Je komplexer die Systeme …
MARKETING & MEDIA Redaktion 25.04.2025

Je komplexer die Systeme …

Die Vermessung der Welt verbessert die ­Präzision der Daten, nicht jene der Entscheidungen.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

 

WENN QUANTEN SPRINGEN. Vor einem Jahr, im April 2024, gelang einem Team an der TU Wien ein Durchbruch. Geliefert wurde die Grundlage für die weltweit erste „Atomkernuhr”. Sie ermöglicht die präziseste Zeitmessung, die es je gab; bald soll der Prototyp stehen. Ein interessantes Detail: „Zeit” als eigenständige, fundamentale physikalische Realität existiert gar nicht. Wenn man sich in der Physik bis zur Quantengravitation durchgräbt, verschwindet die „Zeit” aus den Gleichungen. Veränderung ja, aber Zeit …

Nichtsdestotrotz ist Zeit in der makroskopischen Welt eine unverzichtbare Krücke. Wir lieben Präzision, nicht nur im KI-getriebenem Hochfrequenzhandel. Aber je komplexer die Systeme, desto anfälliger sind sie für unvorhergesehene Krisen. Auch die Ökonomie existiert in einem Netzwerk aus Beziehungen, Kontexten und Wechselwirkungen. Eine Konsequenz daraus erleben wir eben – globale Lieferkettenkrisen, geopolitische Spannungen … Müssen wir also lernen, weniger in messbaren Kategorien als in Zusammenhängen zu denken?

Am Beispiel Inflation: Wenn Geld an Wert einbüßt und parallel dazu auch der reale Wert bestehender Schulden sinkt, könnte man, durchaus vernunftgetrieben, Käufe tätigen, Investitionen vorziehen. Warum dennoch die Miesepeterstimmung? Weil die Inflation aus dem Ruder gelaufen ist, zu spät erkannt wurde, zu spät kommuniziert, absichtlich verschwiegen? Bei der Messung der Inflation – insbesondere beim Verbraucherpreisindex (VPI), der hierzulande verwendet wird, wird die offizielle Inflation methodisch sauber berechnet, aber die verwendeten Methoden spiegeln reale Preissteigerungen – wegen der Untergewichtung zentraler Ausgaben (insbesondere Wohnen) – und individuelle Betroffenheit nur unzureichend wider.

Wäre eine präzisere Messung der Königsweg? Die „Atomkernuhr” für den VPI? Unwahrscheinlich. Erst die daraus gezogenen Konsequenzen machen den Unterschied. Warten wir also ab. Heute ist nicht alle Tage.

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