Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
DISRUPTIV. Neues von der Gen AI-Front: Bislang beschränkte sich ChatGPTs Memory-Funktion auf ein paar handverlesene Fakten, vom Nutzer selbst preisgegeben – eine Prise Personalisierung, aber mit angezogener Handbremse. Das ändert sich: OpenAI hat angekündigt, dass ChatGPT künftig auf den gesamten Chatverlauf zugreift – quer über alle bisherigen Konversationen hinweg. Nicht mehr nur ein paar Notizen am Rand, sondern das volle Archiv. Das Feature wird für Plus- und Pro-Nutzer ausgerollt – mit Verzögerung in der EU (DSGVO lässt grüßen).
Amazon arbeitet parallel dazu an einer neuen Version seiner Sprachassistentin Alexa mit erweitertem KI-Potenzial (Alexa+). „Natürliche Gespräche” sollen dann möglich sein. Am Ende der Entwicklung steht ein echtes dialogisches System – mit Erinnerung, Stilgefühl, Situationsverständnis. Im Idealfall. In der dystopischen Variante entsteht aus der Fusion einer evolutionierten KI mit Soft Surveillance eine Nutzer-interaktion irgendwo zwischen Black Mirror, Kafka und einem, zwar höflichen, digitalen Kontrollregime. Man kann es lieben – oder hassen.
Apropos „hassen”: In der Kreativbranche galt lange: Die Idee ist König. Heute regiert der Algorithmus mit der Effizienz eines gut gelaunten Reißwolfs. Der kreative Prozess – fragmentarisch, widersprüchlich, manchmal genial –, wird zunehmend durch Systeme ersetzt, die schneller, glatter und, vor allem, berechenbarer produzieren. Mittelmäßigkeit in Hochfrequenz. Kreativ-KIs produzieren in Sekunden, wofür früher Teams tagelang, mit Espresso, Existenzangst und einem Hauch Inspiration, kämpften. Ein Werbetext? Zwei Zeilen Prompt. Ein Kampagnenkonzept? Sieben Sekunden Ladezeit. Und das Beste: Alles im gewünschten Stil, Tonfall und Timing. Output on demand. KI schreibt, was gefällt. Nutzen alle Marken dieselbe Maschine, klingt jede Differenzierung wie ein Duplikat mit Stilvariation. Oder um es mit einem Prompt zu sagen: „Schreib mir bitte etwas Originelles, das genauso klingt wie alles andere.”