Das große Schweigen: Konzerne in Österreich
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RETAIL hanspeter madlberger 26.04.2019

Das große Schweigen: Konzerne in Österreich

Handelsexperte Hanspeter Madlberger über den (un)heimlichen Rückzug der Konzerne hierzulande.

Gastbeitrag ••• Von Hanspeter Madlberger

Das Markenartikelgeschäft in Österreichs Super- und Discountmärkten ist voller Überraschungen, der Mega-Trend aber unübersehbar: Immer mehr Global Player ziehen es vor, den kleinen, hochkompetitiven Markt aus der Ferne zu steuern und ihre Austria-Vertriebstöchter personell und kompetenzmäßig auf Diät zu setzen. Österreich verkommt immer mehr zur Absatzkolonie von FMCG-Multis, mit negativen Auswirkungen auf die Inlands-Wertschöpfung und auf die Arbeitsplätze.

Das Ende der Produktion

Die Faktenlage: Globale Markenartikler wie Unilever, Kraft Foods, Jacobs oder Nestlé haben in den letzten Jahren ihre Marketingaktivitäten in Österreich teils dramatisch zurückgefahren, teils von Grund auf umstrukturiert. Produktionsstätten wurden geschlossen, ganze Markenfamilien verkauft, Joint Ventures eingegangen und aufgelöst. Das Manager-Karussell rotiert in Schwindel erregendem Tempo. Produkteinführungen und Werbekampagnen, früher im Land vom lokalen Marketingmanagement maßgeschneidert für die heimischen Konsumenten entwickelt, werden in immer stärkeren Maße von übergeordneten D-A-CH- oder CEE-Zentralen mit Sitz in Deutschland, den Niederlanden oder der Schweiz ausgebrütet.

Unilever einst und heute

Besonders spektakulär ist der Verfall der Austro-spezifischen Markenkultur beim britisch-niederländischen Unilever Konzern (Jahresumsatz 2018: 51 Mrd. €), ein Prozess, der sich über Jahrzehnte hinzog. Produktionsstätten in Wien-Simmering (Waschmittel), Wien-Atzgersdorf (Fette, Mayonnaisen) wurden stillgelegt, andere, wie die Tiefkühlfabrik in Großenzersdorf (Eskimo/Iglo) und die Knorr-Fabrik in Wels verkauft. Jüngster Höhepunkt dieser Restrukturierung: Im Herbst 2017 wanderte das Margarine-Geschäft von Unilever für rund 6,8 Mrd. € an den Private-Equity-Fond KKR (Kohlberg, Kravis, Roberts & Co.). Der Finanzinvestor übernahm damit weltweit ein Umsatzvolumen von drei Mrd. € – ein Kaufpreis, doppelt so hoch wie der Jahresumsatz. Wer kann das ausschlagen?

Tiefpreis statt Markenstärke?

In Österreich betreibt seit Kurzem die KKR-Tochter Upfield Austria mit Philip Siegel als Geschäftsführer den Vertrieb von Marken-Klassikern wie Rama, Thea oder Becel. So kommentiert ein Top-Einkäufer aus dem heimischen Handel den Eigentümerwechsel: „Eine Leitmarke wie Rama wird jetzt immer häufiger aktioniert.” Auf diese Weise den Umsatz und damit den Börsenkurs hochzupushen, scheint die Strategie des neuen Eigentümers zu sein.

Früher hatten zahllose Unilever-Marken einen Österreich-Touch – vom Gloria Haarspray (beworben von Bundy & Bundy), über Diana Franzbranntwein bis zu Thea Margarine und Twinni, Cornetto und Cremissimo von Eskimo. Was blieb davon übrig? Ja, das Iglo Marchfeld-Gemüse unter der Obhut des Finanzinvestors Nomad, der vor ein paar Jahren den Klassiker unter den heimischen Tiefkühlmarken vom Finanzinvestor Permira erworben hat. Die Austria Frost-Fabrik, die in Großenzersdorf neben Iglo-TK-Gemüse auch Handelsmarken erzeugt, gehört, nach mehrmaligem Eigentümerwechsel, seit Dezember 2008 dem belgischen Familienunternehmen Ardo.

Unilever Österreich heute?

Laut Goldener Trend ist der Umsatz des Unternehmens von 2006 bis 2016 um 23% auf 280 Mio. € zurückgegangen. Für 2018 meldete medianet ranking week einen leichten Anstieg auf 290 Mio. €. Wie dem Organigramm zu entnehmen ist, zählt Unilever Austria im Konzern zur Region D-A-CH.

Die Chefs des neuen Österreich-Geschäftsführers Nikolaus Huber, der sich zurzeit einarbeitet, sitzen in Hamburg. Deutschland hat für Unilever-D-A-CH deshalb besondere strategische Bedeutung, weil dort große Produktionsstätten angesiedelt sind: Heppenheim ist das Herzstück der Speiseeis-Produktion (mit Magnum als Lead Brand), in der Knorr-Heimatgemeinde Auerbach befindet sich Europas modernste Instantsuppen-Fabrik, und das Werk Buxtehude erzeugt Körper- und Hautpflegeprodukte für den ganzen Kontinent.
Übrigens ist Dove die umsatzstärkste Marke im Konzern; ihre Verkaufserlöse stiegen von 2,5 Mrd. (2008) auf 4,6 Mrd. € (2018). Unilever-Chef Paul Polman, der, von Nestlé kommend, das Unternehmen von 2009 bis Ende 2018 führte, baute nämlich, zwecks Steigerung der Rendite, das Kosmetikgeschäft massiv aus. Im breit gestreuten Geschäft mit Lebensmitteln verfolgte er einen auf Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung bedachten Kurs. Manche NGOs und manche Händler, die mit ihren Eigenmarken auf das Geschäft mit den LOHAS-Shoppern setzen, sehen das freilich anders. Beispiel Palmöl: Unilever bzw. Upfield rühmen sich, ausschließlich nachhaltig hergestelltes Palmöl zu verwenden. Unsere Spar hingegen hat sich für ihre Eigenmarken die möglichst rasche Einführung der Palmöl-Freiheit auf die Fahnen geheftet. Speziell bei Lebensmitteln verlieren die auf lange Haltbarkeit programmierten Industriemarken in vielen Kategorien Marktanteile an die Private Labels der großen Händler, die mit Frische, Regionalität, Bio und Nachhaltigkeit punkten.

Österreich vernachlässigbar

Weniger spektakulär als bei Unilever entwickelte sich das Österreich-Geschäft von Nestlé, dem weltweit größten Lebensmittelkonzern mit einem Jahresumsatz 2018 von umgerechnet 81,3 Mrd. €. Für beide Markenartikel-Giganten gilt: Die Austro-Geschäft ist für sie eine Petitesse. Unilever macht 2018 nur 0,57% seiner globalen Verkaufserlöse in unserem Land, Nestlé gar nur 0,45%.

Ihre Inlands-Produktion haben auch die Schweizer systematisch auf Null herunterfahren. Unter Fabrice Favero, der von 2016 bis Ende 2018 die Geschäfte von Nestlé Österreich führte, wurde Ende 2017 die Maggi-Fabrik in Linz geschlossen, im Frühjahr 2018 erwarb die Firma Spitz das Grundstück. Weil das Werk hauptsächlich Gastronomie-Produkte für den Export herstellte, blieben die Einzelhandelsverkäufe beim Maggi-Sortiment davon weitgehend unberührt.

Nespresso-Erfolgsstory

Der Nestlé-Gesamtumsatz in Öster­reich entwickelte sich in den letzten Jahren nahezu stabil, er lag 2010 bei 385 Mio. €, für 2018 wurden 360 Mio. gemeldet. Nach Beendigung des Joint Ventures zwischen Nestlé und Coca-Cola per Jahresende 2017 verschwand mit Nestea Eistee eine bedeutende Nestlé-Marke aus den Regalen des Handels. Hingegen hat die Erfolgsmarke Nespresso auch den heimischen Kaffeemarkt ordentlich aufgemischt – ein Warnsignal an den Handel, dass Weltmarken im Zeitalter der Digitalisierung bei entsprechend starker Werbung auch im Direktvertrieb erfolgreich sein können. Seit Herbst 2018 steht Alessandro Piccinini, Neffe des langjährigen, aus Villach stammenden Nestlé-Bosses Peter Brabeck-Letmathe, an der Spitze von Nespresso Österreich. Corinne Emonet übernahm mit Jahresbeginn 2019 von Favero die Geschäftsführung von ­Nestlé Österreich; zuvor zeichnete sie für das Tiernahrungsgeschäft in der Schweiz verantwortlich.

Manager- und Markenwechsel

Wie bei Nestlé herrscht auch in den Führungsetagen zahlreicher anderer Österreich-Töchter von Markenartikel-Multis ein ständiges Kommen und Gehen. Eine Aufenthaltsdauer von drei bis vier Jahren ist keine Seltenheit. Dem Kennenlernen der Spezifika des österreichischen Marktes und der Pflege guter Geschäftsbeziehungen zu den mächtigen Handelszentralen ist solch hohe Rotation gewiss nicht förderlich.

Managerwechsel, Markenwechsel, Eigentümerwechsel: Der viel beschworene Wandel im Handel ist ein Klacks gegenüber dem Übermaß an Diskontinuität, wie er im Markenartikel-Business zu beobachten ist. Schier endlos ist die Liste der nationalen und internationalen A-Marken, die im Laufe der letzen zwanzig, dreißig Jahre aus den verschiedensten Gründen an neue Eigentümer weitergereicht wurden.
Hier eine kleine Auswahl: Iglo, Kelly, Bouchet Weinbrand, Mautner Senf, Römerquelle, Gasteiner, Benco, Firn, Drei Wetter Taft, Wella, Schlumberger Sekt, Bona, Tempo, Küfferle, Himmeltau, Mozart Liqueur, Rossbacher, Auer Baumstämme, etc.etc. Die Uralt-Naturkostmarke Schneekoppe gehört neuerdings Philip Lahm, dem ehemaligen Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Dass Marken unter diesen Vorzeichen ihre wichtigste Funktion, nämlich Kundenvertrauen aufzubauen, nur sehr beschränkt nachkommen können, liegt auf der Hand.

Marken als Patchwork-Familie

Wer hätte je erwartet, dass Milka Schokolade und Jacobs Kaffee, zwei Ikonen des heimischen Markenartikelgeschäfts, die von 1982 bis 2000 im Eigentum von Claus Jacobs waren, seit fünf Jahren wieder familiär miteinander verbandelt sind? Die Sache ist ziemlich kompliziert. Die Kraft Foods-Tochter Mondelez International, zu deren stärksten Süßwaren-Marken „unsere” Milka zählt, beteiligte sich 2014 mit 49% an der Kaffeefirma Jacobs Douwe Egberts (JDE). Die 51%-Mehrheit an JDE hält die Getränke- und Kaffee-Firma Master Blenders, diese wiederum ist Bestandteil des Acorn-Konzerns, einer Sparte der JAB Holding. 90% der JAB-Holding aber befinden sich im Eigentum der deutschen Unternehmer­dynastie Reimann.

Als Eigentümer der Reinigungsmittel-Firma Benckiser, die mit ihrer Fabrik in Hallein für Marken wie Calgon, Calgonit und Quanto ihre erste Auslandsniederlassung betrieb, zählen die Reimanns neben den Henkels, den Schneiders (Erdal), den Riegels (Haribo), den Bahlsens und vielen anderen zu jenen deutschen Unternehmerfamilien, die wesentlichen Anteil am Aufbau des Markenartikelgeschäfts in Österreich hatten. Freilich: Von Benckiser über Reckitt-Benckiser zu Jacobs Douwe Egberts und JAB war es ein langer Weg gesäumt von Mergers & Akquisitions. Ebenso wie im Schokoladenbereich die Entwicklung von Philip Morris über Kraft Foods zu Mondelez.

Jacobs & Mondelez-Erlöse

Jacobs Douwe Egberts hat seinen Konzernsitz in den Niederlanden und belegt im weltweiten Röstkaffeemarkt mit einem Anteil von rund acht Prozent Rang zwei hinter Nestlé/Nespresso. Die Geschäfte von JDE Österreich leitet Felix Regeler.

Mondelez Österreich wird seit April 2018 von Daniel Bsteh gemanagt. Und mit Vince Gruber übernahm im Jänner dieses Jahres ein Österreicher die Leitung des Europa-Geschäftes von Mondelez International. Er verantwortet ein Umsatzvolumen von rund 10 Mrd. USD, das sind knapp 39% des globalen Geschäfts in Höhe von 25,9 Mrd. USD. Laut medianet erreichte Mondelez im Jahr 2018 hierzulande einen Umsatz von 172 Mio. €. Im Jahr 2010 hingegen schaffte Vorgängerfirma Kraft Foods Erlöse von 231 Mio. €.

Es geht auch anders

Doch nicht alle Marken-Multis haben hierzulande in den letzten Jahren an Marktbedeutung eingebüßt. Procter & Gamble, traditionell ohne Produktionsstätten in Österreich, legte von 2006 auf 2016 durch Akquisitionen und hohe Werbeinvestitionen um 37% zu. Weltmarken wie Gillette und Duracell wurden 2005 erworben. Eine europäische Marke wie Wella wurde gekauft und bald darauf an die JAB-Tochter Coty mit Gewinn weiterverkauft. Dass in TV-Spots, die der ORF ausstrahlt, deutsche Fußball-Stars für Körperpflege-Marken von P&G werben, ist, aus österreichischer Sicht, na ja, suboptimal.

Procters Erzrivale Henkel hingegen leistet sich sogar rot-weiß-rot „angehauchte” Marken wie Fewa, Silan oder Dixan. Die Umsätze von Henkel CEE stiegen von 2006 bis 2016 um 44%. Der Düsseldorfer Chemieriese hat mit seinem CEE-Headquarter und der Waschmittelfabrik, beides in Wien-Erdberg daheim, eine besonders enge und intensive Beziehung zu unserem Land und zu unserer Marken-Landschaft.

Global kann auch lokal

Last but not least liefern internationale Getränkekonzerne den Beweis dafür, dass erfolgreiches Global und erfolgreiches Local Brand Business einander nicht auszuschließen brauchen. Da wäre etwa die Heineken-Tochter Brau Union, die mit Gösser, Zipfer, Puntigamer, etc. eine breite Palette an heimischen Bierklassikern im Lande produziert und mit voller Marketingpower unterstützt – mit dem Ergebnis, dass der Umsatz von 592 Mio. € im Jahr 2010 auf 712 Mio. € im Jahr 2018 gestiegen ist. Heinekens Cidre-Marke heißt bei uns Stibitzer und wird zu 100% aus österreichischen Äpfeln erzeugt.

Positiv bilanziert im acht-Jahre-Vergleich auch Coca-Cola Beverages mit einem Umsatzanstieg von 310 Mio. auf 337 Mio. €. Und auch Atlanta lässt sich nicht lumpen: Das 90 Jahre-Jubiläum in Österreich wird medial gebührend gefeiert. Und unser David Alaba hat sogar mit Coke einen Werbevertrag.

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