Von Wochen zu Minuten
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Christian Abl ist Kreislaufwirtschaftsexperte und Geschäftsführer von Circular Pro.
INDUSTRIAL TECHNOLOGY Redaktion 28.11.2025

Von Wochen zu Minuten

Laut Kreislaufwirtschaftsexperte Christian Abl verspricht die Digitalisierung, was die EU-Harmonisierung nicht schafft: Vereinfachung der Bürokratie.

WIEN. Wer Produkte ins EU-Ausland schickt, jongliert mit 27 verschiedenen Verpackungssystemen. Der Widerspruch: Die EU verspricht einen Binnenmarkt – und zwingt Unternehmen in einen bürokratischen Albtraum. Doch es gibt neue Lösungen.

Compliance-Turmoil
Drei Monate hat es gedauert, in denen Nicole Ruttmann, beim Bandagen-Hersteller Bauerfeind für Compliance zuständig, mit deutschen, französischen und polnischen Behörden korrespondierte. Das Ziel: Verpackungslizenzen für Bandagen und Orthesen. Allein herauszufinden, welches Sammelsystem in welchem Land zuständig ist, war eine Qual. Also mussten externe Berater ran, Kosten: mehrere tausend Euro. Pro Land.

Einerseits ist die EU ein Binnenmarkt – eine Ware, 27 Länder, keine Grenzen. Andererseits gibt es 27 verschiedene Verpackungssysteme, 27 Registrierungsprozesse, 27 Ansprechpartner. Was als Umweltschutz gedacht war, wird zur Markteintrittsbarriere. Nicht für Konzerne mit eigenen Compliance-Abteilungen. Sondern für die steirische Manufaktur, den Tiroler Online-Shop, den Wiener Kosmetikhersteller.

Die unsichtbare Steuer
Wer über Amazon in zwölf EU-Länder liefert, braucht zwölf Registrierungen. Oft erfährt er erst von der Pflicht, wenn die Abmahnung kommt. In Deutschland drohen bis zu 200.000 € Strafe, in Frankreich landen säumige Firmen auf Blacklists. Viele Unternehmen haben keine Ahnung, dass sie überhaupt meldepflichtig sind.  Bisher waren es Berater, die wussten, welches System wo zuständig ist. Aber ein mittelständischer Betrieb zahlte für grenzüberschreitenden Vertrieb oft mehr für Compliance als für Marketing.

Der Plattform-Coup
Nun verspricht die Digitalisierung, was die EU-Harmonisierung nicht schaffte: Vereinfachung.
Circular Pro, entwickelt von der Raan-Gruppe, die seit drei Jahrzehnten Sammelsysteme betreibt, automatisiert den Prozess: Daten hochladen, die Software berechnet Gebühren, der Kunde wählt das System und wickelt die Registrierung ab. Zehn Minuten statt drei Monate. Die Plattform ist kostenlos, Circular Pro kassiert Provisionen von den Sammelsystemen. Unternehmen zahlen nicht mehr als bisher und müssen keine teuren Berater mehr beschäftigen.

„Datafizierte“ Verpackungen
Ein tieferliegendes Problem ist: Viele Firmen wissen gar nicht, was sie verpacken. Welche Materialien, welche Mengen, welche Lieferketten? Der erste Upload kann Wochen dauern – nur eben intern statt beim Berater.  Unternehmen haben ihre eigenen Prozesse nie durchleuchtet. Die Verpackungspflicht zwingt sie dazu. Das ist der eigentliche Paradigmenwechsel – nicht die zehn Minuten Upload, sondern die Selbsterkenntnis davor. Wer haftet, wenn die Software Fehler macht? Die Plattform prüft auf Plausibilität, aber die rechtliche Verantwortung bleibt beim Unternehmen.

PPWR als Zeitenwende
Noch brisanter wird es im August 2026: Mit der EU-Verpackungsverordnung PPWR – Packaging and Packaging Waste Regulation – wird Einwegpfand Pflicht, Recycling-Quoten steigen massiv und erstmals fallen Textilien unter die Herstellerverantwortung. Die Komplexität explodiert. Was heute als technische Lösung für ein bürokratisches Problem erscheint, wird 2026 zur Überlebensfrage.  Wer jetzt nicht digitalisiert, kann dann nicht mehr mithalten. Die PPWR ist nicht einfach eine weitere Regulierung – sie ist eine Zeitenwende. Sie trennt jene, die ihre Daten, Prozesse und Lieferketten kennen, von jenen, die noch mit Excel-Listen arbeiten.

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