„Konzerne muten dem LEH höhere Preise zu!”
© Lisi Specht für AK Wien
RETAIL Redaktion 28.06.2024

„Konzerne muten dem LEH höhere Preise zu!”

Tobias Schweitzer von der AK stellt dem LEH kein volles Unschuldszeugnis aus, aber es herrscht Einsicht.

••• Von Georg Sohler

Während andere Länder in die verschiedenen Märkte eingriffen, reagierte Österreich erst spät und dann auch noch nicht so, wie es besser wäre – davon ist Tobias Schweitzer, Bereichsleiter Wirtschaft bei der Arbeiterkammer Österreich, überzeugt. Mit dieser Meinung steht er nicht allein da.


medianet:
Die Inflation ist im Frühjahr in Österreich nach wie vor höher als im Euroraum – woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Tobias Schweitzer: Die Ursache liegt auch am Umgang der heimischen Politik mit der Teuerung. Die Inflation war hierzulande deutlich höher als in vielen anderen Ländern des Euroraums, wir waren regelmäßig unter den Top Drei bei der Inflationsrate. Die Regierung hat sich einfach nicht getraut, direkt in den Markt einzugreifen, insbesondere bei Wohnen sowie im gesamten Energiesektor. Man hat sich zwar dafür entschieden, im Nachhinein teilweise befristete Kompensationszahlungen auszuschütten, aber die Mieten sind ständig gestiegen, der Gaspreis ist sogar durch die Decke gegangen. Die gesetzten Maßnahmen wie die Strompreisbremse waren zu wenig, um die Inflation rasch nach unten zu bringen.

medianet: Spanien hat massiv in den Markt eingegriffen. Was ist schlecht an diesen ‚Bremsen'?
Schweitzer: Dort wurde bei Miete und Energie zeitnah gehandelt und verhindert, dass die Preise steigen. Es ist schlichtweg effektiver, schon vorab einzugreifen, denn obwohl die österreichischen Maßnahmen die Steigerungen etwas abmildern konnten, konnte der Markt vorher einfach wirken und das führt zur Inflation. Mit den Steigerungen sind die indexierten Mieten parallel raufgegangen, was wiederum die Inflation in die Höhe treibt. Um das zu kompensieren, haben sich durch starke Verhandlungen die Gewerkschaften durchgesetzt und sind Löhne und Gehälter entsprechend gestiegen.

medianet:
Würden Sie das spanische Vorgehen mittlerweile als Best Practice-Beispiel oder Vorbild bezeichnen?
Schweitzer: Dort hat man auch nicht alles perfekt gemacht und eben nicht davor zurückgeschreckt, zu intervenieren. Ein System, bei dem das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, ist in so einer Ausnahmesituation absurd. Wenn man sich die Ergebnisse der Energiekonzerne ansieht, sieht man, dass sie hierzulande gut verdient haben. In Österreich haben die Vermieter aufgrund der Indexierungen hohe Gewinne gemacht, die auch bleiben werden. Gleichzeitig sind die Kosten für die Vermieter selbst nicht dramatisch gestiegen. Aber wenn im Mietvertrag drinnen steht, dass man ab einem gewissen Inflationsrate die Miete erhöhen kann, wird das gemacht – dies wurde in Spanien oder Frankreich durch Deckelung verhindert.

medianet:
Die Teuerung betraf auch das produzierende Gewerbe. Genau dort, beim täglichen Einkauf, spüren die Menschen die Teuerung besonders. Lebensmittelproduzenten argumentieren, dass sie diese erwähnten Kostensteigerungen bis zu einem gewissen Punkt weitergeben müssen, weil sie auch ‚Passagiere' sind. Wie ist dieser Umstand aus Ihrer Sicht zu bewerten?
Schweitzer: In Summe muss man sich die Gewinnsituation in den einzelnen Branchen und Unternehmen ansehen und dieses Bild ist divers. Aber eines ist klar: Wenn Energie immer teurer wird und der Spielraum da ist, die Kosten auf die Konsumenten zu überwälzen, weil es um die Deckung von Grundbedürfnissen geht, wird das auch passieren. Das nimmt mit jeder Preissteigerung zu. Auch hier hätte ein früherer Eingriff geholfen, etwa durch eine Aussetzung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel. Das sieht mittlerweile auch die Wirtschaftsforschung ein, dass das ein Fehler war.

Die späte Einsicht, dass wir nun wirtschaftlich besser dastünden, wenn die Forderungen unserer AK-Experten umgesetzt worden wären, ändert leider nichts am aktuellen Status quo. Eine klare Analyse, was man besser machen hätte können, wäre notwendig – nicht, um zu jammern, sondern zu lernen.
Um konkret auf die Frage zu antworten: Wenn es nun um Lebensmittel geht, muss die gesamte Wertschöpfungskette analysiert werden – von den Landwirten über die Lebensmittelproduzenten bis hin zum Handel. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat keine starken Indizien gefunden, dass der LEH Zufallsgewinne gemacht hat. Die Produzenten wiederum muss man im europäischen Vergleich betrachten. Hier gibt es relativ starke Indizien, dass internationale Konzerne dem LEH und somit den Konsumenten in Österreich deutlich höhere Preise zumuten als etwa in Deutschland. Dieser Effekt hat übrigens nichts mit der aktuellen Inflation zu tun, wir beobachten diesen Österreich-Aufschlag bei internationalen Produkten schon lange.


medianet:
Es verdienen schon länger die ausländischen Hersteller, und nicht die heimischen Händler, mehr?
Schweitzer: Es gibt eine Untersuchung der Arbeiterkammer, dass idente Markenlebensmittel in Österreich mehrwertsteuerbereinigt im Schnitt um 24 Prozent teurer sind als in Deutschland; bei einzelnen Produkten sind sie hierzulande sogar doppelt so teuer. Der Händler muss für ein und dasselbe Produkt mehr zahlen und gibt das auch weiter. Die BWB sagt in ihrem Bericht, dass die Lebensmittelindustrie für gleiche Produkte entsprechend ihrer Länderstrategie teilweise unterschiedliche Preise verrechnet. Es gibt also die Bestätigung unserer AK-Untersuchungen durch die BWB.

medianet:
Betrifft das nur Produkte internationaler Hersteller?
Schweitzer: Wir können ja nur die Endpreise betrachten. Die Vermutung ist, dass die Lebensmittelindustrie österreichische Lebensmittelketten anders behandelt als deutsche. Was die BWB eben feststellt, ist, dass es klare Unterschiede im Pricing für den LEH gibt.

medianet:
Im Klartext – die Preistreiber sind nicht die vier heimischen Player?
Schweitzer: Der Markt ist überschaubar, das muss man im Blick behalten – aber wie es derzeit aussieht, ist der hoch konzentrierte Markt beim Österreich-Aufschlag nicht das Problem.

medianet:
Die Regierungsparteien glauben eher an den Markt, eine andere Regierungs-Konstellation hätte mehr eingegriffen – so weit, so bekannt. Aber wie schafft man es unabhängig davon, dass drei Paprika nicht fünf Euro kosten müssen und auch unsere im europäischen Vergleich klein strukturierte Landwirtschaft davon leben kann?
Schweitzer: Ich weiß nicht, ob alles mit der Größe der Betriebe zu tun hat. Die gesamte Landwirtschaft wird mit hohen Beträgen gefördert, die Subventionen sind von 2021 auf 2022 um zehn Prozent gestiegen. Gleichzeitig gab es hohe Einkommen, 2022 stiegen sie um 42 Prozent. Davon profitieren große Betriebe mehr. Es liegt also die Vermutung nahe, dass man in der Phase mit höheren Subventionen und somit höheren Gewinnen auch teilweise gut verdient hat. Entscheidend ist, dass wir eine gute Lebensmittelqualität haben, die zu für Menschen, Tiere und Umwelt vernünftigen Bedingungen produziert werden und in Summe leistbar bleiben. Auf diesen Spagat muss man sich mit Förderungen stärker fokussieren. Es sollen insbesondere jene Betriebe gefördert werden, die das erfüllen, damit sie die Preise entsprechend gestalten können.

medianet:
Es ist wohl mittlerweile allen klar, dass es armutsbetroffene Menschen gibt bzw. dass die Teuerung es vielen sehr schwer macht. Aber bellen wir in Sachen Lebensmittel den richtigen Baum an, wenn das Joghurt statt 80 Cent dann 90 kostet, obwohl es rechnerisch ein Plus von mehr als zehn Prozent ist? Es ist schwer vorstellbar, dass man dann auf ein Joghurt verzichtet …
Schweitzer: Insgesamt muss man darauf schauen, dass es leistbare, qualitativ entsprechende Produkte gibt. Vielleicht merken die Konsumentinnen die Preiserhöhung bei so kleinen Beträgen bei einem Produkt ja auch gar nicht, aber es betrifft nicht nur ein Produkt, sondern eine Vielzahl an Lebensmitteln. Man kann hier nicht mit kleinen Summen argumentieren. Beim Thema Energie und Wohnen fallen die Erhöhungen stark ins Gewicht und man kann sich ja nicht so einfach eine neue Wohnung suchen. Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Da verzichtet man dann eher auf eine wohlverdiente Urlaubsreise oder schränkt das Freizeitverhalten ein, geht nicht mehr ins Kino. Wir sehen ja auch, dass die Menschen in diesen Bereichen sparen müssen.

medianet:
Wir haben seit Jahren unterschiedlichste Krisen. Denken Sie, dass das Bewusstsein bei den Menschen da ist, dass wir eventuell einen anderen politischen Umgang damit brauchen?
Schweitzer: Es wäre an der Zeit, sich wirklich zusammenzusetzen und zu schauen, was man besser hätte machen können. Es gibt eine große Unzufriedenheit mit der Politik. Die Maßnahmen gegen die Teuerung und die Bilanz, wie die Regierung eingeschätzt wird, ist nicht besonders positiv.

Dazu kommt, dass die Sozialpartner, also wir als Arbeiterkammern gemeinsam mit der Wirtschaftskammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund und der österreichischen Landwirtschaftskammer, konkrete Vorschläge bei Energie, Wohnen und Co. frühzeitig auf den Tisch gelegt haben, die Bundesregierung aber nicht ins Handeln gekommen ist. Welchen Schluss wir letztlich an der Urne ziehen werden, kann ich nicht beurteilen, das wird der Herbst zeigen.


medianet:
Immerhin, die Sozialpartnerschaft ist wieder besser geworden. Interessanterweise denken übrigens viele Unternehmen ähnlich wie Sie, was die Maßnahmen betrifft …
Schweitzer: Ich habe letztes Jahr auch am Lebensmittelgipfel teilgenommen. Man hat mit allen Stakeholdern gesprochen, aber meine Vermutung ist, dass man schon wusste, was danach auf der Pressekonferenz gesagt werden wird. Auf die Umsetzung warten wir zudem noch immer. Wo ist die Preisdatenbank? Es ist so gut wie nichts von dem Besprochenen umgesetzt worden.

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