WIEN. Die inklusive Plattform "andererseits" veröffentlicht erstmals ein Magazin in leichter Sprache. Es richtet sich an ca. 700.000 Menschen im Land, die herkömmlichen Journalismus nicht verstehen, weil er zu komplex aufbereitet ist. Die 40.000 gedruckten Exemplare werden u.a. kostenlos an soziale Einrichtungen wie Werkstätten verteil
"Wir möchten, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten die Möglichkeit haben, sich selbstbestimmt zu informieren", sagt "andererseits"-Geschäftsführerin Clara Porák gegenüber der APA. Viele würden kaum und wenn, dann negative Erfahrungen mit Medien machen, weil diese nur in den seltensten Fällen barrierefrei sind. "Wir nehmen unsere Zielgruppe als politisches Subjekt ernst. Sie möchten Teil der Demokratie sein, und wir liefern ein Werkzeug, das es ihnen einfacher machen soll", so Porák.
"andererseits" wird diese Woche in Druck geschickt, die Auslieferung an soziale Einrichtungen und die Abonnentinnen und Abonnenten startet am 26. März.
Beim Medium "andererseits" arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam. Bisher betrieben sie unabhängigen Onlinejournalismus, der vor allem über Abos finanziert wurde. Mit dem Magazin wagt man sich nun an ein neues Format. Die 48 schön und übersichtlich gestalteten Seiten warten mit kurzen Sätzen auf. Kommen schwierige Wörter vor, werden sie erklärt. Großteils sind die Texte auf A2-Niveau verfasst, manche aber auch auf B1-Niveau. "Die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade wurden von der Zielgruppe gewünscht, um sich auch selbst Herausforderungen stellen zu können, erklärt die "andererseits"-Geschäftsführerin.
Ideenchefin des Magazins ist Luise Jäger. Sie ist eine Person mit Lernschwierigkeit, verantwortete die kreative Leitung und prüfte die Beiträge auf Verständlichkeit.
Thematisch ist "andererseits" breit gestreut, ein Fokus auf Inklusion und dem Erklären von Behinderung ist aber klar erkennbar. So wird etwa die Geschichte des 16-jährigen Soufiene erzählt, der eine Lernschwierigkeit hat und nun mit Verweis auf zu wenige Lehrkräfte nicht länger zur Schule gehen darf. Er betätigt sich mittlerweile in einer Werkstätte. Oswald Föllerer arbeitete auch in einer Werkstätte. Der 68-Jährige kritisiert, dass man dort sehr wenig Geld bekommt - zwischen 35 und 100 Euro "Taschengeld" im Monat. Gleichzeitig gestalte sich die Suche nach einer Arbeitsassistenz für eine Tätigkeit außerhalb der Einrichtungen schwierig, moniert er.
Damit rückt das Magazin ein Thema in den Vordergrund, das derzeit auch die Bundesregierung beschäftigt. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sagte erst Ende Februar, dass an Maßnahmen für Lohn statt Taschengeld gearbeitet werde. Man wolle Menschen aus den Werkstätten herausholen. Sie sollen am ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen, so der Plan. Erste Ergebnisse sollen noch vor dem Sommer präsentiert werden.
Für "andererseits"-Interviews standen etwa Bundespräsident Alexander van der Bellen zum Thema Inklusion und Kabarettist und Regisseur Josef Hader zur Verfügung. Waren die Antworten der Interviewpartner zu schwer verständlich, wurden sie in leichte Sprache umgewandelt. Mehrere Texte sind persönlich. So etwa einer von Nikolai Prodöhl, der über seine Erfahrung mit einer "Berührerin" - einer Sexualbegleiterin - berichtet, die mit ihm gegen Geld kuschelte, damit er seinen Körper besser kennenlernt. Hanna Gugler klärt wiederum darüber auf, wie man richtig feiert - nämlich donnerstags mit Bubble Tea und am besten halbnackt am Küchentisch tanzend.
"andererseits" soll viermal im Jahr erscheinen. Für die zweite Ausgabe ist ein Schwerpunkt auf die EU-Wahl geplant, die dritte Ausgabe fokussiert auf die Nationalratswahl. Denn die Wahlbeteiligung von Menschen, die leichte Sprache verwenden, ist im Schnitt niedriger als in der Gesamtbevölkerung, weiß Porák. Die Ursache sei, dass sie kaum Zugang zu Infos haben oder diese nicht verstehen.
Die ersten zwei Magazine werden zu 60 Prozent durch eine Innovationsförderung der Wirtschaftsagentur gestemmt. Der Rest wird durch Werbung, die im Magazin eigens auf einer Seite erklärt wird, und den Beiträgen der bestehenden Abonnentinnen und Abonnenten finanziert. Um künftige Ausgaben realisieren zu können, ist "andererseits" auf einen Abozuwachs und besseren Werbeverkauf angewiesen. Konkret bedarf es derzeit rund 600 weiterer Unterstützer. Sie erhalten neben dem Magazin u.a. jede Woche eine tiefergehende Recherche und Einblicke in die Redaktion zugeschickt.