgend jemanden nicht funktioniert, dann sind das Führungskräfte oder solche, die es noch werden wollen. Denn bekanntlich muss, wer ein Leader werden will, gut mit seinen Mitmenschen kommunizieren können. Im Best Case erscheint es Beobachtern sogar so, als ob zwischen Anführern und ihrer Gefolgschaft eine besondere Verbindung bestehen würde. Dass dem tatsächlich so ist, haben jetzt Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Pädagogischen Universität Peking herausgefunden.
Wird jemand zum Anführer einer Gruppe gleichberechtigter Individuen gewählt, passiert nämlich folgendes: Die Aktivität in seinem linken temporoparietalen Übergang zwischen Schläfen- und Scheitellappen in der Großhirnrinde synchronisiert sich mit dem entsprechenden Areal im Gehirn seiner Gefolgschaft.
Doch die von den Forschern gemessenen Hirnaktivitäten zeigen noch viel mehr. Einerseits konnten die Wissenschaftler damit sogar voraussagen, wen eine Gruppe zum Anführer wählen wird und zu welchem Zeitpunkt, und andererseits, worauf die Synchronisation der Hirnaktivitäten beruht: Nämlich auf den erwähnten kommunikativen Fähigkeiten der Anführer und weniger darauf, wie viel sie reden. In anderen Worten wird meist der zum Anführer, der zur richtigen Zeit das Richtige sagt.
Akephale Gesellschaften
Doch zurück zum Anfang. Die Frage zu untersuchen, wer wann warum die Führung übernimmt, hat ihre absolute Berechtigung.
Schließlich kommen nur wenige menschliche Gesellschaften ohne Anführer aus. Eines der raren exemplarischen Beispiele dafür sind etwa die lokalen Gemeinschaften der australischen Aborigines, die akephal (griechisch ohne Kopf) organisiert sind: Dort hat jeder die gleiche Chance, sich das Wissen anzueignen, das später dazu führen kann, ein anerkannter „Ältester” zu werden. Doch selbst die haben zwar Autorität und das „letzte Wort” bei allen Entscheidungen, die die ganze Gruppe betreffen, aber keinerlei Machtbefugnisse.
Fast immer läuft die Sache aber anders. In der Regel kristallisiert sich schon bei kleinsten Gruppen nach kurzer Zeit eine Führungspersönlichkeit heraus. Und die synchronisiert eben ihre Gerhirnaktivität mit der ihrer Gefolgsleute. So jedenfalls lautete bisher schon die theoretische Vermutung der Forscher. Jetzt traten sie den Beweis an.
Der praktische Nachweis
Für ihre Untersuchung teilten die Wissenschaftler ihre Studienteilnehmer jeweils in Gruppen von drei Personen ein – entweder nur männliche oder nur weibliche Studenten. Jede Gruppe erhielt die Aufgabe, einige Minuten über ein anspruchsvolles moralisches Dilemma zu diskutieren.
Parallel dazu wurde ihre Hirnaktivität gemessen. Und zwar mittels funktionaler Nahinfrarotspektros-kopie. Damit kann die Hirn-Aktivität durch Aufzeichnung der Blut-Sauerstoff-Anreicherung und des Blut-Volumens im präfrontalen Kortex dargestellt werden. Trifft Infrarotlicht durch den Schädelknochen hindurch auf das Gehirngewebe, dann ist in aktiveren Bereichen mehr sauerstoffreiches Blut vorhanden, das das Infrarotlicht stärker absorbiert. Anhand der unterschiedlichen Absorption des Lichts lassen sich dann besonders aktive Gehirnbereiche identifizieren. Nach der Diskussion durften die Gruppenmitglieder, aber auch ausgewählte externe Beobachter, einen der Teilnehmer zum Gruppenleiter wählen. Die Wahl brachte ein interessantes Ergebnis: Die Internen und die Externen – sie beurteilten die Diskussion als Aufzeichnung, kamen fast immer zum selben Ergebnis, sprich wählten die selbe Person zum Gruppenleiter. Noch interessanter ist allerdings der bereits eingangs angedeutete wissenschaftliche Hintergrund der Wahl: Laut den Forschern zeigte sich, dass die Gehirne der Gruppenmitglieder offenbar schon während der Diskussionen eine Entscheidung darüber getroffen hatten, wer sie führen sollte. Schon im Gespräch, so die Wissenschaftler, begann der linke temporoparietale Übergang im Gehirn der Gruppenmitglieder im Gleichklang mit dem des späteren Anführers aktiv zu sein. Und nicht nur das. Die synchrone Aktivität in diesem Teil des Gehirns zwischen verschiedenen Personen erlaubte sogar eine (richtige) Vorhersage, wer zum Anführer einer Gruppe gewählt wird und wann sich seine Anführerschaft herausbildet.
Zuständig für Empathie
Der temporoparietale Übergang liegt zwischen dem Schläfen- und Scheitellappen der Großhirnrinde. Wesentlicher ist in diesem Fall aber, wofür er zuständig ist: Für Empathie und das Einfühlungsvermögen in den Gemütszustand anderer. In anderen Worten ermöglicht er unter anderem, über die Perspektive anderer nachzudenken und deren Absichten zu erkennen.
Für die Wissenschaftler liegt nach ihrer kürzlich veröffentlichten Untersuchung jedenfalls eines auf der Hand: Die Synchronisation der Aktivität in diesem Gehirngebiet ist ein Charakteristikum für die Beziehung zwischen Anführer und Gefolgsleuten.
Und obwohl die Aktivität nur auf der linken Übergangsregion gemessen wurde, sagen sie, ist es nicht auszuschließen, dass das auch für ihr Gegenstück auf der rechten Seite zutrifft. Wer sich jetzt fragt, was eine stärkere Synchronisierung auslöst, die verbale Kommunikation oder nonverbale Signale: Es ist ersteres. Eine ziemlich einfache Erklärung für die große Bedeutung der verbalen Kommunikation haben die Wissenschaftler auch: Da stecke schlicht und einfach eine menschliche Eigenart dahinter. Schließlich würden im restlichen Tierreich eher Stärke und dominantes Auftreten den Führungsanspruch untermauern.
„Was” schlägt „Wie viel”
Wie viel ein Gruppenmitglied spricht, ist übrigens nicht von Bedeutung. Vielmehr ist ausschlaggebend, was es sagt. Auch das ist eine Erkenntnis aus der Studie.
Zwar setzten Anführer genauso häufig die Diskussionen in Gang, die von ihnen gestarteten Diskussionen hatten aber eine stärkere Synchronisierung zur Folge. Es kommt also auf die Qualität der Kommunikation an. „Wer einfach nur mehr redet, wird nicht unbedingt der Anführer”, so Jing Jiang, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Sie sagt weiters, die Synchronisierung erfolge in beide Richtungen, vom Anführer zu seiner Gefolgschaft sei sie aber deutlich stärker.
„Wenn Anführer die Diskussion lostreten, dann berücksichtigen sie die Standpunkte der anderen für die eigenen Beiträge. In dieser kurzen Zeitspanne synchronisieren sie ihre Gehirnaktivität mit der der anderen. Anführer qualifizierten sich durch das, was sie sagen, und wann sie es sagen”, erklärt Jiang.
Qualität geht vor Quantität
Es gibt übrigens noch eine Erkenntnis, die die Vermutung stützt, dass die Qualität der Kommunikation und nicht die Quantität entscheidend dafür sind, wer zum Anführer einer Gruppe gewählt wird: Die Sprachareale des Gehirns haben sich während der Versuche nicht miteinander synchronisiert. In einem Szenario, in dem diejenigen die Anführer einer Gruppe geworden wären, die am öftesten eine Diskussion begonnen und am meisten zu ihr beigetragen haben, hätte man aber genau das erwarten dürfen. Forscherin Jiang rudert allerdings etwas zurück: „Die verbalen Kommunikationsfähigkeiten sind aber möglicherweise nicht der einzige Faktor, auch andere Eigenschaften könnten eine Rolle spielen, zum Beispiel persönliches Charisma oder Durchsetzungsfähigkeit”, erläutert sie.
Wie weit die Resultate verallgemeinert werden können, bleibt freilich offen. Genauso wie die Frage, wie eine inhomogene Gruppe ihren Anführer bestimmt, in der sich Frauen und Männer, alte und junge Menschen bewegen, oder die aus Mitgliedern mit unterschiedlichem sozialen Status besteht. Nichtsdes-totrotz sind die Erkenntnisse ein enormer Schritt nach vorn, um das Verhältnis von Gruppenleitern und ihren Mitarbeitern zu verstehen.
Originalpublikation: Jing Jiang, Chuansheng Chen, Bohan Dai, Guang Shi, Guosheng Ding, Li Liu, and Chunming Lu Say the right things at the right time: Leader emergence through interpersonal neural synchronization, PNAS, 23. März 2015