In dieser Krise liegt auch eine neue Chance
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FINANCENET Redaktion 08.04.2022

In dieser Krise liegt auch eine neue Chance

Gabriel Felbermayr, Wifo: Entkopplung der Weltwirtschaft fordert und fördert innereuropäische Kooperationen.

••• Von Reinhard Krémer

WIEN. Die Ukraine wird wirtschaftlich gerade ausradiert: Viele Industrien und Wirtschaftszweige werden komplett zerstört, die Agrarwirtschaft kommt zum Erliegen. Dazu kommen die Sanktionen gegen Russland, die den Finanzmarkt, die Lieferketten und langfristig auch den Fachkräftemangel nachhaltig beeinflussen werden”, sagte Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), beim Internationalen Forum für Wirtschaftskommunikation (IFWk) in Wien.

Es wird eine starke Entkoppelung der Weltwirtschaft mit China und Russland geben, und dafür braucht es innereuropäische Kompensation, so Felbermayr.
Europa hat nun regional riesige Chancen, eine Wende gegen die Abhängigkeiten von diesen Staaten herbeizuführen. Und weiter: „Die Zeiten der Überglobalisierung, in denen der Warenhandel schneller wächst als die Indus­trieproduktion, sind schon lange vorbei.”

Vor Eiszeit mit Russland

„China macht sich mehr und mehr unabhängig von westlichen Produkten, Trump hat diesen Trend auch in den USA eingeführt. Jetzt stehen wir vor einer längeren Eiszeit mit Russland”, ist der Wifo-Chef überzeugt.

Durch dieses Decoupling sind auch neu entstandene und gut funktionierende Importwege nach Europa nicht mehr zugänglich, erklärte Felbermayr: „Zum Beispiel die neue Seidenstraße von China nach Europa, die ein großes Entwicklungspotenzial hatte, ist aktuell über den Landweg durch Russland nicht mehr betreibbar. Dadurch verlieren wir die dringend notwendigen Produktivitätsgewinne. Die Hoffnung ist allerdings, dass wir die Verluste jetzt inner­europäisch kompensieren können.”
Denn es gebe in Europa großes Potenzial, vor allem die Energiemärkte betreffend.
Und es wäre dringend an der Zeit, einen europäischen Arbeitsmarkt zu schaffen und es Fachkräften nicht noch schwerer zu machen, innerhalb Europas in verschiedenen Ländern zu arbeiten.

Auf die Technik kommt’s an

Die aktuelle Lage zeige deutlich, dass es durchaus österreichische und europäische Unternehmen, vor allem im Energiebereich, gibt, die sich die Krise zu Nutzen machen: „Es ist gut, dass jene Unternehmen, die schon vor der Krise in erneuerbare Energien und die damit verbundenen Technologien investiert haben, jetzt damit Geld verdienen. Und mit diesem Geld können diese Firmen die Technologien wiederum skalieren. In diesem Sinne sind die hohen Preise bei Öl und Gas nicht nur schlecht, denn es kommt jetzt auf die Alternativen an und die können auch innereuropäisch hergestellt werden”, sagt der Wifo-Chef.

Die Sanktionen wirken gut

Man dürfe nämlich bei dem ganzen Grauen, das momentan passiert, nicht vergessen, dass Russland eigentlich relativ unwichtig im Außenhandel sei.

„Die Sanktionen gegen Russland wirken überraschend gut”, so Felbermayr. „Alle jene, die sagen, es störe den Kreml nicht, wenn Europa kein Erdöl und Gas mehr kauft, liegen falsch. Wenn ein Staat Exporteinnahmen im Ausmaß von zehn Prozent seiner Wirtschaftskraft verliert, schmerzt das sehr.” Die Abhängigkeit sei aber natürlich eine beidseitige: „Zum einen fehlen uns die Alternativen zu vielen Rohstoffen, die wir aus Russland beziehen, und zum anderen braucht Russland Europa für seine Pipelines. Denn die einfach so zu schließen und über andere Wege Gas zu exportieren, ist zeitlich und finanziell nicht möglich.”
Russland reagiere auf die westlichen Sanktionen durchaus geschickt, denn die russischen Gas- und Ölexporteure müssen den Zahlungsverkehr auf Rubel umstellen: „Das ist ein Problem für Europa.”

In Sackgasse manövriert?

Denn das Beschaffen von Rubel ist nicht einfach, nachdem die russische Zentralbank mit Sanktionen belegt wurde, sagt Felbermayr. „Außerdem ist der Rubel keine Reservewährung, die wir in anderen Ländern und Banken vorrätig haben, und wir brauchen große Mengen”, so der Wirtschaftsforscher. „Da haben wir uns möglicherweise in eine Sackgasse manövriert.”

Die kurzfristige Folge ist, dass der Rubel deutlich aufgewertet hat und der Gaspreis wieder zulegt.
Ob Russland und auch die Gazprom diesen erwarteten, 100%igen Rubelzwang durchziehen kann, ist fraglich (Zuletzt ruderte der Kreml zurück; Anm.). Es müssten dafür auch bestehende Verträge mit Käufern gebrochen werden, denn die Währung sei ein wesentliches Detail in den Vereinbarungen mit den Unternehmen, ergänzte Felbermayr.

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