Datenjournalismus ist kein Roboterjournalismus
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MARKETING & MEDIA Redaktion 16.10.2020

Datenjournalismus ist kein Roboterjournalismus

Automatisierte Redaktionssysteme können in vielen Bereichen helfen und Dinge effizienter machen. Aber Geschichten erzählen kann ein Daten-Roboter nicht.

Automatisierung und Datenjournalismus spielen eine wachsende Rolle in der Medienproduktion und bergen großes Entwicklungspotenzial in sich. Wie Natural Language Generation (NLG) im Journalismus eingesetzt werden kann, welche Anwendungsfälle möglich sind und warum das nichts mit „Robotern” zu tun hat, darüber berichtete Katharina Schell, Mitglied der Chefredaktion der APA – Austria Presse Agentur und zuständig für redaktionelle Innovationen, kürzlich in einem digitalen Event aus der Reihe APA-Insight.

Expertise bleibt unersetzlich

„Seit einigen Jahren wird der sogenannte Roboterjournalismus durchs Medieninnovationsdorf getrieben”, startete Schell ihre Einblicke in das Thema Automated Journalism, „aber niemand hat jemals in einer Redaktion einen Roboter sitzen gesehen.” Es seien Maschinen und Algorithmen im Spiel, aber diese werden von Journalistinnen und Journalisten programmiert, so Schell. „Wir machen nicht Roboterjournalismus, wir machen Datenjournalismus.”

Die Grundlage, um automatisiert sinnvolle Texte zu generieren, seien strukturierte Daten, wie etwa Namen von Personen, denen bestimmte Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Beruf sowie weitere Informationen zugeordnet sind, erläuterte Schell anhand eines konkreten Beispiels. Bevor die Maschine einen Text erstellen könne, müsse ein Mensch alle aus diesen Daten möglichen Texte vorbereiten und jeweils Lücken für die Variablen wie Namen oder Alter definieren. Welche Information schließlich in welchem Fall in welche Lücke zu füllen ist, müsse ebenfalls von Menschenhand festgelegt werden. Erst nach diesen umfangreichen Vorarbeiten entstehen Texte scheinbar auf Knopfdruck.

Welche Rolle spielt KI?

„Künstlich intelligent ist in diesem Verfahren relativ wenig”, fasste Schell zusammen. „Es braucht Journalistinnen und Journalisten mit sehr spezifischem Know-how, mit Wissen über das Thema, über Daten und deren Verarbeitung, über Sprache und mit narrativen Kompetenzen.” Diese menschlichen Fertigkeiten seien unabdingbar. „Die Maschine kann nicht Geschichten erzählen”, bereits im Vorfeld müsse sich der Mensch diese überlegen, hielt Schell fest.

Algorithmen seien aber wesentlich besser und vor allem schneller als Menschen darin, strukturierte Daten zu verarbeiten. Diese Eigenschaft mache man sich in der APA-Redaktion zunutze, um bei Wahlen zusätzlich zur regulären Berichterstattung automatisiert erstellte Kurzberichte für News-Sites und andere digitale Kanäle anzubieten. Dieses neue Produkt wird seit der EU-Wahl 2019 bei bundesweiten und landesweiten Wahlen angeboten. Ein von APA-Redakteurinnen und -Redakteuren trainierter Algorithmus generiert zu jeder Gemeinde einen Text, sobald das jeweilige Wahlergebnis vorliegt – auf Basis eines hochkomplexen Lückentexts. „Das ist völlig neuer Content, den niemand vorher hatte, weil niemand die Ressourcen hat, am Wahlabend in kurzer Zeit so viele Texte zu schreiben”, so Schell.
Auch bei den Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen am 11. Oktober dieses Jahres hat die APA zusätzlichen, automatisiert erstellten Content in Kombination mit Visualisierungen angeboten. „Wir haben Wiener Wahlsprengel zu Grätzln zusammengefasst”, erläuterte Schell die Vorgehensweise.

Mehr lokale Berichterstattung

„Ein User kann am Wahlabend mit nur einem Klick herausfinden, ‚wie hat mein Grätzl gewählt'”, und die Ergebnisse in Text und Grafik ansehen. Wahlberichterstattung auf einem derart hyperlokalen Niveau sei bisher einzigartig.

„In der Flut von Informationen, die man online permanent bekommt, wird es für User immer wichtiger, eine digitale Heimat zu haben – das Grätzl ist auch eine emotionale Einheit. Lokale und regionale Informationen sorgen darüber hinaus für hohes Engagement.” Dieses Produkt richte sich an Online-Medien, die ihren Usern so schnell wie möglich zusätzliche Informationen liefern wollen. Die reguläre Wahlberichterstattung im APA-Basisdienst werde es unabhängig davon weiterhin im gewohnten Umfang geben. Die Qualitätssicherungsmechanismen der APA-Redaktion werden auch bei Automated Content angewendet. „In der Redaktion gilt ein striktes Vier-Augen-Prinzip – keine Meldung geht aufs Netz, ohne dass sie ein zweites Augenpaar gesehen hat”, erläuterte Schell.

Plausibilitätsprüfungen

Dieses Prinzip setzt man bei automatisiert erstellten Texten schon vor deren Generierung um und kontrolliert, ob alle Lücken und Variablen des Algorithmus richtig definiert wurden, noch bevor dieser zum Einsatz kommt. Weiters finden an Wahlabenden Plausibilitätsprüfungen der importierten Datensätze und stichprobenartige Kontrollen der erstellten Texte statt.

Anwendungsmöglichkeiten

Lünftig werde das lang aufgebaute Know-how in der APA-Redaktion auch für andere Projekte eingesetzt, gab Schell einen Ausblick. Unter dem Titel „Wiener Dateng’schichten” sollen wertvolle Informationsschätze, die in statistischen Daten der Bundeshauptstadt stecken, mithilfe von Content-Automatisierung als regionale und hyperlokale Stories zugänglich gemacht werden.

Das Vorhaben wird über die von der Stadt Wien initiierte Förderschiene „Wiener Medieninitiative” unterstützt. Darüber hinaus hat die APA-Redaktion bereits Workshops für Unternehmen und Organisationen durchgeführt, für die Aufbereitung und Vermittlung großer Datenmengen wichtig sind. Auch dafür setze man weiterhin die erworbene Expertise ein, so Schell.

Maschine ist kein Ersatz

„Es wird künftig an vielen Punkten journalistischer Arbeitsprozesse Automatisierungsstrategien geben”, hielt Schell abschließend fest. Dass aber Maschinen Journalistinnen und Journalisten ersetzen könnten, ist für die Digitalexpertin nicht absehbar.

„Die Einzigartigkeit des journalistischen Erzählens ist eine menschliche Stärke, die ich in naher und auch mittelnaher Zukunft nicht ersetzbar sehe.” Schell schloss für die APA-Redaktion aus, dass Content, den derzeit Menschen produzieren, künftig maschinell generiert werde. „Unser Kapital sind unsere Redakteurinnen und Redakteure, die mit ihrem Know-how das Nachrichten-Backbone für die österreichische Medienlandschaft sicherstellen.” (mab)

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