Das Phänomen Zeit in der Arbeits-Unschärferelation
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CAREER NETWORK Redaktion 23.08.2019

Das Phänomen Zeit in der Arbeits-Unschärferelation

Zeit ist Geld. Ob Timemanagement sich rechnet, hängt aber von einigen Faktoren ab, so Berater Philipp Belcredi.

••• Von Britta Biron


Bringt der 12 Stunden-Tag das von der Wirtschaft als notwendig erachtete Mehr an Flexibilität oder torpediert er den verständlichen Wunsch der Belegschaft nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance? Führt Teilzeit à la longue zwangsläufig ins Karriere-Aus und Überstunden zum Erfolg? Ist die 30 Stunden-Woche bei vollem Lohn eine praktikable Antwort auf die zunehmende Automatisierung? Wie hängen ­Länge der Arbeitszeit und Qualität der Leistung zusammen? Welche Auswirkungen hat die steigende Lebenszeit auf die Pensionssystem? Wie viel ihrer Arbeitszeit verbringen Führungskräfte in Meetings? Wie viel Arbeitszeit geht durch das Checken der Sozialen Medien verloren? – Solche und ähnliche Fragen sind Themen verschiedener Befragungen und Studien, und die Antworten und ­Ergebnisse sind oft widersprüchlich.

Zeit ist eben ein schwer fassbares Phänomen, aber ebenso wie Rohstoffe, Geld, Betriebsmittel oder Arbeitskraft eine für die Wirtschaft essenzielle Ressource und daher lohnt sich ein genauerer Blick. Dafür hat medianet Philipp Belcredi, Experte für systemische Managementberatung, zum Gespräch gebeten.


medianet:
Stimmt die Annahme, dass Zeit Geld ist?
Philipp Belcredi: Nur bedingt. Nicht alles, was Zeit in Anspruch nimmt, ist auch 1:1 in einen Geldwert übertragbar. Aber es besteht eine Relation zwischen Zeit und Qualität. Wir können auch im ökonomischen Kontext nicht alle Ressourcen in Geld übersetzen. Wir kennen das aus dem Prisoners-Dilemma oder auch beim Thema Umwelt. Was kostet es, dass unsere Kinder von uns eine Welt übernehmen die weniger Rohstoffe und dafür mehr CO2 in der Luft hat als je zuvor? Wir können den Betrag letztlich nicht exakt kalkulieren. Das Phänomen, dass Eingriffe in die Natur Kosten verursachen, ist trotzdem eine Tatsache.

medianet:
Worin unterscheidet sich die Zeit von anderen Ressourcen?
Belcredi: Zeit ist als einzige wirklich limitiert. Im Projektmanagement ist der Ansatz, von der Zeit weg zu planen, geübter. Aber im operativen Tagesgeschäft ist der Umgang mit Zeit oft so, als gäbe es das Phänomen schlichtweg nicht oder wäre es nicht so entscheidend. Das ist paradox und endet oft in Widersprüchlichkeiten, Reibungsverlusten und Kostenexplosionen sowie in aufwendigen Maßnahmen, die gesetzt werden müssen, um die nicht sauber kalkulierte Zeit bzw. die daraus resultierenden Konsequenzen zu kompensieren.

medianet:
Finanzielle Mittel oder Arbeitskraft sind aber in der Regel auch nicht unbegrenzt vorhanden.
Belcredi: Natürlich, aber wenn wir zum Beispiel für etwas kurzfristig zu wenig Geld haben, können wir den Engpass mit einer Fremdfinanzierung überbrücken. Daneben gibt es auch Ressourcen, die sich durch Nutzung nicht erschöpfen, wie zum Beispiel Wissen oder Vertrauen. Zeit lässt sich dagegen nicht teilen, strecken oder ausborgen. Der Tag hat einfach nur 24 Stunden. Trotzdem beginnen wir in vielen entscheidenden Fällen nicht von der Zeit weg zu planen, sondern vom finanziellen Budget.

medianet:
Woran liegt das?
Belcredi: Im Managementkontext hat es sicher oft mit der Entscheidungslogik zu tun. Damit, woran Konsequenzen bemessen werden. Wenn jemand sein finanzielles Budget übersteigt, hat das meist unangenehmere Konsequenzen, als wenn er oder sie eine begründete zeitliche Verzögerung argumentieren muss. Ein Beispiel: Um eine Ausschreibung zu gewinnen, wird bewusst bei der Ressourcenplanung getrickst. Wenn man den Auftrag dann hat, eröffnet man dem Kunden mitten im Projekt, dass es sich halt nicht so ausgeht wie geplant und ‚die Umstände' daran schuld sind. Letztlich läuft das dann auf eine deutliche Verzögerung des Projekts hinaus. Diese Kosten wurden aber nicht a priori in die Vertragsbedingungen einbezogen – nur die direkten Kosten. Ein anderer Grund kann sein, dass Zeit schwerer zu planen ist als Geld. Es ist eben nicht alles vorhersehbar, was in einem System aus wechselseitigen Abhängigkeiten passieren kann und sich damit auf die Zeit auswirken kann. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es überhaupt nützlich ist, die Ursachen, die von Fall zu Fall auch ganz unterschiedlich sein können, zu analysieren. Denn, was auch immer die Gründe sein mögen, das allein löst das Problem nicht, dass viele Führungskräfte nur in Geldbudgets denken, nicht aber in der Dreiecksbeziehung und wechselseitigen Abhängigkeit von Zeit, Geld und Qualität.

medianet: Wo muss man ansetzen, um den Zeitfaktor stärker in die Planung mit einzubeziehen?
Belcredi: Wie es im Projektmanagement schon üblich ist, kann ich auch als Führungskraft im operativen Tagesgeschäft bei allen Vorhaben und Projekten konsequent nach der Zeitachse fragen. Wie viel Zeit nimmt das in Anspruch? Bis wann schaffen Sie das? Und nachdem normalerweise nicht für jede Zusatzaufgabe auch zusätzliche Arbeitskraft rekrutiert werden kann, muss ich darauf achten, was sich im vorhandenen Zeitbudget realistisch ausgeht, ob und welche Dinge nach hinten gereiht oder aus der bisherigen Planung herausgenommen werden müssen oder ob eventuell Synergien gebildet und genutzt werden können. Um in der Führungs- und Managementarbeit gut mit Zeit umgehen zu lernen, muss man Zusammenhänge erkennen, sie in ein Verhältnis zu den begrenzten Ressourcen setzen und mehrere Schritte vorausdenken.


medianet: Das erfordert aber mehr Abstimmung, Kommunikation und auch Zeit.
Belcredi: Ja. aber in einem System hängt eben alles zusammen und jedes Einschleusen von Ungeplantem in einen Arbeitsprozess erzeugt – wie bei einem Produktionsprozess – Verzögerungen und Staus in anderen Bereichen. Wenn ich Geld genau budgetiere und Zeit nicht, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass es mich am Ende mehr kosten wird. Nicht auf den ersten Blick. Es gibt halt in Controlling-Sheets selten Zeilen oder Positionen für Kosten, die wegen Doppelgleisigkeiten oder Kollateralschäden entstanden sind. Selten wird angeführt, was es gekostet hat, dass jemand ein bestimmtes Ziel nicht erreicht hat, weil er ein anderes priorisiert hat. Den Umgang mit Priorisierung wirklich bewusst zu lernen und auszuüben, ergibt eine andere Managementqualität als situatives Agieren.

medianet:
Gibt es weitere Vorteile, abgesehen von der Vermeidung zusätzlicher Kosten?
Belcredi: Ja. Führungskräfte erkennen zum Beispiel, nach welchen Kriterien die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, Aufgaben bevorzugen und welche Dauer sie für deren ­Erledigung als notwendig erachten.

Bei diesen beiden Punkten kristallisieren sich erstaunlich oft schon vor Arbeitsbeginn sehr unterschiedliche Sichtweisen heraus. Die Zeit, die eine Führungskraft oder der Auftraggeber für einen bestimmten Arbeitsprozess bemisst, muss mit jener, die ein Mitarbeiter dafür zu brauchen meint, überhaupt nicht übereinstimmen.


medianet: Erzeugt das nicht zusätzliche Konflikte und Verzögerungen?
Belcredi: Sich mit dieser Unterschiedlichkeit der Sichtweisen zu beschäftigen, kostet zwar vordergründig auch etwas Zeit, erspart beiden Seiten aber andererseits später im Arbeitsprozess ein mehrfaches dieser Zeit, um Überraschungen, Missverständnisse, daraus entstandene Fehlleistungen und Konflikte wegen unter­schied­licher Erwartungen wieder ­auszugleichen und zu korrigieren.

Wenn Auftraggeber und Auftragnehmer, Chef und Mitarbeiter, Kollege und Kollege usw. von Anfang an auch gemeinsam über die für eine Arbeit notwendige Zeit im Austausch sind, lernen die beiden einander besser kennen und einzuschätzen. Und sie professionalisieren dabei ihre Arbeit um eine entscheidende Dimension, die Zeit.

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