••• Von Christian Novacek
Für Gamer gelten beim Essen & Trinken andere Regeln: „Ich hatte keine Lust mehr, im realen Leben zu essen. Stattdessen habe ich mit verschiedenen Figuren aus World of Warcraft (im Folgenden kurz: WoW, Anm.) gespeist – aber eben nur in der virtuellen Welt.“ Das erklärte ein Spielsüchtiger im TV (ARD), der durch seine Onlinesucht „alles in seinem Leben verloren“ hat. Seine Aussage ist symptomatisch für ein Phänomen, das als Problem massentauglich hochgehalten wird. Gern melden sich dazu Experten zu Wort, etwa Hans Jürgen Rumpf, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung: „Es gibt eine Reihe von Aktivitäten im Internet, die im Verdacht stehen, süchtig zu machen. Das sind Multiplayer-Spiele wie World of Warcraft, Soziale Netzwerke, Google-Suchen nach Downloads oder Pornografie.“
Bezeichnend: World of Warcraft rangiert im Suchtpotenzial vor der Pornografie, was in seiner Aussagekraft nahezu was Liebenswertes innehat – womit wir beim Punkt sind: Was hier folgt, ist ein Plädoyeur für World of Warcraft. Gleichsam ein Plädoyer für die wunderbare Welt der Lebensmittel im virtuellen Raum, um nicht zuletzt aufzuzeigen, was lebensmitteltechnisch möglich ist, wenn nicht die Natur, sondern die Fantasie die Grenzen macht. Das erste Gesetz der virtuellen Ernährung in WoW lautet, dass sie nicht dick macht. Was allerdings ein Vorurteil ist, welches hier weiter unten widerlegt werden soll. Zweitens beeindruckt die Nahrungsfülle in der World of Warcraft. Diese beginnt mit einfach zu bereitenden vegetarischen Gerichten. Ein unverwüstlicher Klassiker ist das Gewürzbrot (bestehend aus einem Teil herkömmliches Mehl plus einem Teil milde Gewürze) – wahrscheinlich gibt es in den Weiten von Azeroth (einer von 5 Kontinenten der WoW-Spielwelt) niemand, der sich das Teil zu Beginn seiner Spieler-Karriere nicht überreichlich in den Bauch gestopft hat.
Blutige Häppchen
Da World of Warcraft nicht zuletzt auch ein kriegerisches Game ist, u.a. geprägt vom Konflikt der (eher bösen) Horde gegen die (eher gute) Allianz, stehen blutige Häppchen wie Gerösteter Raptor oder Saftige Bärenburger mit auf dem Menüplan. Weiters deftige Fischgerichte wie Scharfe Muscheln nach Goblinart oder Herzhafte Meeresfrüchtesuppen. Hinzu kommen etliche eher mit Vorsicht zu genießende Speisen wie Aas Surprise oder das Seltsam schmeckende Omelett oder der Grubenratteneintopf.
Echte Zocker müssen kochen
Kochen ist in WoW zwar kein solider Hauptberuf wie Schmied oder Schriftgelehrter, aber als Nebenjob zumindest für den Main (Hauptcharakter) unerlässlich. Das hat Gründe: Zum einen basiert das Online-Rollenspiel auf Erfolgen und Kochen birgt eine Fülle von Erfolgspunkten. Zum anderen ist der Wirkungsgrad vieler Speisen und Getränke enorm. Im realen Leben würde das einem überproportionalen Anteil an sogenannten Superfoods entsprechen. Als Grundfunktion jeder Nahrungsaufnahme ergibt sich, dass der Lebensbalken – je nach Qualität und Level der eingenommenen Mahlzeit – möglichst zügig nach oben geht. Nebenwirkungen sind mitunter erwünscht und manchmal überaus krass.
Willkommene Effekte sind beispielsweise, dass sich beim Magier, der das richtige Fläschchen einwirft, die Intelligenz erhöht. Das hilft ihm beim Zaubern, sprich: er zaubert mächtig, wenn er seine Intelligenz steigert. Im real life wäre die Entsprechung bei Nüssen zu finden; ihnen wird ein positiver Effekt auf die Merkfähigkeit nachgesagt, und während halt im Virtuellen der Wirkungsgrad vergleichsweise rasant ist (Fläschchen einnehmen, intelligent sein), muss man im realen Leben eine Vielzahl Nüsschen über einen sehr, sehr langen Zeitraum zu sich nehmen, damit das eine halbwegs brauchbare Auswirkung auf die Intelligenz hat.
Schlaue Magier, tumbe Krieger
Was dem Magier recht ist (Intelligenz), damit fangen Krieger, Paladine oder Todesritter naturgemäß gar nix an. Die greifen beim buffed food zu Sachen, die eine Steigerung der Kraft bringen. In Nordend (ein weiterer Kontinent in WoW) war unter anderem das Drachenflossenfilet obligatorisch. Für die Spielklassen Jäger und Schurke indes ist Beweglichkeit der tiefere Sinn von Essen und Trinken. Zu Zeiten der vierten WoW-Erweiterung Mists of Pandaria waren die gut beraten, in ihren Kochkünsten den Weg des Woks einzuschlagen – was bei den Zutaten eine gediegen lange Liste erforderte, nämlich: 5 Mal 100 Jahre alte Sojasoße, 12 Mal Riffkrake, 12 Mal Wildgeflügelbrust, 50 Mal riesige Mantisgarnele, 50 Mal Roher Krokiliskenbauch, 250 Mal Rotblütenlauch, sowie 42 bis 44 Mal saftigleckere Karotte. Das ist zwar nicht wenig, aber im real life muss man für Beweglichkeit ja auch einiges in Kauf nehmen (der Weg des Topfes für Intelligenz oder der Weg des Gebräus fallen nicht minder aufwendig ins Gewicht).
Nahezu unmöglich wird ein real life-Konnex mit folgenden Leckereien: Feuerwasser der Winterfelle, Kürbisdrops der Schlotternächte und das Trinkhorn der Vrykul – sie alle bewirken prompte Wachstumsschübe; wie auch das Elixier des Riesenwuchses – wobei das bei Letzterem nicht wirklich überraschend ist.
Essen als Trost
Essen ist Emotion – das wissen die Macher von WoW (Blizzard Entertainment), und folgerichtig bietet ein Meister des Dämpfens im Tal der Vier Winde die nette Quest Kochen mit Liebe an, indem er sagt: „Wenn ich mit Dampf koche, geht meine ganze kulinarische Liebe in mein Essen über. Lasst mich euch beibringen, wie man Garnelenklößchen zubereitet.“ Spielern, bei denen Garnelenklößchen mehr Abneigung als Liebe hervorrufen, wird ein profundes Arsenal von Ersatzdrogen zur Verfügung gestellt: Abhängig vom Gemütszustand, empfehlen sich das Mammut von letzter Woche, der Geisterhering oder die schlechten Muscheln. Für Trostbedürftige geht nichts über das leckere Törtchen – es sei denn, man fühlt sich beim Thema Süßigkeiten zu Höherem berufen. In diesem Fall führt kein Weg am Erfolg Krümelmonster vorbei: Er besteht darin, so lange Schokoladenkekse zu essen, bis man sich 1000% besser fühlt.
Haut weg das Zeug!
Soweit so schön so trefflich genährt – allein, es gibt eine Schattenseite in World of Warcraft: der Alkohol. Seine Auswirkungen sind virtuell anschaulich, und vor Überkonsum kann nur in aller Deutlichkeit gewarnt werden. Labt sich einer zu üppig am Braufestbier, wird das Bild am Monitor unscharf und beginnt zu schaukeln. Gleichfalls erschwert sich das Chatten mit anderen Spielern – das eine oder andere Hicks! schleicht sich in den Chat, und das geschriebene Wort wird abhängig von der Trunkenheitstufe bierig kauderwelschig. Die Trunkenheitsentwicklung wird im Chatfenster abgestuft mitgeteilt und kann in jedem Wiener Bauchstichcafe nachempfunden werden. Die Stufen: Ihr fühlt euch etwas beschwipst – Ihr seid betrunken – Ihr seid total betrunken – Ihr seid betäubt. Mehr als Betäubung ist nicht drin, genau genommen ist es aber schon im betrunkenen Zustand schwer, aufs sehr schwiemelig werdende Braufestfässchen zu klicken.
In den WoW-Anfangstagen war das Verhältnis zum gepflegten Hochprozentigen somit direkt und freundschaftlich. Ein Erfolgsbaustein lautete darauf, sich betrunken in den Abgrund zu stürzen. Dieser legendäre Meilenstein wurde im Wandel der Zeiten abgesoftet zu: Wie tief kann man fallen – und erfordert heute lediglich, einen 65 Meter-Sturz zu überleben, unabhängig vom geistigen und körperlichen Zustand.
Ebenfalls wie im richtigen Leben: Biertrinken ist ein geselliger Event. Von Jin Warmfass Bier dürfen sich Verbündete gern einen Schluck genehmigen, zum alljährlichen Braufest konkurrieren die Brauereien Donnerbräu, Gerstenbräu und die Oger um bieraffine Avatare, und selbst zu Silvester gehts rund in World of Warcraft, inklusive Feuerwerk, versteht sich. Das mag der eine oder andere traurig finden, aber Fakt ist: Ich hab schon schlimmere Silvesterparties erlebt. Und damit wären wir bei der Frage, inwieweit virtuelle Getränke betrunken machen. Das tun sie aus einem einfachen Grund: Die Möglichkeit, zur gleichen Zeit Avatar und real life-Person in den Genuss geistiger Getränke kommen zu lassen, ist in ihrer Art einzigartig.
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