Wenn das Echo in die Irre führt
MARKETING & MEDIA Redaktion 24.05.2024

Wenn das Echo in die Irre führt

Warum dominiert das Gezänk am digitalen Stammtisch die Themen im politischen Diskurs?

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

IRREFÜHREND. „Studien zeigen: Je lauter politische Minderheiten in den Sozialen Netzwerken schreien, desto stiller wird die demokratische Mehrheit. (…) Dadurch wird die Wahrnehmung im politischen Diskurs verzerrt” – heißt es in der aktuellen Ausgabe der Publikation Max Planck Forschung des gleichnamigen Instituts in einem klugen Beitrag, der sich damit sozialwissenschaftlich und juristisch auseinandersetzt („In der Echokammer”). Fazit: Freiheit in den Sozialen Medien ist eine Illusion, kommerzielle Algorithmen diktieren die Inhalte. Durch Echokammern und Belohnungssysteme sind Menschen besonders anfällig für Propaganda und Falschinformation. Und: Die Nutzung Sozialer Medien hat nachweislich negative Effekte auf das Vertrauen in demokratische Institutionen.

Jetzt sind diese Schlussfolgerungen nicht ganz neu, das Phänomen der Echokammern wird seit Jahren bejammert. Faszinierend ist jedoch, wie lautstark dieses Echo im Agendasetting der Politik widerhallt. Die Politik lebt, so heißt es, von Motiv- und Meinungsforschung, denn: Wie sonst kann man dem Wahlvolk am besten sein Ohr leihen? Doch das Geschrei am digitalen Stammtisch wirkt besser.

Lesen Sie am Beispiel aktueller Jugendstudien nach, welche Themen die Jugendlichen bewegen. „Woke, vegan und ängstlich?” (© Kurier) sind sie mehrheitlich nicht. Dennoch wanderte nach wilden Social Media-Fehden zur Geschlechtsinkongruenz ein Sonderzeichen-Verbot in den „Österreich-Plan” des Bundeskanzlers, ein Schnitzel zu posten gilt als Bekennerschreiben rechtskonservativer Splittergruppen und die Homeschooling-Periode als Auslöser einer beispiellosen psychischen Erkrankungswelle.

Der False Consensus, der für das Wohlgefühl in der eigenen Blase sorgt („Alle denken so wie ich”), verfälscht die politische Debatte („Das sind die Themen, die die Menschen bewegen”). Wie wir da wieder rauskommen? Weniger Sensation, mehr „echte” Nachrichten. Der Pflegenotstand ist letztlich wichtiger als Lena Schillings WhatsApp-Tratsch.

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