In Mailand geht es rund
© Moooi
„A Life Extraordinary”: Moooi präsentierte während der Milan Design Week eine multisensorische Ausstellung und kombinierte das Beste aus Design, Lifestyle und Technologie.
LUXURY BRANDS&RETAIL Barbara Jahn 01.07.2022

In Mailand geht es rund

Nicht ohne Salone: Die weltweit größte Designmesse ist wieder da und startet mit ihren stolzen 60 Jahren neu durch.

Mailand. Das Warten hat ein Ende: In die 24 Messehallen des Salone del Mobile ist wieder lebendiges Treiben eingezogen. Wer allerdings denkt, dass alles nahtlos wie früher in das „business as usual” übergegangen sei, könnte sich irren. Auch, wenn die Flächen gut gebucht sind und viele Menschen ganz offensichtlich dem Salone die Treue gehalten haben, ist es doch irgendwie anders. Aber anders schön.

Viele Gründe zum Feiern

Die Messe, die sich vielleicht gerade noch ein bisschen in einer Findungsphase befindet, ist dieses Jahr selbst ein Geburtstagskind: Seit 60 Jahren gibt es den Salone schon, ein runder Geburtstag, der gerade recht kommt, um einen würdigen Neustart zu feiern.
Sicher, man hat in dieser zweijährigen Zwangspause mit dem „Supersalone” einen kleineren Ballon steigen lassen – ein sympathisches Lebenszeichen, das allen Salone-Fans sehr willkommen war. Klein und fein, aber auch nicht mehr als es die damaligen Bedingungen erlaubten, und bei aller Kompaktheit dennoch ganz schön viel Trubel. Denn die Füße stillhalten und auf bessere Zeiten warten, das liegt den Italienern – immer noch Weltmeister der großen Inszenierung – nicht.
So sind die Erwartungen an die 60. und gleichzeitig auch erste Ausgabe naturgemäß hoch. Das weiß auch Maria Porro, Präsidentin des Salone del Mobile.Milano: „Veranstaltungen werden oft um Jahrestage herum aufgebaut, um sie zu etwas Besonderem zu machen und mit Bedeutung zu füllen. Das haben wir heute nicht nötig. Die Pandemie und die globale Bühne zwingen uns, über die Bedeutung dieser sechzigsten Ausgabe nachzudenken. Wir experimentieren mit neuen Formen des Arbeitens, des Reisens und des Wohnens. Ein neues Alltagsleben, das uns herausfordert und uns dazu bringt, uns neu zu erfinden. Eine ganze Branche arbeitet bereits daran, Antworten darauf zu geben, wie sich die Räume, in denen wir leben, den Veränderungen anpassen müssen. Dieser Salone ist endlich die Chance, sie zu teilen.”

Es mit Schwung angehen

Rund ist aber nicht nur das Jubiläum. Auch das Design wird – bewusst oder unbewusst – zu einer runden Sache. Zum einen in formalem Sinne: Bei vielen Möbelstücken hat sich der Minimalismus, der zweifelsfrei immer noch eine tonangebende Rolle spielt, mit einer gewissen Weichheit arrangiert, die sich in abgerundeten Ecken und Kanten, aber auch im einen oder anderen verspielten Detail wiederfindet. Das Pure darf ein bisschen cozy sein, das Geradlinige ein wenig gekrümmt. Wie man sehen kann, ist dies nicht zwingend ein Widerspruch – selbstverständlich nur dann, wenn es wirklich gut gemacht ist. Zum anderen schließen sich viele Kreise und machen das Design ebenfalls rund. Da wären die Wiederverwertungskreisläufe, die von fast allen ernsthaft in Anspruch genommen werden. Erstaunlicherweise gelingt das den meisten wirklich gut, denn ein Hersteller, der bisher auf Kunststoff gesetzt hat, würde unglaubwürdig, wenn er es jetzt plötzlich mit Holz probierte. Die Möglichkeiten sind da und sie werden genutzt. Die Techniken und Verfahren, mit welchen heute wie selbstverständlich bereits „geschürfte” Rohstoffe aufbereitet neu eingesetzt werden, lassen staunen, genauso wie die Frage, die man sich fast zwangsläufig stellt: Warum eigentlich nicht schon viel früher?

Geschichte im Gepäck

Ein weiterer Bogen spannt sich zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ja, Klassiker findet man immer noch in „prima fila”, sind es doch die Meisterstücke mit hohem Wiedererkennungswert, die man sich gerne ins Schaufenster stellt. Aber es werden charakteristische Elemente aus Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts neu interpretiert und zwar auf eine Art und Weise, die es an respektvollem Umgang nicht mangeln lässt. Oft sind es nur kleine Akzente und Details, doch der Kenner und genaue Beobachter spürt die Dreißiger, Vierziger und Fünfziger heraus. Wiener Geflecht und Messing, Stäbchen und Riemchen, viel gebogenes, aber auch gerades Holz, oft in unbehandeltem Zustand, rauer Stein und Keramik als Tischplatten sowie Beistelltische in sämtlichen Varianten, die gemeinsam mit einer neuer Generation Ohrensessel und Ottoman die Erinnerungen aufleben lassen. Warum das so ist, scheint offensichtlich: Diesen drei Jahrzehnten wird heute unter anderem deshalb so viel Bedeutung beigemessen, weil sie noch dem vorkunststofflichen Zeitalter zuzuzählen sind. Kein Wunder also, dass man viele neue Ideen daraus schöpfen kann. Design wie damals, könnte man sagen, nur eben übersetzt. Übrigens: „no screw, no glue” ist ein neuer Leitsatz, den sich immer mehr Möbelhersteller tatsächlich an ihre Fahnen heften wollen. Spannend daran ist, dass man richtig sehen kann, wie an allerlei Details wie Einhänge-, Schieb- und Steckmechanismen getüftelt wurde, um Form und Stabilität möglich zu machen. Ganz abgesehen davon, dass man einige Materialien und deren Qualitäten von einer ganz neuen Seite kennenlernt.

Es wird phygital

Nicht zuletzt werden auch liebgewonnene Traditionen wiederaufgenommen, bei denen ohne Zweifel der „SaloneSatellite” zu den Fixstartern zählt. In den Hallen 1 und 3 neu platziert und damit gleich in der Nähe des Haupteingangs, dürfen sich hier Jungdesigner präsentieren. Dabei wird keine Gelegenheit ausgelassen, neue Perspektiven zu eröffnen und Denkanstöße zu geben, die über eine einfache Produktbesprechung hinausgehen. Hier finden unter anderem auch spannende Talks statt, eine digitale Plattform bietet reichlich Inhalte – eine Form, in der man das junge Publikum gut erreichen kann. Auch der biennale Wechsel zwischen „EuroCucina” und „Euroluce” wurde wieder aufgenommen. Gesamt betrachtet, wird der Salone in Zukunft eine Mischung aus physischem Revival und digitalem Erlebnis, das an diesem Schnittpunkt mit dem Reset-Knopf die Türen für Neues weit öffnet, mit Traditionen aber nicht bricht. Es ist wohl – wie beim Design selbst – eine Gratwanderung irgendwo zwischen Rolle vorwärts und Salto rückwärts, die gut gelingen kann, wenn man es nur zulässt. Man darf sich also auch weiterhin überraschen lassen. Die Zäsur hat der gesamten Branche jedenfalls eine Atempause verschafft, die – ob subjektiv nun gut oder schlecht empfunden, sei dahingestellt – das Design endlich wieder in den Mittelpunkt gerückt hat. Es geht wieder um die Sache an sich, und das allein ist einfach nur schön!

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