Wien/Berlin/Shanghai. An den chinesischen Börsen spielt es seit Wochen Granada. Noch im Juni waren die Aktienmärkte dort von Rekord zu Rekord geeilt. Seither hat der Shanghaier Index rund ein Drittel an Wert verloren – der größte Kursrutsch seit mehr als 20 Jahren. Und die Furcht vor einer Finanzkrise „made in China” wächst daher.
Die Börsenaufsicht setzte am Mittwoch den Handel mit 500 weiteren Aktien aus, nachdem sie schon in den Tagen zuvor zu ähnlich drastischen Maßnahmen gegriffen hatte. Damit konnte fast die Hälfte der an den Börsen Shanghai und Shenzen notierten Dividendenpapiere weder ge- noch verkauft werden. Dies verschärfe das Problem sogar noch, so Analysten, denn je mehr Kleinwerte vom Handel ausgesetzt sind, desto mehr verkaufen Anleger – um das Risiko zu minimieren – Standardwerte.
Nur vorgezogene Schritte?
Dabei versucht die chinesische Regierung seit Tagen einiges, um gegenzusteuern: Neue Börsengänge wurden vorerst ausgesetzt, die Liquidität stark ausgeweitet. Wertpapierhändler und Investmentfonds wurden zu längerfristigen Aktienkäufen verpflichtet. Auch kündigte die Zentralbank an, Wertpapierhändlern beim Aktienkauf auf Pump unter die Arme greifen zu wollen. Darin sehen die Experten der Deutsche Asset & Wealth Management (DAWM) „lediglich vorgezogene Schritte im langfristigen Liberalisierungsprozess”, die chinesische Wirtschaft sei stabil, die Politik stark.
Die 21 größten Börsenmakler des Landes kündigten zur Stützung an, gemeinsam umgerechnet mindestens 17,3 Mrd. Euro in Wertpapiere zu investieren. Es würden keine Dividendenpapiere mehr verkauft, bis sich der Shanghaier Leitindex auf über 4.500 Punkte erholt habe. Der Shanghai A Shares-Index sackte am Mittwoch weiter ab – auf unter 3.700 Zähler. Die Broker wollten zudem eigene Aktien zurückkaufen. Unterstützung erhielten sie von den Chefs der 25 größten Fondshäuser Chinas; sie sicherten zu, Aktienfonds auch selbst zu zeichnen.
Gunst der Stunde nutzen
Die Regierung riet zudem staatlichen Banken und Versicherern von Panik-Verkäufen ab. Sie sollten stattdessen die Gunst der Stunde nutzen und ihre Anteile an börsenotierten Unternehmen ausweiten, so der Wunsch des Finanzministeriums der Volksrepublik. Die Panik vom Mittwoch weitete sich auf Börsen in Nachbarländern aus und stürzte auch die Rohstoffmärkte in Turbulenzen. Die Preise für Eisenerz und Stahl fielen in China auf ein Rekordtief, Kupfer war mit umgerechnet 5.575 Euro so billig wie zuletzt vor sechs Jahren; in den Strudel geriet auch Öl. Am Devisenmarkt flüchteten viele inden japanischen Yen, der als „siche-rer Hafen” Asiens gilt. Der Nikkei-Index der Tokioter Börse dagegen sackte ebenfalls ab. Und in Deutschland traf es besonders die Autobauer, für die das Reich der Mitte wichtigster Absatzmarkt ist.
Das Problem: In China sind vor allem Kleinanleger – sehr häufig auf Pump – an der Börse engagiert. Nun rechnen viele Ökonomen auch mit einem Rückgang des Konsums, weil die Privatanleger wegen der enormen Wertverluste weniger Geld zur Verfügung haben. Die zuletzt veröffentlichten Wirtschaftsdaten lassen darauf schließen, dass auch im zweiten Quartal keine weitere konjunkturelle Beschleunigung zu erwarten ist.
Investitionsplan
Es bleibt zu hoffen, dass der bereits seit Längerem erwarteten Investitionsplan der Regierung Wirkung zeigt: In den nächsten drei Jahren soll Geld in die Renovierung verfallener Häuser in den Städten und am Land investiert werden. Weitere Projekte betreffen den Ausbau bzw. die Verbesserung der Stromleitungen, des Schienennetzes und den Bau von Wasserspeichern, so die Experten der Bank Gutmann. Die Notenbank lockert zudem weiterhin ihre Geldpolitik, der Leitzins wurde auf die Rekordmarke von 4,85% gesenkt; weiters wurde die Mindestreserven-Verpflichtung für einige Banken verringert.
Ständig neues Business
Um wirtschaftlich zu wachsen, erschließt China ständig neue Geschäftsfelder, z.B. werden Massen-sportarten wie Fußball und Schifahren popularisiert, fast 50% des BIP kommen aus dem Dienstleistungssektor. Zudem würden Chinas Betriebe dazu ermuntert, über die Landesgrenzen hinweg zu investieren, hielten China-Experten bei der KPMG-Veranstaltung „Chinas Zukunft” vor Kurzem fest.
„China wird langfristig orientierten Investoren weiterhin ein breites Spektrum von Anlagen mit attraktiven Renditen bieten”, ist Mark Tinker, Leiter bei AXA Framlington Asia, überzeugt. Auf den „Neuen Konsumenten” setzt Yuming Pan von Allianz Global Investors: „Vor Jahren war WC-Papier ein Luxusgut, 2006 dachte niemand daran, dass es in China ein Parkplatzproblem geben würde. China ist der weltgrößte Markt für professionelle Hautpflege-Produkte.”
Nicht grundlos sage Alibaba-Gründer Jack Ma: „Anderswo ist eCommerce eine Form, zu shoppen, in China ist es Lifestyle.” Freilich haben auch grundsätzlich interessante Werte wie Tencent (Internet-, Handy-Mehrwert-Services) nachgegeben, die Soziale Plattform YY (an der Nasdaq notiert) konnte sich aber gegen den Abwärtstrend stemmen. Chancen gebe es auch bei nicht chinesischen Titeln wie Naver (Suchmaschine, Spieleportal) oder Justdial (Indien).(best/APA)