Am Datenhighway ist die Hölle los
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Breitband 39.459 Unternehmen listet die Statistik Austria für Österreich auf, 96,3% – also beinahe jedes Unternehmen – verfügen über eine Breitbandverbindung. 90,7% von 100% verfügen über eine feste Breitbandverbindung, der Rest über eine mobile.
MARKETING & MEDIA Redaktion 06.11.2015

Am Datenhighway ist die Hölle los

Die Netzneutralität scheint mit einem Entscheid des EU-­Parlaments am Ende; ein Überblick aus österreichischer Sicht.

Die heilige Kuh liegt auf der Schlachtbank: Eine deutliche Mehrheit hat vergangene Woche im EU-Parlament in Straßburg für die umstrittene Verordnung zur Netzneutralität gestimmt – und damit de facto das Ende dieser eingeleitet.  In der Diskussion dreht sich alles um die Frage, ob Daten im Internet gleich behandelt werden und gleich schnell (oder langsam) transportiert werden. Oftmals wird die Metapher der (Daten-)Autobahn herangezogen, bei der grundsätzlich jeder gleichberechtigt jede Spur befahren kann. Mit dem Ende der Netzneutralität wäre dies nicht mehr garantiert, Provider könnten beispielsweise gegen Entgelt eine Überholspur exklusiv anbieten – und nicht zahlende auf „normale“ Spuren oder den Pannenstreifen abdrängen.  Laut dem Beschluss dürfen Internet-Anbieter künftig zwischen verschiedenen Kategorien von ­Datenverkehr unterscheiden, eben „um die Gesamtqualität und das Nutzererlebnis zu optimieren“, wie es da heißt.

Spezialdienste ohne Definition

Entgegen aller Kritik vor allem vonseiten der Netzaktivisten verteidigte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (CDU) die Regelung und sprach von einem notwendigen Kompromiss „zwischen Interessen der Wirtschaft und Gesellschaft“. Im Text zum Entscheid ist von „Spezialdiensten“ die Rede, welche von der Regelung profitieren würden; eine Definition darüber fehlt.
Kritiker befürchten, dass künftig beispielsweise zahlungskräftige und datenintensive Services wie Netflix oder Skype die Überholspur im Datenhighway für sich buchen und beanspruchen könnten.
Bisher existierten in den meisten Staaten der europäischen Union dahingehend keine gesetzlichen Regelungen, Internet-Provider schickten Datenpakete gleichberechtigt durch die Leitungen. Das werde man auch künftig so halten, bestätigt man vonseiten der Telekom Austria gegenüber medianet: „Wir stehen für ein offenes Internet, es werden keine Dienste ­blockiert oder diskriminiert.“ Kaum hatte das europäische Parlament den Beschluss getroffen, brachte etwa die Deutsche Telekom erste Modelle ins Spiel, die zahlenden Kunden eine bessere Übertragungsqualität gewähren. Dies sei „derzeit kein Thema“, so die A1 hierzulande.
Seitens der UPC begrüßt man den Entscheid des europäischen Parlaments zur Netzneutralität und „einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen – und somit ein gemeinsames Verständnis zur Netzneutralität in allen EU-Ländern, das Innovationen national und europaweit sicherstellen soll.“ UPC erweitere kontinuierlich das Produkt- und Dienstleistungsportfolio, ließ man mitteilen – „dies selbstverständlich stets unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben. Aktuell sind keine Änderungen von Produkten oder Tarifen in Bezug auf den Entscheid des europäischen Parlaments geplant.“

Nicht zur Gänze zufrieden zeigt man sich beim Interessensverband ISPA, den Internet Service Provider Austria, auf medianet-Anfrage: „Die ISPA bedauert, dass die endgültige Regelung – als Folge eines ausgesprochen langen Ringens beider Seiten – sehr unklar und durchaus schwer verständlich ausgefallen ist und beachtlichen Interpretationsspielraum bietet. Hierdurch wird es noch schwerer abzuschätzen, welche konkreten Auswirkungen die Entscheidung hat. Dies gilt gleichermaßen für die von manchen Stakeholdern ins Feld geführte Innovationsfreundlichkeit und Flexibilität des Kompromisses als auch andererseits für die Befürchtungen all jener Gruppen, die in der Entscheidung große Nachteile für die Entwicklung des Internets sehen.“

Die Entscheidung habe die Emotionen auf beiden Seiten hochschießen lassen, nun sei es an der Zeit, so die ISPA weiter, sich den Text im Detail anzusehen, dessen Auswirkungen in alle Richtungen genau zu analysieren und „sich konkret zu überlegen, wo die Grenzen sind, und was in Zukunft zulässig sein wird und was nicht.“  Im Anschluss an die Entscheidung sei die Enttäuschung auf beiden Seiten wahrnehmbar gewesen. „Das ist ein Zeichen dafür, dass beide Interessengruppen mit ihren Wünschen nicht durchgedrungen sind. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass es am Ende einen Kompromiss gegeben hat, der die Argumente beider Seiten in gewisser Weise berücksichtigt.“

Probleme für Start-ups

Während beispielsweise ÖVP-Abgeordnete dem Beschluss mittrugen und positiv gegenüberstanden – der Europabgeordnete Paul Rübig meinte gegenüber Ö1, dass das Internet „bald überbelastet sein wird“ und es neue Kapazitäten brauche –, übt der grüne Europaparlamentarier Michel Reimon harsche Kritik. Von medianet ebenfalls auf die Pläne der deutschen Telekom angesprochen, entgegnet er: „Die Reaktion der Telekom hat ja nicht mal 24 Stunden gedauert – gegen Umsatzbeteiligung bieten sie Start-ups nun also bessere Behandlung ihres Datenverkehrs. Im Umkehrschluss: Wer nicht mitmacht, wird benachteiligt. Das ist moderne Wegelagerei.“

Vor allem Start-ups hatten gegen die Vorgänge protestiert; sie befürchten Benachteiligungen gegenüber zahlungskräftigen Giganten. Telekom-Chef Timotheus Höttges präsentierte dazu ein Geschäftsmodell: „Gerade Start-ups brauchen Spezialdienste, um mit den großen Internetanbietern überhaupt mithalten zu können“, wird er auf der unternehmenseigenen Website zitiert. „Nach unseren Vorstellungen bezahlen sie dafür im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent. Das wäre ein fairer Beitrag für die Nutzung der Infrastruktur.“ Reimon dazu: „Diese Entscheidung war so ziemlich das Schlimmste, was man europäischen Start-ups antun kann. Mit diesem Beschluss wird die digitale Macht der Telekoms und der jetzt schon großen Anbieter wie Google und Facebook einbetoniert.“ In Österreich habe sich ja eine „kleine, aber sehr feine“ Start-up-Szene entwickelt. „Wenn die jetzt von den Telekom-Unternehmen unter Druck gesetzt werden, könnte das ihr Ende sein.“ Es bestehe allerdings Hoffnung, so der Politiker: „Regulierungsbehörden können im Einzelfall Einspruch gegen diese Praxis erheben, die beschlossene Formulierung ist da sehr schwammig. Wenn die österreichische Behörde es darauf anlegt, kann sie gegensteuern. Das muss man im Auge behalten.“
Die eben angesprochenen Start-ups befürchten eben diese Benachteiligung, erläutert Christoph Jeschke, Managing Director der Vereinigung Austrian Start-ups, auf Anfrage: „Die Auswirkungen auf Start-ups ist noch nicht absehbar, denn die Regulierungsbehörden könnten unter Umständen noch eingreifen.“ Das Beispiel Deutsche Telekom zeige aber, „wie bereits Big Corporates mit den Hufen scharren.“

Jeschke konkretisiert: „Wenn es hart auf hart kommt, dann streitet bspw. ein junges Start-up aus Tirol mit Facebook & Google um einen Platz auf der Datenautobahn. Die zusätzlichen Gebühren zur Priorisierung ihrer Services können sich Konzerne leisten, aber sicher nicht das neu gegründete Start-up aus Tirol. Die Netzneutralität hätte den freien Marktzugang gesichert – die jetzige Regelung kann genau das Gegenteil bewirken und somit Startups benachteiligen.“

Internet in den Haushalten
Entwicklung Internet Breitband
2002 34% -
2003 37% 10%
2004 45% 16%
2005 47% 23%
2006 52% 33%
2007 60% 46%
2008 69% 55%
2009 70% 58%
2010 73% 64%
2011 75% 72%
2012 79% 77%
2013 81% 80%
2014 81% 79%
2015 82% 81%


Quelle: Statistik Austria, Oktober 2015; betrifft Haushalte mit mindestens einem Haushaltsmitglied im Alter von 16 bis 74 Jahren.

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