„Legitim und notwendig”
© Miel Satrapa
Die Ausgabe des Satire­magazins Charlie Hebdo vom 2. September 2020 zeigt eine Reihe von Mohammed-Karikaturen, die 2005 heftige Kritik unter Muslimen ausgelöst hatten.
MARKETING & MEDIA Redaktion 06.11.2020

„Legitim und notwendig”

Medienexperte Fritz Hausjell: Medien sollen aufgrund der jüngsten Ereignisse nicht zurückweichen, tragen aber auch Verantwortung.

WIEN. Erst vor wenigen Wochen hat das französische Satiremagazin Charlie Hebdo in Gedenken an das Attentat auf die Redaktion im Jänner 2015 seine Mohammed-Karikaturen wieder abgedruckt. Die Tatsache, dass der Terroranschlag in Wien vergangenen Montagabend nicht das einzige Attentat in Europa seit Wiederveröffentlichung besagter Zeichnungen war, legt unter Umständen eine Verbindung zwischen dem Erscheinen der Ausgabe Nummer 1.467 und dem jüngsten Anschlag nahe.

Ob die Karikaturen tatsächlich der Auslöser für das aktuelle Attentat in Wien waren, sei derzeit nicht wirklich zu beurteilen, erklärt der Medienexperte Fritz Hausjell diese Woche gegenüber der APA. Klar ist für ihn aber, dass die Veröffentlichung solcher Karikaturen legitim und notwendig ist.

„Ein entsetzlicher Zustand”

„Ich plädiere dafür, hier nicht zurückzuweichen”, sagte er im Gespräch mit der Presseagentur. Es sei fatal für eine demokratische Gesellschaft, sich hier den Mund verbieten zu lassen und die Freiheit des Wortes einzuschränken. Dass einzelne Vertreter innerhalb des Islams glauben würden, mit Terror antworten zu dürfen und zu müssen, sei ein entsetzlicher Zustand.

„Das ist aber etwas, dessen wir uns bei der Verteidigung der Pressefreiheit bewusst sein müssen”, sagt Hausjell. Die Freiheit sei nicht leicht zu erringen gewesen. „Das ist kein Plädoyer, mutwillig zu provozieren, aber es ist ein Plädoyer dafür, mutig diese Pressefreiheit zu verteidigen.” Gleichzeitig erwarte er sich aber auch, dass die Sicherheitsapparate eines demokratischen Staates gefährdete Karikaturisten und Publizisten schützen würden. Ob die erneute Veröffentlichung der Karikaturen der Auslöser für den Anschlag in Wien war oder ob es insgesamt zu einer Zuspitzung der Radikalisierung kam, darüber erlaubte sich der Medienexperte kein Urteil. Er nahm aber auch die österreichische Innenpolitik und die Medien in die Verantwortung.
„Wir haben in der aktuellen Innenpolitik im Ressort, das für Integrationsfragen zuständig ist, doch sehr prononcierte Aussagen in Richtung des Islam oder der verschiedenen Islamströmungen in Österreich gehört und das könnte möglicherweise dazu beigetragen haben, dass es Formen von Radikalisierung gibt”, so Hausjell. Man könne also auch hier nach einem Auslöser suchen und nicht nur etwa in den Karikaturen. Es sei immer eine Gefahr, wenn sich in einer zugespitzten politischen Auseinandersetzung einzelne Gruppen zurückziehen würden, weil sie den Eindruck hätten, in der Gesellschaft ungewollt zu sein oder von der Mehrheit der Gesellschaft nicht respektiert zu werden.
Im Bereich der qualitätsorientierten Medien sowie der öffentlich-rechtlichen Medien sieht der Experte ein vermehrtes Bemühen, dem Thema Islam gerechter zu werden und ihn differenzierter darzustellen. In anderen Mediengattungen wiederum komme es zu einer Zuspitzung, die auch insbesondere im Rechtspopulismus und „der politischen Mitte, die in dieser Frage eher in den rechtspopulistischen Bereich abgedriftet ist”, zu beobachten sei. Dies wiederum sei zum Teil in den Medien abgebildet. „Ich halte das in diesem Bereich vielleicht sogar für einen Rückschritt”, erklärt Hausjell.

Vielfalt in den Redaktionen

Auf die Problematik in den Medien müsse strukturell reagiert werden, etwa bei der personellen Zusammensetzung der Redaktionen: „Wir brauchen einfach insgesamt noch buntere Redaktionen”, so der Medienexperte. Je vielfältiger eine Redaktion sei, desto vielfältiger seien dann bereits innerhalb der Redaktion die Debatten.

Um in Bezug auf den Islam die „interkulturelle Kompetenz” innerhalb der Redaktionen zu erhöhen, sei es am einfachsten, wenn man sich Menschen hole, die selber im Islam Erfahrungen gesammelt hätten. Das werde in den Medien noch viel zu wenig genutzt. (APA/ls)

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