„Wir haben sehr lange darauf hingearbeitet”
© Martina Berger
MARKETING & MEDIA Redaktion 25.10.2024

„Wir haben sehr lange darauf hingearbeitet”

Corinna Drumm (VÖP) und Joachim Feher (RMS) über die Führung in der wichtigen werberelevanten Zielgruppe.

••• Von Dinko Fejzuli und Jakob Klawatsch

Der letzte Radiotest markierte eine Zeitenwende: Erstmals hat die RMS Top Kombi – eine Kombination aus rund 50 Privatradiosendern – in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen einen höheren Marktanteil (49%) als das ORF-Gesamtangebot (47%). Zudem ist die RMS Top Kombi mit 44% Tagesreichweite bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen das meistgehörte Radio-Angebot in Österreich, deutlich vor Ö3 mit 33% Tagesreichweite.

Joachim Feher, Geschäftsführer der Radio Marketing Service Austria (RMS), und Corinna Drumm, Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Privatsender (VÖP), im medianet-Interview über den Meilenstein beim Radiotest, wo beim ORF nachgeschärft werden muss, wie man Werbegelder in Österreich behält und was die Forderungen an die neue Bundesregierung sind.


medianet:
Die RMS hat erstmals die Gesamtmarktführerschaft in der werberelevanten Zielgruppe sowohl bei den Tagesreichweiten als auch bei den Marktanteilen vom ORF übernommen beziehungsweise zum Teil deutlich ausgebaut und liegt damit nicht nur vor Ö3, sondern auch vor dem ORF-Gesamtangebot in der Zielgruppe 14–49. Bei der Gesamthörerschaft führt der ORF noch mit seinem Angebot, aber welchen Stellenwert hat das Überholen der ORF-Sender in der für die Werbewirtschaft wichtigen Zielgruppe nun für die RMS?
Joachim Feher: Ich bin seit über sieben Jahren bei der RMS und in dieser Zeit haben wir immer daran gearbeitet, Ö3 zu überholen. Erstmals waren wir vor zwei Jahren knapp vorne. Dass wir jetzt zum allerersten Mal auch vor dem ORF-Gesamtangebot liegen, zeigt, welche Dynamik im Radiomarkt in den letzten Jahren entstanden ist. Dass wir diesen Schritt geschafft haben, ist ein riesiger Meilenstein.
Corinna Drumm: Die Zahlen bedeuten, dass die Menschen in der werberelevanten Zielgruppe in Österreich erstmals mehr Zeit mit den Privatradios als mit allen ORF-Radios verbringen. Ich bin überzeugt, dass dieser Meilenstein auch deshalb erreicht wurde, weil wir im Privatradio besonders engagierte, leidenschaftliche und professionelle Mitarbeiter haben.

medianet:
Die RMS Top Kombi verzeichnet, wie jetzt mehrfach erwähnt, eine höhere Tagesreichweite als Ö3. Das Gegenargument des ORF ist – und Sie wissen, was jetzt kommt –, dass Ö3 nur ein Sender ist und die RMS aus knapp 50 Sendern besteht. Was sagen Sie dazu?
Feher: Der Vergleich hinkt, weil es in den Sendegebieten große Unterschiede gibt. Von unseren 50 Sendern sind viele regional oder lokal.

Andere Sender werden nicht über UKW, sondern über DAB+ übertragen und haben daher, im Gegensatz zu Ö3, keine flächendeckende Versorgung in Österreich.
Bei der Werbewirkung hinkt der Vergleich noch mehr. Niemand zwingt Menschen, einen bestimmten Radiosender zu hören; sie hören den Sender ihres Vertrauens, bei dem sie sich wohlfühlen und der ihren Geschmack trifft. Das gilt für die Werbung genauso. Ich finde, ein buntes Puzzle ist interessanter als ein fades, einfarbiges Bild.


medianet:
Merken Sie beim Buchungsverhalten der Kunden und Agenturen eine positive Veränderung, nachdem jetzt mehr Menschen in der werberelevanten Zielgruppe mehr Privatradio hören als ORF-Sender?
Feher: Wir sehen mit jedem Radiotest, dass es in die richtige Richtung geht. Es wäre aber wichtig, dass die aktuellen Marktverhältnisse ganz Österreich durchdringen. Ich finde, es könnte schneller gehen, der Markt ist ein bisschen träge. Vor allem bei den Auftraggebern ist der Glaube an Ö3 noch viel stärker, als die Zahlen das hergeben.

medianet:
Sie sprechen den Umstand an, dass Ö3 als Marke in den Köpfen der Kunden relevanter ist, als es die Zahlen vermuten lassen.
Feher: Ö3 hat eine lange Tradition. Dennoch gibt es Bundesländer, in denen Sender von uns seit über 25 Jahren am Markt sind und ganze Generationen mit diesen Sendern aufgewachsen sind. Daher werden wir auch nicht müde zu betonen, dass RMS nun größer in der werberelevanten Zielgruppe ist als der ORF.

medianet:
Wird sich die Situation verändern, weil die Menschen, die in die Agenturen nachrücken und dort für die Mediapläne verantwortlich sind, nicht nur mit den ORF-Radios, sondern mit mehr Privatsendern groß geworden sind?
Feher: Wir haben einen zunehmend großen Anteil der Bevölkerung, die mit mehr Privatsendern aufgewachsen und sozialisiert worden sind als mit den ORF-Sendern. Damit entsteht bei diesen Menschen eine neue, andere Bindung zu Privatsendern. Das ist sicher mit ein Grund, dass wir über die letzten Jahre an Reichweite dazugewonnen haben.

medianet: Österreich ist ja recht spät in den dualen Markt gestartet. Frau Drumm, wäre diese Entwicklung im österreichischen Radiomarkt früher passiert, wären damit die Rahmenbedingungen bzw. die Entwicklung der letzten Jahre für die Privatradios heute besser beziehungsweise schneller vorangeschritten?
Drumm: Die Rahmenbedingungen für Privatradio waren in Österreich nie gut. Privatradios mussten immer kämpfen, während der ORF seit jeher eine privilegierte Position hatte und auch nach wie vor noch hat.

medianet:
Was genau meinen Sie damit?
Drumm: Der ORF bekommt eine umfangreiche öffentliche Finanzierung. Dennoch hat er sehr viele kommerzielle Inhalte in seinen Programmen. Da gibt es einen Zielkonflikt zwischen Programmauftrag und Werbeerlösmaximierung, der sich nachteilig auf die Entwicklungspotenziale des Privatradiomarkts auswirkt. Privatradio hätte sich schneller und besser entwickeln können, wenn man den ORF klarer auf den Kern des öffentlich-rechtlichen Auftrags fokussiert hätte, mit weniger starker Werbeintensität.

medianet:
Die ORF-Radios sind qua Gesetz schon dazu verpflichtet, für alle da zu sein, sprich, dass sie auch die gesamte Breite des Angebots anbieten müssen. Sie tun das je nach Sender mehr oder weniger akzentuiert – bei Ö3 eben mehr Unterhaltung und bei Ö1 mehr Information.
Drumm: Da der gesamte ORF öffentlich finanziert wird, sollte der gesetzliche Programmauftrag auch für jedes einzelne ORF-Angebot gelten, somit sollte auch jeder ORF-Radiosender den Programmauftrag erfüllen müssen. Zudem sind die Vermarktungsmöglichkeiten im ORF zu weitreichend, was zu einem sehr großen Druck auf den Werbemarkt durch diesen subventionierten Marktteilnehmer führt.

medianet:
Kommen wir zum vor allem für die Privatsender wichtigen Werbemarkt zurück – die Zahlen der Werbe- bzw. der Digitalabgabe zeigen, dass brutto mehr Werbegeld an die Big Five (Alphabet/Google, Amazon, Apple, Meta und Microsoft) als an alle österreichischen Medienkanäle fließt. Wird dieses Ungleichgewicht zunehmen?
Drumm: Im ersten Halbjahr 2024 steigerten die großen Online-Plattformen ihre Umsätze um fast 20 Prozent, während klassische Medien (in Österreich) bei plus vier Prozent liegen. Ohne effektive Gegenmaßnahmen wird das in Zukunft so weitergehen.

medianet:
Spricht man über Werbung bei den digitalen Giganten, so spricht man gleichzeitig auch immer von der Treffsicherheit der ausgespielten Spots für eine ganz bestimmte Zielgruppe. Was kann für Auftraggeber eine Werbekampagne im Radio attraktiver machen als eine Facebook-Kampagne oder eine Kampagne auf anderen digitalen Plattformen?
Drumm: Radio und Fernsehen sind die am strengsten gesetzlich regulierten Mediengattungen in Österreich. Dadurch wird für die Werbekunden und Hörer ein sicheres Umfeld geboten, denn es gibt zum Beispiel keine Gewaltinhalte, Fake News oder Hate Speech. Die Auftraggeber müssen sich überlegen, ob sie mit einer Kampagne auf einer digitalen Plattform die Marke oder das Produkt einem Umfeld aussetzen wollen, das nicht qualitätsgesichert ist.

medianet:
Welche Rolle spielt der demokratiepolitische Aspekt, als Auftraggeber auch in heimische Medien zu investieren, oder ist das ein Luxusgedanke, den man sich nicht leisten kann?
Feher: Generell muss man sich den Wert einer vielfältigen, qualitätsvollen österreichischen Medienlandschaft immer wieder bewusst machen. Und wenn immer mehr Werbegelder aus Österreich abfließen, fehlt dieses Geld, um hier vor Ort Qualitätsinhalte zu refinanzieren, wodurch die Vielfalt geringer wird. Das ist für die Gesellschaft nicht gut und auch nicht für die Werbetreibenden, weil es auch für sie sinnvoll ist, wenn sie mehrere Möglichkeiten haben.

medianet:
Warum verstehen das österreichische Auftraggeber offenbar nicht?
Feher: Oftmals ist es die Einfachheit bei der Buchung bei digitalen Plattformen. Bei der RMS arbeiten wir intensiv daran, Radio programmatisch buchbar zu machen. Die neuen Generationen in Agenturen sind programmatisch groß geworden und wollen einen traditionellen Einkaufsweg nicht mehr gehen. Das sind oftmals solche banalen Dinge, wo wir uns daran anpassen müssen, wie Prozesse heute laufen.


medianet:
Frau Drumm, der VÖP hatte schon vor der Nationalratswahl eine Initiative gestartet, in der die medienpolitische Forderungen an die Politik skizziert werden. Die Parteien verhandeln noch, und es gibt noch keine neue Regierung. Wwas sind denn Ihre Forderungen an die neue Führung, egal wie sie dann aussehen mag?
Drumm: Ein wichtiger Punkt ist die Unterstützung und Förderung des österreichischen Medienstandorts, vor allem des heimischen Rundfunkmarkts. Die Privatrundfunkförderung ist deutlich unterdotiert und muss erhöht werden. Außerdem müssen die digitalen Plattformen mehr in die Verantwortung genommen werden und aktiv zur Förderung des Medienstandsorts beitragen. Ein Beispiel hierfür ist unsere Forderung, dass österreichische Medienangebote in der Online-Welt, egal auf welchem Endgerät, für österreichische Konsumenten sehr leicht auffindbar gemacht werden.

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