••• Von Martin Rümmele
Während die Zahl der pflegebedürftigen Personen in Österreich weiter steigt, rechnen Experten mit einem Rückgang von familiären Betreuungsressourcen. Daher und aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der zusätzlich benötigten Pflegekräfte bis ins Jahr 2030 auf 75.700 Personen geschätzt. Zuletzt waren in Österreich bereits etwa 127.000 Menschen in der Pflege beschäftigt. Basis dieser Schätzung ist eine Studie der Gesundheit Österreich GmbH für den gesamten Bereich der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe inklusive Sozialbetreuungsberufe mit Pflegekompetenz und der Heimhilfe im Bereich der Akut- und Langzeitbetreuung und -pflege für die Jahre 2025 und 2030. Dazu kommt die Frage, wie die Pflege organisiert und finanziert werden soll.
Ausbildungsoffensive
Das Problem dabei: Österreich ist mit dieser Herausforderung nicht allein. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln könnten in Deutschland in der stationären Versorgung bis zum Jahr 2035 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen; die Versorgungslücke im Pflegebereich insgesamt könnte sich bis zu diesem Jahr auf insgesamt knapp 500.000 Fachkräfte vergrößern. Weil auch Deutschland den Bedarf mit der Ausbildung allein nicht decken kann, ist zu erwarten, dass Pflegekräfte aus Österreich abwandern werden.
Die türkis-grüne Bundesregierung will deshalb eine Ausbildungsoffensive im Pflegebereich starten. Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) hatte direkt nach der Angelobung die Pflege als größte thematische Herausforderung seines Ressorts genannt. Im Regierungsprogramm wird eine grundlegende Reform der Pflege angekündigt. Eine Zielsteuerungsgruppe aus Bund, Ländern und Gemeinden soll ähnlich wie im Gesundheitsbereich arbeiten und in der Pflege die Pläne der Regierung in konkrete Vorhaben gießen. Türkis-Grün plant ein Bündel an Maßnahmen, um das Pflegeproblem zu lösen; dazu zählt die Bündelung der Finanzierungsströme, die Schaffung einer Pflegeversicherung, ein „Pflege-Daheim-Bonus”, der Ausbau der Pflegekräfte und Schritte zur Prävention von Pflegebedürftigkeit. Für pflegende Angehörige soll es einen pflegefreien Tag pro Monat als Unterstützung und Burn-out-Prophylaxe geben. Zudem sollen die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessert und die mobile Pflege und Betreuung ausgebaut und weiterentwickelt werden. Insbesondere sollen „young carers” (pflegende Kinder und Jugendliche) präventiv entlastet werden.
„Wir haben einen starken Sozialstaat und da gehören das Altern in Würde und die bestmögliche Versorgung dazu”, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Zum Ausbau der Pflegekräfte schweben der Regierung eine dreijährige Fachschule sowie eine fünfjährige höhere Ausbildung vor. Insgesamt werde es „ein großes Bündel an Maßnahmen geben”.
Länder wollen mehr Geld
Eine Bruchlinie gibt es allerdings bereits zu den Ländern: Oö-Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) will als aktueller Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz das Thema dort lösen. Einerseits gebe es die noch immer offene Frage, wie der Entfall des Pflegeregresses abgegolten werde, aber auch jene der langfristigen Finanzierung und Organisation. Von der neuen Bundesregierung wünscht sich Stelzer, „dass wir miteinander die Finanzierung möglichst gut aufstellen, dass sie mittelfristig hält”. Bisher gebe es den Pflegefonds, der aber ein Teil des Budgets sei. Nachdem dies aber ein wachsender Bereich sei – „wir sehen, dass Jahr für Jahr mehr gebraucht wird” –, brauche es eine verlässliche Lösung, „der ich aber nicht vorgreifen möchte, weil es sollen ja Verhandlungen sein”. Pflegeorganisationen wie die Caritas, Diakonie, das Rote Kreuz, Hilfswerk und die Volkshilfe begrüßen den Schwerpunkt der Regierung, pochen aber wie die Länder darauf, eingebunden zu werden.