WIEN. „Europa wächst nicht aus Verträgen, es wächst aus den Herzen seiner Bürger oder gar nicht.” Diese Worte sprach der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974, in einer Zeit, als die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) noch eine kleine, sympathische Herrenrunde von Persönlichkeiten wie Ralf Dahrendorf oder Altiero Spinelli war. Ihre Gründerväter wie Robert Schuman, Spinelli und Konrad Adenauer hatten die Grausamkeiten der Konflikte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib erfahren. Ihr gemeinsamer Wille war es, durch eine engere wirtschaftliche Verflechtung die Möglichkeit zukünftiger Kriege zu verhindern.
Heutzutage stehen wir vor einer anderen Realität. Nach José Manuel Barroso und Jean-Claude Juncker ist es nun Ursula von der Leyen, die als umstrittene Präsidentin der Europäischen Kommission ihre Fäden zieht und uns wahre Europäer weiter vorführt. Bereits als frühere deutsche Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie als Bundesministerin für Arbeit und Soziales sorgte sie immer wieder für Schlagzeilen, u.a. durch die Löschung relevanter Handydaten und unzulässige Datenvernichtungen. Obwohl Spitzenkandidat Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei die meisten Stimmen bekam, wurde von der Leyen von Angela Merkel empfohlen und nach einer zähen Abstimmung des europäischen Ministerrats zur Präsidentin der Kommission gekürt.
„Kultur der Straflosigkeit”
Hatte sie etwas aus den vorausgegangenen Skandalen gelern? Nein! Von fragwürdigen Beraterverträgen über 460 Mio. € bis hin zu den aktuellen Ermittlungen wegen möglicher Unregelmäßigkeiten bei Verträgen mit dem Pharmaunternehmen Pfizer ziehen sich Merkwürdigkeiten durch ihre politische Laufbahn. Auch weitere Mitglieder ihrer Kommission, wie Josep Borrell oder die von ihr eingesetzte Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, sind oder waren in skandalöse Affären verwickelt, teilweise sogar gerichtlich verurteilt. Transparency International prangerte eine „Kultur der Straflosigkeit” im Europäischen Parlament an und wies darauf hin, dass die Vorfälle nicht isoliert seien, sondern Symptome eines grundlegenden Mangels an unabhängiger Kontrolle.
Wann haben wir aufgehört, die Besten für unser Gemeinwesen entscheiden zu lassen? Die Mission Europas sollte Frieden, Wohlstand, Stabilität sein. Aktuell erleben wir das Gegenteil.
Es ist an der Zeit für eine politische und moralische Wende in Brüssel! Die EU darf nicht länger eine Versorgungsanstalt für gescheiterte nationale Politiker sein, sondern muss eine echte Volksvertretung werden, in der echte Persönlichkeiten grenzübergreifend gewählt werden und mit Verantwortung, Fachkenntnis und Hausverstand agieren und nicht nur an Kameraauftritten interessiert sind. Die Repräsentanten dieser Union müssen sich an denselben moralischen Maßstäben messen lassen, die sie an andere stellen. Die Frage nach Europas Zukunft ist zu bedeutend, um sie – wie es der Satiriker und EU-Abgeordnete Martin Sonneborn formulierte – den „Leyen” zu überlassen!
Die Gastkommentare geben die Meinung des Verfassers wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzung vor.