„Es beginnt eine neue Ära im Bahnverkehr“
© Kurt Prinz
Andreas Matthä
MOBILITY BUSINESS Redaktion 21.11.2025

„Es beginnt eine neue Ära im Bahnverkehr“

Mitte Dezember eröffnet der Koralmtunnel. ÖBB-CEO Andreas Matthä über Zukunftsperspektiven der Bahn.

Verspätungen, die Auswirkungen des Hochwassers im Vorjahr, der Sparkurs im Staatshaushalt – für die ÖBB sind die Zeiten herausfordernd. Wie CEO Andreas Matthä die Bundesbahn in die Zukunft führt, verrät er im Interview.

medianet: Ihr Vorstands-Interview zum Geschäftsbericht 2024 trägt den Titel ‚Das Jahr 2025 wird ein Gamechanger‘. Hat sich die Prognose bewahrheitet?
Andreas Matthä: Mit der Inbetriebnahme der Koralmbahn am 14. Dezember 2025 beginnt eine neue Ära im Bahnverkehr. Die neue Strecke erweitert unser Fernverkehrsangebot um rund 30 Prozent und verkürzt Fahrzeiten deutlich. Graz–Klagenfurt in nur 41 Minuten, das ist schneller als jedes Auto. Also ja, wir setzen einen bedeutenden Schritt zur Stärkung der klimafreundlichen Mobilität.

medianet: Der ÖBB-Rahmenplan 2025-2030 sieht Miliardeninvestitionen ins österreichische Bahnnetz vor. Welche Projekte sehen Sie als kritisch an – und werden wegen des Sparkurses wichtige Projekte entfallen?
Matthä: Der neue ÖBB-Rahmenplan stellt sicher, dass bis 2030 19,7 Mrd. Euro in den Ausbau des heimischen Bahnnetzes fließen. Er wurde allerdings unter ökonomisch herausfordernden Vorzeichen erstellt und wird auch den aktuellen Notwendigkeiten im Bereich der Budgetkonsolidierung gerecht. Das bedeutet, dass manche Projekte später oder über einen längeren Zeitraum hinweg umgesetzt werden. Sie wurden auf Abhängigkeiten zu anderen Projekten, also auf ihre Gesamtwirkung im Bahnnetz, überprüft und dementsprechend auf der Zeitachse verschoben. Klar ist: Wir bauen jedes begonnene ÖBB-Bauprojekt fertig und investieren mit 3,2 Mrd. Euro pro Jahr weiterhin konstant hoch.

medianet: Der Güterverkehr bleibt herausfordernd. Welche konkreten Wachstumsfelder sehen Sie im Bereich Logistik & Schienengüterverkehr, und wie wollen Sie im Wettbewerb mit der Straße bestehen?
Matthä: Der Schienengüterverkehr in Europa verändert sich, neue Branchen, neue Kunden und ein starker Fokus auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit eröffnen neue Chancen. Ein Beispiel dafür ist die Digitale Automatische Kupplung, die das Potenzial hat, den Schienengüterverkehr in Europa zu revolutionieren. Sie gilt als Meilenstein in der Prozessoptimierung und Digitalisierung und soll maßgeblich zur Transformation des Schienengüterverkehrs beitragen. Denn sie wird die europaweit die aktuell verwendete Schraubenkupplung ablösen. Dadurch werden wir Vorteile im Bereich der Produktivität sehen, weniger Personal benötigen und die Sicherheit erhöhen. Wir investieren also in die Zukunftsfähigkeit der Schiene, mit mehr Effizienz, Flexibilität und einfacherem Zugang für Kunden.
Ein zentrales Wachstumsfeld sind mittelständische Unternehmen mit kleineren Sendungs­größen von einem Container bis zu einer Wagengruppe. Für sie bauen wir unsere integrierten Door-to-door-Lösungen aus, inklusive erster und letzter Meile, ohne dass ein eigener Gleisanschluss notwendig ist. Großes Potential sehen wir in den Bereichen multimodale Logistik sowie im innereuropäischen und maritimen Intermodalverkehr. Doch der Wettbewerb zwischen Schiene und Straße ist aktuell aufgrund fehlender Kostenwahrheit im Straßenverkehr in der gesamten EU verzerrt. Lkw werden steuerlich und mauttechnisch bevorzugt, verursachen aber hohe Umweltkosten. Deshalb setzen wir uns auf EU-Ebene für faire Rahmenbedingungen ein.

medianet: Sie haben gesagt: ‚Jede Verspätung ist eine zu viel.‘ Welche internen Kennzahlen verwenden Sie, um Pünktlichkeit und Verlässlichkeit zu steuern und wie wollen Sie diese verbessern? Wieviel Nerven kostet Sie in diesem Kontext die Deutsche Bahn?
Matthä: Unser Ziel ist klar. Wir müssen für unsere Fahrgäste ein zuverlässiges und pünktliches Angebot bieten und Verspätungen so weit wie möglich reduzieren.
Die ÖBB sind aber eine der internationalsten Bahnen Europas. Zwei Drittel aller unserer Fernverkehrszüge beginnen oder enden im Ausland. Das stärkt die Vernetzung mit unseren Nachbarn und den Tourismus. Viele Verspätungen aus den Nachbarländern übertragen sich so aber auch in unser Netz. Auch unsere Fernverkehrsverbindungen von Salzburg nach Tirol führen über Deutschland und werden dadurch anfällig für Verspätungen.
Mit einer Pünktlichkeit von 94 Prozent im Jahr 2024 zählen die ÖBB zu den pünktlichsten Bahnen Europas. Jede Verspätung wird analysiert, um gezielte Verbesserungen umzusetzen. In den kommenden Monaten stehen Bauarbeiten im Deutschen Eck an, die unumgänglich für die Instandhaltung der Infrastruktur sind. Um grenzüberschreitende Verzögerungen trotz Baustellen gering zu halten, bleiben wir in engem Austausch mit unseren deutschen Kollegen.

medianet: Sie geben Ihre Präsidentschaft beim Community of European Railways (CER) Ende 2025 ab. Wie sieht Ihre Leistungsbilanz aus? Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die europäische Zusammenarbeit verändern (müssen) – und welche Rolle sollen die ÖBB künftig dabei spielen?
Matthä: In meiner CER-Präsidentschaft seit 2020 konnten wir die europäische Bahnpolitik maßgeblich mitgestalten. In einer Zeit ambitionierter Klimapolitik, Jahren geprägt von Pandemie, einem Krieg vor der Haustür, Millionen Vertriebenen, Getreidetransporten und Energiekrise haben wir als Eisenbahnbranche schnell reagiert. Wir waren nicht Zaungäste, sondern Teil der Lösung. Heute sind die Bahnen mehr denn je Schlüssel zur Klimaneutralität und ein wichtiger Faktor der europäischen Sicherheit.
Mit Jänner 2026 übernimmt mein Kollege der polnischen PKP den Vorsitz. Ich bleibe dem CER als Vice-Chair erhalten und werde die Arbeit weiterhin aktiv begleiten. Denn Europa braucht mehr Bahn, und die Bahn braucht mehr Europa.

medianet: Der Rahmenplan nennt zusätzlich 4,8 Mrd. Euro für Instandhaltung. Wo sehen Sie die größten Engpässe bzw. ­Sanierungs-‚Bottlenecks‘?
Matthä: Die Qualität des Bestandsnetzes ist die Basis für die sichere und pünktliche Zugfahrt. Daher sind im Rahmenplan 2025–2030 auch ausreichend Mittel in der Höhe von 4,8 Mrd. Euro
für die Instandhaltung, Instandsetzung, Wartung und Entstörung vorgesehen. Bei einem Netz von rund 5.000 km und über 1.000 Bahnhöfen gibt es immer etwas zu tun. Diese kontinuierliche Arbeit ist von entscheidender Bedeutung, um die Qualität und Pünktlichkeit hochzuhalten. Was passiert, wenn man in einem Instandhaltungsrückstau gerät, sehen wir in anderen Ländern. Unser Ziel ist es, derartige Engpässe in der Instandhaltung gar nicht erst entstehen zu lassen.

medianet: Nachhaltigkeit und Eigenstromversorgung werden auch bei den ÖBB thematisiert. Was tut sich in diesem Bereich?
Matthä: Als eines der größten Klimaschutzunternehmen im Mobilitäts- und Logistikbereich wird unsere gesamte Bahninfrastruktur seit 2018 mit Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen betrieben. Den Eigenversorgungsgrad erhöhen wir kontinuierlich, indem wir gemeinsam mit Partnern Wasser-, Solar-, und Windkraftanlagen ausbauen und modernisieren.

medianet: Wenn Sie zehn Jahre vorausblicken: Wie wird der Bahnverkehr in Österreich 2035 aussehen? Welche Vision verfolgen Sie persönlich für die ÖBB?
Matthä: Die Mobilität von morgen fährt auf der Schiene. Auf der Weststrecke haben wir das Auto bereits überholt – jetzt folgt die Südstrecke mit der Koralmbahn, 2030 wird sie mit dem Semmering Basistunnel vollendet. Das wird die Bahn in den Süden revolutionieren. Gleichzeitig machen wir Bahnhöfe zu multimodalen Drehscheiben für Sharing und On-Demand-Angebote. So schaffen wir klimafreundliche und zukunftstaugliche Mobilität für alle. Die Zukunft gehört der Bahn.

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