ÖAMTC untersucht das Nutzungserlebnis von Fahrassistenzsystemen
© Stefan Joham
ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger
MOBILITY BUSINESS Alexander haide 14.11.2025

ÖAMTC untersucht das Nutzungserlebnis von Fahrassistenzsystemen

Zwischen Sicherheit und Bevormundung – so erleben Autofahrer Notbremsassistenten und Co.

WIEN. Moderne Autos sind mit zahlreichen Assistenzsystemen ausgestattet, die das Fahren sicherer und komfortabler machen sollen. Gleichzeitig sorgen sie immer wieder für Diskussionen. Doch wie hilfreich werden Spurhalte-, Notbremsassistenten und Co. im Alltag tatsächlich empfunden? Um diese Frage zu klären, hat der ÖAMTC in einer aktuellen Untersuchung 190 Viel- und 38 Wenigfahrern zu ihren Erfahrungen mit ADAS (Advanced Driver Assistance Systems) befragt.
 Das grundlegende Ergebnis zeigt laut ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger ein geteiltes Bild: „Während die Systeme von einer großen Mehrheit von rund 75 Prozent beider befragten Gruppen als vertrauenswürdig empfunden werden, berichten viele auch von bereits erlebten Fehlreaktionen.“

Spurhalteassistent eher unbeliebt und häufig deaktiviert
Besonders der Spurhalteassistent stößt laut Untersuchung auf Kritik. „Viele Fahrer deaktivieren ihn regelmäßig, weil er ihnen zu stark ins Fahrgeschehen eingreift oder als störend wahrgenommen wird. Etwa weil er das eigene ,Nicht-Blink-Verhalten‘ offenlegt“, erklärt Seidenberger. Auch der intelligente Geschwindigkeitsassistent ISA (Intelligent Speed Assistance), der seit Juli 2024 in der EU für alle Neuwagen verpflichtend ist und eine fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verhindern soll, zählt zu den unbeliebteren Systemen. Als besonders hilfreich werden hingegen der Notbremsassistent, der Rückfahrassistent, der Tempomat sowie die Abstands- und Lichtautomatik genannt.
Bemerkenswert ist, dass 59 Prozent der Vielfahrer und 63 Prozent der Wenigfahrer angaben, durch den Einsatz eines Assistenten bereits vor einem Unfall bewahrt worden zu sein. Gleichzeitig berichteten 61 Prozent der Vielfahrer, dass Systeme auch schon gefährliche Situationen ausgelöst haben.

Große Unterschiede bei Müdigkeitswarner
Ein weiteres seit Juli 2024 verpflichtendes System ist der Müdigkeitswarner. Seine Wirksamkeit hängt jedoch stark vom jeweiligen Hersteller ab. „Je nach System gibt es große Unterschiede, wie früh und wie klar Müdigkeitswarner reagieren“, erklärt Seidenberger. „Manche analysieren das Lenkverhalten, andere die Augen- bzw. Lidbewegungen. Entscheidend ist, dass die Warnung rechtzeitig erfolgt.“

Trotz technischer Fortschritte bleibt die Eigenverantwortung zentral: „Der beste Schutz gegen Sekundenschlaf ist immer noch, auf seinen Körper zu hören. Wer müde ist, sollte eine Pause machen. Die Technik kann warnen, aber sie ersetzt keine Erholung.“ Die ÖAMTC-Expertin empfiehlt deshalb, vor längeren Fahrten ausreichend zu schlafen und regelmäßig Pausen einzulegen.

Assistenz ja – Bevormundung nein
Die Mehrheit der Befragten wünscht sich, dass Assistenzsysteme nur in Gefahrensituationen angemessen eingreifen. „Fahrer möchten unterstützt, aber nicht bevormundet werden“, fasst Seidenberger zusammen. Zudem kritisieren viele die uneinheitlichen Symbole und die fehlende Möglichkeit, individuelle Einstellungen dauerhaft zu speichern. Hier sieht der ÖAMTC deutlichen Verbesserungsbedarf seitens der Hersteller.

Praxistest mit der ÖAMTC Fahrtechnik
Zusätzlich zur Befragung führte der ÖAMTC gemeinsam mit der ÖAMTC Fahrtechnik Praxistests durch. Probanden testeten Mittel- und Oberklassefahrzeuge in Fahrtechnikzentren, um den Einsatz und die Bedienung der Systeme zu erproben. Bereits die Personalisierung der Assistenten dauerte zwischen acht und zwölf Minuten – für viele zu lange. „Einige klagten über unübersichtliche Menüführungen und komplizierte Einstellungen“, berichtete Seidenberger, „Das zeigt, dass hier Nachbesserungen notwendig sind.“ Bei manchen Fragen zur Nutzung konnten erst die Instruktoren der Fahrtechnik Klarheit schaffen. Ein Hinweis darauf, dass viele Fahrer die Systeme nicht intuitiv bedienen können.

Fazit: Technik kennenlernen statt blind vertrauen
„Unsere Untersuchung zeigt eindrucksvoll, dass Lenker ihr Fahrzeug aktiv kontrollieren möchten, im Ernstfall die Unterstützung der Assistenzsysteme auch akzeptieren, jedoch nicht von der Technik bevormundet oder kontrolliert werden wollen“, betont Seidenberger. „Dennoch sind Assistenzsysteme wertvolle Begleiter, solange sie den Menschen unterstützen und nicht ersetzen.“

Daher empfiehlt die ÖAMTC-Verkehrspsychologin, sich mit den Systemen vertraut zu machen und deren Funktionsweise zu verstehen. „Nur wer weiß, wie die Assistenten funktionieren, kann sie richtig nutzen – und im Ernstfall souverän eingreifen.“ Gute Händler sind im Idealfall hilfreich und erklären die vorhandenen Systeme praxisnah. Gleichzeitig empfiehlt es sich, die Funktionen während einer Fahrt mit einem Instruktor der ÖAMTC Fahrtechnik zu erproben. Denn Sicherheit entsteht nicht allein durch Technologie, sondern durch die Erfahrung und das Verständnis der Nutzer im Umgang mit ihr.

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