••• Von Georg Sohler
Sven Voth hat mit Snipes geschafft, wovon viele Brands träumen: Er hat aus der Streetwear- und Lifestylemarke ein Lebensgefühl für seine junge Zielgruppe entwickelt. In diese Richtung arbeiten Kundenbindungsprogramme: Loyalität aus Emotion heraus, nicht wegen Incentives in Form von Rabatten. Das zu erreichen, ist eine Herausforderung. Die wichtigsten Aspekte diskutierten auf Einladung von medianet-Herausgeber Oliver Jonke neben Sven Voth einige Forscher und Entscheider: Ernst Gittenberger (JKU), Cordula Cerha (WU Wien), Dominik Hackl (Obi), Walter Lukner (Payback), Hermine Straka (Kastner & Öhler) sowie Georg Kafka (Evol.X). Zunächst ging es einmal darum: Wo steht Loyalty im wirtschaftlich schwierigen Jahr 2025. Die Beantwortung obliegt der Wissenschaft.
Fakten gegen Gefühle
Gittenberger ist Senior Scientist am Institut für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) an der JKU Linz und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens kohlrossgittenberger|entwicklungsräume. Er zitiert zunächst eine IHaM-Studie aus dem LEH. Dieses Feld wählte man, weil die meisten Menschen mindestens wöchentlich einkaufen und fast alle in irgendeiner Form ein Kundenbindungsprogramm in diesem Bereich nutzen.
Die Ergebnisse zeigen, dass finanzielle Anreize die Hauptgründe für die Nutzung von Stammkundenprogrammen sind – insbesondere exklusive Rabatte (88%) und Belohnungen (82%). Informationsvorteile und personalisierte Angebote spielen eine nachgelagerte Rolle (56–65%). Interessant ist: Emotionale Motive wie Wertschätzung (54%) oder Zugehörigkeit (39%) sind weniger relevant (Mehrfachnennungen der Gründe möglich). „Wir haben die Studie provokant ‚Liebe gegen Punkte‘ genannt“, führt Gittenberger aus. Selbst wenn die Geldvorteile von Kundenbindungsprogrammen, hypothetisch gesprochen, wegfallen würden, passiert auf den ersten Blick wenig: „Wir wissen, dass zwar die Wechselbereitschaft steigt und die Einkaufshäufigkeit sinkt, aber 80 Prozent der Konsumenten bleiben dem Geschäft zunächst einmal treu.“ Sein Attest: Unternehmen bewegen sich im Spannungsfeld von incentivierter und echter Loyalität.
Was sollen die Leute denken!
Allerdings lassen sich Erkenntnisse aus dem LEH nicht generell anwenden, wie Cordula Cerha anmerkt. „Die Frage ist immer, zu wem man loyal ist. Die Kunden sind verschiedenen Einzelhändlern gegenüber und je nach Shopping Mission treu“, meint sie, die als Senior Lecturer Praxistransfer & Kooperationen an der WU Wien forscht. Sinngemäß: Es ist aus ihrer Sicht fraglich, ob jemand treu ist – nur weil er eine Karte hat oder ein Programm nutzt. Dass es in Sachen Loyalty oft um mehr als rationale Kaufentscheidungen geht, zeigt Hermine Straka, die für die Kundenbeziehung beim Grazer Traditionsunternehmen Kastner & Öhler zuständig ist. Ihr Beispiel illustriert, wie emotional die Kundenbindung sein kann. Seit 35 Jahren gibt es ein Programm in Form einer Karte. „Bis vor Kurzem hatten wir bei unserem Kundenbindungsprogramm nur eine physische Karte mit zwei Status-Leveln: Silber und Gold, diese richteten sich nach der Höhe des Einkaufs pro Kalenderjahr. Nach einem Downgrade haben uns wirklich Kunden angerufen, ob sie weiterhin die Goldkarte verwenden können, auch wenn sie im Moment nur die Vorteile der Silberkarte nützen können.“
Kenn mich, servicier’ mich
Es ging den Menschen dabei nicht primär um die mit der Karte angebotenen Vorteile wie Rabatte oder Service, sondern den Status – à la: Wie sieht das denn aus, wenn ich nicht mehr die Gold-Karte in meiner Geldbörse habe? Mit Einführung der App können die Kunden ihre Karte auch digital nützen und es gibt jetzt drei Status-Level, die in der App optisch getrennt sind: „Ob sich durch die digitale Nutzung der Karte die emotionale Bindung in Bezug auf den Gold-Status ändert, können wir noch nicht abschätzen.“ Wie tief Verbundenheit tatsächlich reicht, zeigt sich insbesondere dann, wenn Systeme umgestellt werden müssen.
Das bestätigt Georg Kafka, heute Head of Consulting bei Evol.X, der den CRM-Umstieg bei K&Ö verantwortete. „Wir wussten, dass Menschen es schätzen, wenn wir uns an sie erinnern. Deshalb haben wir den Daten-‚Torso‘ der Nutzer beibehalten – selbst, wenn sie längere Zeit nicht bei K&Ö eingekauft hatten. Vereinfacht gesagt, konnte das neue CRM auf die extern gespeicherten Informationen zugreifen und die Kundinnen und Kunden wiedererkennen.“
Monetäre Vorteile dürfen zwar nicht fehlen, doch entscheidend ist das Gefühl, erkannt zu werden und beim Einkauf echten Komfort und Service zu erleben.
Andere Anforderungen
Dieser Aspekt spielt unterschiedliche Rollen. Noch entscheidender ist das bei einem Baumarkt, wie Dominik Hackl berichtet. „Im LEH wollen die Menschen etwas kaufen und gehen wieder, niemand fragt, wie man ein Schnitzel paniert“, so der Team Lead Brand & Communication bei Obi Österreich. „Zu uns kommen die Kunden und wollen Expertise. Sie wollen nicht nur Fliesen kaufen, sondern gleich noch wissen, wie ein Bad renoviert werden kann.“ Eine Herausforderung für so gut wie alle Bereiche abseits von Konsumgütern des täglichen Bedarfs.
Neben der Beratung im Markt bietet Obi in der Hey-Obi-App unter anderem Videos an, die das Einkaufserlebnis erweitern und verbessern. Analysen anonymisierter Kundendaten zeigen, dass diese Maßnahmen den Umsatz deutlich steigern. Das Smartphone dient dabei als zentrales Werkzeug. Doch ist die klassische Kundenkarte damit bereits überholt? Keineswegs, betont Payback Austria-Geschäftsführer Walter Lukner. Nach wie vor gibt es viele Menschen, die bevorzugt etwas Physisches in der Hand halten möchten – sei es ein Pickerl, eine Broschüre oder eine klassische Karte.
Die Umsetzung entscheidet
Auch wenn das nicht alle am Tisch so sehen, formuliert Lukner deutlich: „Ich bin nicht der Lehrer der Kunden. Wir haben ein großes System mit 2,3 Millionen Karten und eine App mit 600.000 Unique Visitors pro Monat – das spricht für sich.“
Aus der Erfahrung eines Multipartnerprogramms zeigt sich für ihn zudem, dass Loyalty gerade außerhalb des Lebensmittelhandels und jenseits von Statusüberlegungen eine bedeutende Rolle spielen kann. Beispiele wie Miles & More oder exklusive Kundenvorteile verdeutlichen das.
Letztlich gehe es bei Kundenbindung weniger um A-Kunden, sondern vielmehr darum, B- und C-Kundinnen und -Kunden in eine stabile, wiederkehrende Beziehung zur Marke zu bringen. „Relevanz, Einfachheit, Vertrauen sowie gute Unterhaltung sind die Erfolgsfaktoren für eine gelungene Kundenbindung. Entscheidend ist jedoch die Umsetzung“, betont er. Doch selbst die beste Umsetzung bleibt wirkungslos, wenn der Kunde sich schon entschieden hat. Den Einfluss dieses frühen Opportunismus dürfe man nicht unterschätzen, wie Voth anmerkt.
Entweder-oder
„Die Entscheidung, zu welchem Retailer ich gehe, fällt aus unterschiedlichsten Gründen schon weit, bevor ich überhaupt ein Loyalty-Programm in Anspruch nehme“, führt Voth aus. Er gehe, eher zufällig, eben zu Obi und nicht zu Bauhaus oder Hornbach: „Ich bin jüngst umgezogen und habe natürlich Heimwerkerbedarf. Aber ich habe nicht nach Baumarkt gesucht, sondern nach Obi. Ich werde also nie woanders landen.“ Den Gedanken kann man weiterspinnen: Für viele heißt es Apple oder Android, McDonald’s oder Burger King, Snipes oder Footlocker.
Um zu so einer Marke zu werden, konzentrierte sich Snipes auf die Subkultur und ein breites sowie zuweilen exklusives Sortiment, Partnerschaften mit Szenestars und On- und Offline-Präsenz inklusive Events – was wiederum die Community bespielt. „2019 hatten wir mit BMX-Events, Autogrammstunden und Performances 288 Eventtage, mit unserem hauseigenen Radio und der Online-Präsenz waren wir 24/7 für unsere Kunden da“, listet er auf, was gut funktionieren kann. Und dann passiert eben, was in der Headline steht.
Anspruch und Wirklichkeit
Diesen Erfolg möchte er mit Higgins wiederholen, allerdings im Einstiegspreissegment, aber auch mit einem gewissen Extra. So hat Maskottchen Mr. Higgins, ein Fuchs, schon ein Album auf den Markt gebracht. Die Zielgruppe ist breiter, die Experience, die man mit Snipes generiert hat, soll aber hierbei ebenfalls eine Rolle spielen. Das Kundenbindungsprogramm ist laut Voth „quasi via Social Media“ aufgestellt. Dort ist das Targeting bekanntlich einfach, mit dem Wermutstropfen, dass die Werbeeuros nicht im Lande bleiben.
Dabei sind es gerade die Daten, die Kundenprogramme so besonders machen. Genau hier liegt jedoch ein Problem, wie Cerha betont. Etwa im Bereich, wie wir als Gesellschaft damit umgehen: „Wenn wir etwas brauchen, sind wir mit der Zustimmung recht schnell.“ Zu AGBs wird schnell zugestimmt, aber: „Bei Kundenbindungsprogramme hat man den Eindruck, dass irgendwer irgendwo schaut, was wir einkaufen.“ Also gibt es Menschen, die bei Loyaltyprogrammen falsche Namen oder Adressen angeben. Gegebene Antworten bei Befragungen und das Verhalten unterscheiden sich öfters, erklärt sie.
Das betrifft ebenfalls die angebliche Kaufzurückhaltung. Die Münchner Wiesn gesperrt, der Flughafen Wien verzeichnet Passagierrekorde – der Handel sieht sich also dennoch insgesamt einem zuweilen schwer einschätzbaren Wesen namens Kundschaft gegenüber. Gittenberger bestätigt eine Abflachung der Zurückhaltung auf Basis halbjährlich durchgeführter Erhebungen zur Konsumstimmung im Land.
KI: Fluch und Segen
Lukner folgert daraus: Entscheidend ist, die richtigen Leistungen anzubieten – dann lassen sich sowohl Frequenz als auch Bonhöhen steigern. Unterstützt wird dieser Prozess zunehmend durch neue, KI-gestützte Möglichkeiten. So kann überall dort, wo entsprechende Daten vorhanden sind, in Zukunft wohl hyperpersonalisiert beworben werden. Noch kundenzentriertere Relevanz, Angebote und Preise sowie die Verschränkung mit Omnichannel können die Umsätze bei A-Kunden anheben und die B- und C-Kundschaft zielgerichteter ansprechen.
Doch kein Vor- ohne Nachteil: Was, wenn der KI-Bot Einkaufslisten erstellt und bestellt? Da erscheint es umso wichtiger, aktuell mit den Kunden in eine Beziehung zu kommen. Das Live-Erlebnis wird an Bedeutung gewinnen. „Wir setzen auf Inspiration und den Wohlfühlfaktor sowie bestes Service, denn nur so entsteht eine starke Beziehung“, meint dazu Straka. Aus Sicht der Forschung heißt das zweierlei. Gittenberger: „Wer Loyalität will, muss eine Beziehung gestalten – und je emotionaler diese ist, desto stärker ist sie.“ Cerha: „Wenn dieses Werteversprechen stimmig ist, stifte ich Zufriedenheit.“ Womit sich der Kreis zur Headline schließt: Snipes ist ein Treffpunkt, das Einkaufssackerl ein Lifestyle-Statement – das ist eine emotionale Beziehung.
Strategische Weiterentwicklung
Holcim Österreich begrüßte mit 1. November 2025 Andreas Ruckhofer als neuen Head of Sales. Ruckhofer folgte in dieser Position Gernot Tritthart, der – ebenso mit 1. November –
