Wohlfühlklima im Schweinestall
© APA/Helmut Fohringer
RETAIL Redaktion 15.10.2015

Wohlfühlklima im Schweinestall

Die Initiative Tierwohl will den Verbraucher wieder zu mehr ­Fleischkonsum animieren. Der scheint nicht überzeugt zu sein.

Knapp ein Jahr ist es her, als sich in Deutschland die Frage der Haltung stellte. Jene der Tierhaltung nämlich. Anfang 2015 haben Unternehmen und Verbände aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel die ‚Initiative Tierwohl‘ gestartet. Das Prinzip dahinter: Die Lebensmittelhändler zahlen einen Teil des Umsatzes, den sie mit Fleisch erzielen, an Viehzüchter weiter. Die wiederum verpflichten sich, in Maßnahmen zu investieren, die das Tierwohl verbessern – zum Beispiel garantiertes Tageslicht in jedem Abteil, mehr Platz im Stall, Teilnahme am Antibiotika-Monitoring und die Schaffung eines Gesundheitsplans.    Mit Stand September profitierten 12 Mio. Schweine und rund 255 Mio. Stück Geflügel von den Tierwohl-Kriterien.

Der Preis des Erfolgs

Die Initiative kam bei den Bauern in Deutschland gut an – beinahe zu gut, möchte man meinen, angesichts des Umstands, dass etwa die Hälfte jener Landwirte, die sich angemeldet hatten, auf der Warteliste gelandet sind. Grund: Das Geld reicht nicht. Während jetzt also einige auf den Investitionen für die Änderungen im Stall sitzen bleiben, wird der Rest profitieren. Wobei das auch nicht ganz korrekt ist: sie bekommen die Kosten für die Umbauten ausgeglichen. Denn es gilt bei der Initiative Tierwohl nicht als Ziel, dass die Landwirte höhere ­Gewinne erwirtschaften.  
Während also die Bauern um die Plätze bei der Initiative rangeln, hält sich das Engagement des Lebensmittelhandels in Grenzen. So ist derzeit etwa – mit Ausnahme der Schwarz-Gruppe mit den Händlern Lidl und Kaufland – kein Händler bereit, den eigenen Beitrag zur Initiative von derzeit vier auf sechs Cent zu erhöhen. Diese Erhöhung gilt als notwendig, wenn alle angemeldeten Bauern in die Vereinigung aufgenommen werden wollen.

Die Lebensmittelhändler verweisen auf ihr Bekenntnis zur Ini­tiative oder allgemeine Aussagen zum Tierschutz. Tierwohl-Sprecher Patrick Klein betont, dass eine Erhöhung der Beiträge nur gemeinsam beschlossen werden könne, und einzelne Mitglieder ihren Vorstoß mit der Initiative abstimmen müssten.

Meint es die Branche ernst?

Doch ein gemeinsames Bekenntnis lässt schon lange auf sich warten. Die Branche habe sich nun schon zu lange Zeit gelassen für eine Einigung, sagt Sabine Ohm von Provieh, einem Fachverband für Nutztierschutz: Ein Vierteljahr „sollte eigentlich mehr als genug sein, wenn die Branche es ernst meint mit dem Tierwohl“. Eine Erhöhung des Beitrags aller Teilnehmer sei notwendig, um alle angemeldeten Bauern aufzunehmen, betont Ohm.

Keine Chance auf Tierwohl-Siegel

Die Zurückhaltung des Handels hat einen Grund: Es gibt kein Tierwohl-Siegel. So haben die Supermärkte keine Möglichkeit, ihr finanzielles Engagement für den Tierschutz für den Kunden sichtbar auf dem Produkt zu kennzeichnen. Eine Erhöhung des Beitrags bringt ihnen deswegen auch keinen Vorteil. Und ein Siegel für Tierwohl-Produkte wird es auch auf absehbare Zeit nicht geben, wie Tierwohl bestätigt. Ein Siegelsystem ist teuer und in der Umsetzung kompliziert, denn die Schweinefleischproduktion geht durch drei unterschiedliche Betriebe: „Für ein Siegel müsste von allen beteiligten Betrieben verlangt werden, dass sie von Tierwohl-Betrieben beliefert werden und nur an solche weiterliefern“, so Klein gegenüber dem Handelsblatt. Dies würde also einen massiven Eingriff in die Kunden- und Zulieferstruktur bedeuten.
Die Händler vertrauen deshalb lieber weiterhin auf eigene Siegel, die sie werbewirksam und aufmerksamkeitsstark auf die Verpackung kleben dürfen; die Edeka-Tochter Netto führt etwa das Label des Deutschen Tierschutzbundes „Für mehr Tierschutz“, und auch bei der Rewe-Gruppe kennzeichnet man die entsprechenden Eigenmarken umfassend: mit dem Nachhaltigkeitslabel Pro-Planet, Regional oder Bio. Als Ausweg aus dem Dilemma will Tierwohl jetzt den Kreis der Einzahler vergrößern. Die Initiative führe Gespräche mit Großverbrauchermärkten, der Systemgastronomie, dem Fleischerhandwerk und natürlich mit Händlern, die bisher noch nicht Mitglied sind.

Der Handel will das nicht

In Österreich wiederum dürfte der Lebensmittelhandel gar kein Interesse an einer derartigen Initiative haben. Wie Johann Schlederer, ­Geschäftsführer des Verbands landwirtschaftlicher Veredelungsproduzenten OÖ (VLV), gegenüber der Fachzeitschrift Landwirt erklärt, ist ein Pendant zur Initiative Tierwohl in Österreich nicht nur nicht geplant, „auch der Lebensmittelhandel will das nicht“.
Dass das Fleisch aus solcherart auditierten Betrieben nicht extra gekennzeichnet ist, wäre bei uns undenkbar, so Schlederer. Man gehe in Österreich andere Wege, zudem würden die Schweinebauern hierzulande nicht derart am Pranger stehen, wie sie es in Deutschland tun. Der VLV-Chef betont jedoch auch, dass sich weltweit noch niemand so viel Mühe gemacht habe, alle Tierwohlaspekte aufzulisten und eine Tarifliste zu erstellen, wie es die Initiative Tierwohl getan hat. „Jetzt weiß man genau, was mehr Tierwohl kostet“, so Schlederer.

Der Verbraucher entscheidet

Den Schlüssel zum letztlichen Erfolg der Initiative Tierwohl hat der Verbraucher, erklärt Walter Heidl, stellvertretender Präsident des Deutschen Bauernverbands: „Einerseits werden immer höhere Standards und zusätzliche Tierwohlleistungen von den Landwirten eingefordert. Andererseits können Verbraucher jetzt durch den Kauf der Produkte an der Ladentheke dazu beitragen, dass die vom Lebensmittelhandel zugesagte Finanzierung durch den geringen Aufschlag auf das gesamte Warensortiment bei Fleisch- und Verarbeitungsprodukten auch wirklich fließen kann.
Gemeinsames Anliegen aller Partner in der Initiative Tierwohl und der Verbraucher sollte natürlich sein, dass unser hochwertiges Fleisch oder die Verarbeitungsprodukte nicht zu Schleuderpreisen über die Ladentheke gehen dürfen“, so Heidl.

Während also laut Schlederer in Österreich die Initiative Tierwohl mit ihren Kriterien keine Anhänger finden wird, gibt es durchaus Produzenten im Alpenland, die sich mit den Zielen des deutschen Vorstoßes indentifizieren. Berger Schinken etwa: Der niederösterreichische Produzent hat in Kooperation mit der Universität für Bodenkultur (Boku) eine mit 30.000 € dotierte Animal Welfare-Stiftung gegründet, die sich der Verbesserung des Tierwohls widmet.

Initiative von Berger

Gemeinsam mit der Boku soll nach gangbaren Prozessen und Möglichkeiten geforscht werden, um beispielsweise das Kupieren von Schwänzen bei Schweinen unterlassen zu können. Damit definiert Berger, nach den Erfolgen bei der Verkürzung von Tiertransporten durch die 50-Kilometer-Regel für alle regional.-optimal.-Lieferanten, die nächsten Meilensteine in Richtung Tierwohl. Klar ist, dass dieses Unterfangen eine gemeinsame Vorgehensweise seitens der Fleisch-Branche, der Landwirte und der Konsumenten braucht. Berger reagiert damit auf den Wunsch von Tierschützern und Verbrauchern, mehr für das Tierwohl zu tun, und nimmt so die gesellschaftlichen Entwicklungen ernst. Gleichzeitig stellt Berger der österreichischen Politik und den Standesvertretern ein kritisches Zeugnis aus: „Hier wird auf klare Trends zu langsam reagiert.“

Verbraucher mit Biss

Während in Deutschland durch die Initiative Tierwohl in Kooperation mit der Landwirtschaft und dem Handel bereits konkrete Verbesserungen in der Tierhaltung umgesetzt werden, gibt es in Österreich lediglich Einzelinitiativen. Ein Vorstoß, dem Schlederer im Landwirt deutlich widerspricht: Einzelne Projekte, die hierzulande umgesetzt werden, würden die Kriterien der deutschen Initiative sogar übererfüllen.
Die Fleischindustrie muss aber weiter reagieren, denn die Verbraucher machen sich mehr und mehr Gedanken über die Haltung von Nutztieren wie Schweinen und Hühnern und überdenken gleichzeitig ihren Fleischkonsum. Das spürt der deutsche Lebensmittelhandel, denn die Nachfrage nach vegetarischen und veganen Produkten steigt: Von 2010 bis 2014 stieg der Umsatz um 73% von 123 auf 213 Mio. €. Im gleichen Zeitraum stieg die Käuferreichweite um 1,3 Mio.; 2010 kauften 9,9 Mio. vegetarische und vegane Produkte, 2014 waren es bereits 11,2 Mio. Konsumenten.

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