Fabrik von morgen
© Daimler
Modulare Motorenfertigung für hohe Flexibilität bezüglich unterschiedlicher Varianten: Das AMG-Werk in Affalterbach ist eines der Fallbeispiele in der neuen Studie.
MOBILITY BUSINESS Redaktion 12.03.2021

Fabrik von morgen

Selbstorganisierende, flexible Produktion statt Fließband: Studie zur Autofabrik der Zukunft erschienen.

KARLSRUHE. Wie kann die Automobilproduktion in Zeiten immer größerer Variantenvielfalt und immer schnellerer Produktzyklen wettbewerbsfähig bleiben? Die neue Studie „At the end of the line – how automakers can embrace flexible production” sieht die Lösung zumindest für das Premiumsegment in einer intelligent vernetzten, sich selbst organisierenden Fertigung.

Statt auf dem Fließband navigiert die Karosse auf einem fahrerlosen Transportsystem durch die Fabrik, auf einem individuell optimierten Kurs zwischen den modularen, vielfältig einsetzbaren und voll vernetzten Maschinen und Anlagen. Dahinter steckt eine digitalisierte, KI-getriebene Selbstorganisation, die sich nicht auf das Werksgelände beschränkt, sondern sich über die komplette Supply Chain erstreckt.

Überlegungen sind nicht neu

Das bedeutet ein Umdenken gegenüber dem heute etablierten Perlenketten-Prinzip, wie die Studienautoren von Strategy& Deutschland, der Strategieberatung von PwC, und dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) schreiben. Der Aufwand könne sich aber binnen kürzester Zeit amortisieren.

„Die Idee einer selbstorganisierenden Produktion findet sich schon in den ersten Dokumenten zu Industrie 4.0 – und selbst damals war sie nicht neu”, erläutert Olaf Sauer, einer der Autoren der Studie.

Produktionsvielfalt steigt

Stand der Technik in Karosseriebau, Lackierung und Montage ist derzeit das Steuerungsprinzip der Perlenkette, durchgängig umgesetzt bis hin zur „Just-in-Sequence”-Anlieferung: Die Bauteile kommen in genau der passenden Reihenfolge für die zu fertigenden Fahrzeuge beziehungsweise Perlen.

„Die zunehmende Vielfalt von Fahrzeugtypen, -varianten und -derivaten bringt das Perlenketten-Prinzip aber an seine Grenzen”, erklärt Sauer, der am Fraunhofer IOSB das Geschäftsfeld Automatisierung und Digitalisierung koordiniert. „Zum Beispiel kann der tatsächliche Arbeitsinhalt und -aufwand eines bestimmten Bearbeitungsschritts von Fahrzeug zu Fahrzeug stark schwanken – trotzdem muss für alle eine einheitliche mittlere Taktzeit gelten.” Ebenso sei die erforderliche Wandlungsfähigkeit in diesem Rahmen schwer umzusetzen.

Flexiblere Strategie notwendig

Standard sind heute automatisierte Betriebsmittel, die auf spezielle Baureihen, Motorvarianten oder Montageumfänge ausgelegt sind. „Solche Anlagen sind bei hoher Auslastung sehr effizient – aber schwankt die Nachfrage, wie etwa jetzt in der Coronakrise, werden die Fixkosten zum Problem”, so Sauer. Nötig für eine kostengünstige Herstellung unter diesen Umständen seien flexiblere Anlagen, universeller einsetzbare Betriebsmittel und eine modularisierte Fertigung, die sich ohne hohen Engineering-Aufwand für neue Aufgaben umrüsten lässt.

Zahlreiche Herausforderungen

„Das umzusetzen, ist natürlich anspruchsvoll – aber mit dem heutigen Stand der Technik möglich und wirtschaftlich lohnend, wie einige Beispiele beweisen, die wir in der Studie näher beleuchten”, sagt Sauer. Zu den Herausforderungen zählen die permanente Lokalisierung und Online-Verfolgung der Karossen, Bauteile und Transportmittel sowie die Simulation und die operative Steuerung des gesamten Systems.

Selbstorganisation findet aber nicht nur in der Fabrik statt, sondern kann auch auf der Ebene weltumspannender Lieferketten helfen. „Zulieferer übergeben nur ungern die Planungshoheit und damit vertrauliche Informationen an einen zentralen Supply-Chain-Orchestrator”, erklärt Sauer abschließend. Selbstorganisation und agentenbasierte dezentrale Planung würden allerdings einen Ausweg aus dem Dilemma ermöglichen. (red)

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL