••• Von Daniela Prugger
Iris Holborn steht lieber als sie sitzt. An diesem Montagmorgen im Oktober riecht es nach frisch gebackenem Apfelkuchen, Staubzucker und Semmeln. Holborn, 51, hat die Küchenschürze noch umgebunden, schiebt sich die Brille auf den Kopf, damit die blonden Haare nicht ins Gesicht fallen und sagt: „Dauert des lang? I hab no was zu tun.”
Jeden Tag steht sie von früh bis spät hinter der Theke, schneidet Wurst und Käse, schöpft aus dem Tiegel Kartoffelsalat und serviert Meinl-Kaffee. Vor dem Laden verkündet ein Schild: „Leberknödelsuppe 3,50”. Drinnen reihen sich Manner-Schnitten, Gösser Naturradler, Grüner Veltliner, Mozartkugeln, Darbo-Sirup, Soletti-Salzstangen und Knödelbrot aneinander. Und hinter der Glasvitrine ruht die volle Wucht österreichische Küche: Schweineschnitzel, Faschierte Laberl, Krautsalat.
In Wien ist das nichts Besonderes, in Berlin Exotik. Die Stadt, wo orientalische und asiatische Gerichte, vegane und Fusion-Restaurants an jeder Ecke locken, kann eine Alternative vertragen, sagt Holborn: „Etwas Bodenständiges”. Sie ist Kärntnerin, lebt seit 31 Jahren in Berlin und führt das Geschäft „Feines aus Österreich”.
Am Versuch, einen österreichischen Feinkostladen zu eröffnen, sind in Deutschland schon viele gescheitert. Holborn weiß, warum. „Man muass dahinter stehen. Man muass authentisch sein. Und si mit den Produkten auskennen.” In der deutschen Hauptstadt ist sie vor allem eines: Österreicherin.
Es war ihr Heimweh, das kulinarische, das Holborn vor 16 Jahren dazu bewogen hat, sich selbstständig zu machen. „Als Österreich noch nicht bei der EU war, hatte ich in Deutschland keine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis”, sagt sie.
Heute importiert sie die Waren und hat in Österreich einen Einkäufer – „einen Deutschen”. Er besorgt Weine, Getränke, Wurst und Schinken von Hörtnagl, Käse vom Pötzelsberger. Wie viele Produkte sie verkauft, weiß Holborn nicht. „Da müsst ich nachzählen.” Ob sie Produkte hat, die sie besonders gut verkauft? „Waß i ned. Is immer unterschiedlich.”
Wenig, dafür frisch
Aber in einer Zeit, in der sich die Konsumenten an eine ständige Verfügbarkeit von Produkten gewöhnt haben, sagt Holborn auch ganz klar: „Ich bin kein Supermarkt.” Das heißt: Bei ihr gibt es manche Produkte auch einfach einmal nicht. Sie kauft geringe Mengen ein, hat ein kleines Lager. Die Devise lautet wenig, dafür frisch, und alles andere ist selbstgemacht.
Es gab schon Anfragen, ob sie Spar Premium-Schokoladen-Aufstrich im Sortiment führe, zum selben Preis wie in Österreich. „Das geht si ned aus.” Oder Deutsche, die in Tirol auf einer Alm einen speziellen Käse gegessen haben und danach in Holborns Laden suchen. Dann muss sie erklären, dass das nicht geht. „I hab meine eigene Logistik. Vüle denken, dass die Produkte einfach gschickt werden.”
Dabei sei genau das die größte Herausforderung. Produkte zu finden, die sie in ihrem Laden noch zu vernünftigen Preisen verkaufen kann. Knödelbrot kostet hier 3,50 €. Das Bild, das die Kunden von österreichischen Produkten haben, sei immer positiv.
Im Bezirk Charlottenburg kennen viele das Land und das Essen aus dem Urlaub. Stammkunden, die nach Schmankerln aus dem Süden suchen. Das persönliche Gespräch tut das Übrige für die Kundenbindung. „Man muass halt einfach a nett und freundlich sei”, sagt Holborn. Dann kommen die Leute ganz von allein wieder. Für die Melange, wegen der Sprache und aus Heimweh.
Melange & Spritzer
Holborns Laden ist Dreh- und Angelpunkt für Exil-Österreicher, einer der wenigen Orte in Berlin, wo man einen Weißen Spritzer bestellen kann. Ohne dass es ordinär anmutet. Hier erzählt man sich Geschichten aus der Heimat, spricht darüber, wie es sich anfühlt, wenn in Österreich ein Verwandter krank ist und man nicht einfach hinfahren kann. Sudert über die Überkorrektheit der Deutschen. Oder idealisiert die Heimat. Davon hält Holborn aber nichts. „Es war ja ned alles schöner und besser in Österreich. Schön macht man sich das Leben selber.”
Ein Wiener, pensionierter Ägyptologe, die schwarze Jacke trieft vom Regen, kommt herein, sagt „Grüß Gott” und bestellt sich einen Kaffee – „einen großen Braunen, bitte”. Österreichisches Tempo. Für einen Kaffee haben die Berliner nämlich selten Zeit. „Manchmal denk i ma, die ham hier mehr Termine als die Merkel. Dabei hams nix zum tuan”, sagt er. „Und ständig redens übern Preis. A beim Essen. I sog immer: Guat is, gsund is, aus.”