Value #40 Der Finanz Talk: Unser Kreditmarkt im Wandel

Im Rahmen des gemeinsam mit der Fachgruppe der Finanzdienstleister Wien der Wirtschaftskammer Wien produzierten TV-Finanz-Talks „Value“ diskutierten Eric Samuiloff, Obmann der Fachgruppe Finanzdienstleister Wien, und Gerhard Wagner, Geschäftsführer der KSV1870 Information GmbH, über den aktuellen Stand sowie die strukturellen Entwicklungen des österreichischen Kreditmarktes – und über die wachsende Rolle von Kreditauskunfteien in einem zunehmend regulierten, datengetriebenen Umfeld.

Rückläufige Kreditvergabe nach der Pandemie
Ausgangspunkt des Gesprächs war die nüchterne Bestandsaufnahme: Der österreichische Kreditmarkt hat das Niveau der Vor-Covid-Jahre bislang nicht wieder erreicht. Vor allem im Bereich privater Haushalte zeigte sich zuletzt eine spürbare Zurückhaltung. Laut Daten der Oesterreichischen Nationalbank sank das aushaftende Kreditvolumen privater Haushalte 2024 erstmals seit Beginn der Zeitreihe, insbesondere bei Wohnbaukrediten. „Nach der Pandemie performt der Konsument:innen-Kreditmarkt schwächer“, fasste Wagner zusammen. Steigende Zinsen, höhere Lebenshaltungskosten und strengere regulatorische Vorgaben hätten die Nachfrage deutlich gebremst.

KIM-Verordnung als Einschnitte der Wohnraumfinanzierung
Ein zentrales Thema war die KIM-Verordnung, die bis August 2025 maßgeblich die Vergabe von Wohnbaukrediten bestimmte. Die Vorgaben – mindestens 20 Prozent Eigenmittel, maximal 40 Prozent Schuldendienstquote und eine Laufzeit von höchstens 35 Jahren – hätten laut Wagner zu einer deutlichen Disziplinierung des Marktes geführt. Gleichzeitig sei bemerkenswert, dass es bei privaten Immobilienfinanzierungen kaum Ausfälle gebe. „Hier hilft oft die gesamte Familie mit“, so Wagner. Anders stelle sich die Situation bei gewerblichen Immobilienfinanzierungen dar, die aus Sicht der Kreditauskunfteien ein höheres Risiko bergen.

Konsumentenschutz und neue Kreditformen
Mit Blick nach vorne rückt ab November 2026 die neue europäische Verbraucherkreditrichtlinie in den Fokus. Sie soll den Konsumentenschutz weiter stärken, wird aber auch zusätzliche Prüfpflichten für Banken mit sich bringen. Wagner verwies darauf, dass umfangreichere Prüfungen zwangsläufig höhere Kosten verursachen. Besonders kritisch beurteilte er die wachsende Bedeutung von „Buy now, pay later“-Modellen und den Boom bei Kleinstkrediten. Diese Formen der kurzfristigen Finanzierung erhöhten das Risiko einer schleichenden Schuldenakkumulierung – ein Bereich, in dem Auskunfteien künftig noch stärker gefordert sein werden.

Scoring, KI und Regulierung
Ein weiterer Schwerpunkt des Talks lag auf dem Kredit-Scoring und dem Einsatz automatisierter Systeme. Kreditscoring beruhe auf mathematisch-statistischen Modellen, die Kreditwürdigkeit objektivierbar machen sollen. Gleichzeitig geraten diese Verfahren zunehmend in ein Spannungsfeld zwischen DSGVO und dem neuen EU-AI-Act. „Diese Regelwerke widersprechen einander teilweise“, sagte Wagner. Während automatisierte Entscheidungen regulatorisch eingeschränkt werden, sei die Effizienz digitaler Kreditprozesse ohne Automatisierung kaum vorstellbar. Konsens bestand darin, dass künftig immer ein Mensch in die finale Entscheidung eingebunden sein müsse (Human in ihe Loop) – insbesondere bei Ablehnungen oder Zahlungsstörungen.

Kreditauskunfteien als Infrastruktur der Finanzmärkte
Als Geschäftsführer der KSV1870 Information GmbH hat Wagner einen umfassenden Blick auf den Markt der gewerblichen und privaten Kredite. Der Kreditschutzverband von 1870, gegründet 1870, hat sich von einem klassischen Gläubigerschutzverein zu einer zentralen Daten- und Informationsinfrastruktur der Wirtschaft entwickelt. Mit Instrumenten wie der KonsumentenKreditEvidenz und der WarenKreditEvidenz tragen Auskunfteien wesentlich dazu bei, Risiken frühzeitig sichtbar zu machen und Überschuldung zu verhindern.

Appell an den Gesetzgeber
Zum Abschluss formulierte Wagner einen klaren Wunsch an die Politik: „Der Gesetzgeber sollte helfen statt strafen – und vor allem widersprüchliche Bestimmungen vermeiden.“ Gerade im Zusammenspiel von Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Datenschutz brauche es klare, praxistaugliche Regeln. Denn eines sei absehbar: Kreditvergabe werde künftig noch stärker über digitale Plattformen erfolgen – doch bei kritischen Entscheidungen müsse weiterhin der Mensch das letzte Wort haben.

Der „Value“-Talk zeigte, dass der österreichische Kreditmarkt an einem Wendepunkt steht: zwischen vorsichtiger Erholung, wachsender Regulierung und der Notwendigkeit, Finanzinnovation und Konsumentenschutz in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.

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