Das ständige Gfrett mit den Öffnungszeiten
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RETAIL Redaktion 22.11.2024

Das ständige Gfrett mit den Öffnungszeiten

Lebensmittelboxen boten einen Ausweg aus den eng geschnürten Ladenöffnungszeiten. Er wurde geblockt.

••• Von Georg Sohler

Es ist kein Problem, das nur Österreich betrifft: Wer die großen Ballungsräume hinter sich lässt, trifft unweigerlich auf regionale Zentren, wo sich abseits der Ortskerne die Supermärkte am Kreisverkehr übereinanderstapeln. Je weiter man sich von größeren Ortschaften entfernt, desto weniger Einkaufsmöglichkeiten gibt es. In 28% der 2.093 Gemeinden gibt es gemäß RegioData keinen Vollsortimenter mehr, das sind 580. Fasst man die Definition Nahversorger etwas weiter, so haben laut Statistik Austria 18% (oder 382 Gemeinden) keinen.

Das ist keine gute Entwicklung, hat sich doch die Zahl der Gemeinden ohne Lebensmittelgeschäft österreichweit zwischen 2011 und 2021 um gut sechs Prozent erhöht. Wer fußläufig keinen Nahversorger hat, muss für jeden Liter Milch ins Auto steigen. Die Fachmarktzentren rund um kleinere Städte sind aus Sicht des Klimaschutzes auch alles andere als ideal, tragen sie doch zusätzlich noch zur Bodenversiegelung bei. Die hohen Personalkosten machen es kleineren Geschäften schwer, sich zu halten. Sie spielen zudem eine wichtige Rolle für das Zusammenleben. Was also tun?

SB ist (k)eine Lösung

Eine mögliche Lösung sind Selbstbedienungsboxen, möchte man zumindest meinen. Mit Bankomatkarte und App könnten die Menschen somit zumindest die wichtigsten Lebensmittel rund um die Uhr einkaufen. Das betrifft vielerorts Pendler oder Menschen, die in Berufen arbeiten, die nicht den typischen 9-to-5-Arbeitszeiten folgen. Im Februar 2024 entschied der Verfassungsgerichtshof, dass derartige Lösungen von Unimarkt nicht rund um die Uhr geöffnet haben dürfen. Laut dem Betreiber wäre dies aber wirtschaftlich notwendig.

Doch gemäß VfGH handelt es sich bei derartigen Boxen mit Zugangsregelung nicht um Warenausgabeeinrichtungen wie beispielsweise Zigarettenautomaten und somit müssen sie sich an die gesetzliche Höchstgrenze von 72 Stunden halten, die das Öffnungszeitengesetz allgemein für den Handel vorsieht. Das Unternehmen hat infolge alle Boxen geschlossen und sieht sich nach wie vor im Unrecht.

Antiquierte Regelungen

Zu den Fakten: Im Rahmen von grundsätzlich 85 Stunden Öffnungszeiten (Mo–Fr 6 bis 21 Uhr, Sa 6 bis 18 Uhr) erlaubt der Gesetzgeber maximal 72 Stunden Gesamt­offenhaltezeit pro Kalenderwoche. Landeshauptleute dürfen zudem verordnen, dass für Pendler oder in Tourismusgegenden länger als 72 Stunden offen gelassen werden kann bzw. außerhalb der Kernzeiten. Ausnahmen gibt es genug, etwa Flughäfen und Bahnhöfe, den Verkauf im Rahmen eines Gastgewerbes, Tankstellen, den Kasernenbereich, Märkte oder Automaten. Die in einigen Städten schon existierenden Automatenshops, die rund um die Uhr offenhalten dürfen, sind von dieser Regelung nicht erfasst.

Für jene wie Unimarkt oder Rewe, die gerne Selbstbedienungsmöglichkeiten bieten würden, ist das nicht verständlich. „Die antiquierten Öffnungszeiten in Österreich stehen im Gegensatz zum Kundenwunsch nach mehr Flexibilität; das betrifft insbesondere Pendler”, erklärt dazu Rewe-Unternehmenssprecher Paul Pöttschacher. Bäckereien können zwar früher aufsperren, aber abends bleiben den Menschen, die es brauchen, nur noch die (teureren) Tankstellen oder Bahnhöfe, um etwaige Notwendigkeiten zu erstehen.
Unimarkt-Chef Andreas Haider empört sich darüber: „Das versteht in Österreich keiner. Hier hat der Gesetzgeber vergessen, die Gesetze aus dem Jahr 1983 anzupassen. Zum damaligen Zeitpunkt konnte niemand erahnen, was heute mit der modernen Technik alles machbar ist, daher gehört dieses Gesetz umgehend reformiert.”

Manches ist gleicher

„Diese Ungleichbehandlung erschwert den wirtschaftlich sinnvollen Betrieb innovativer SB-Standorte”, meint Pöttschacher weiter und wünscht sich „eine Gleichstellung von SB-Konzepten (Hybridkonzepte und SB-Formate) mit Automatenshops”. Warum man sich etwa um 21:30 in einem Automatenshop etwas mittels Bankomatkarte herausholen kann, jedoch nicht gemäß dem selben Prinzip um dieselbe Uhrzeit im Verkaufsraum, wirkt tatsächlich fragwürdig.

Haider ist als Unimarkt-Chef mit Nah&Frisch schon Vorreiter in Modernität. Dort gibt es seit gut einem Jahr das hybride Einkaufsmodell, das Rewe-Kaufleute ebenfalls testen – etwa in Form einer SB-Box in Wiener Neudorf oder durch selbstständige Rewe-Kaufleute mit Hybridkonzepten. So können Standorte erhalten werden, an denen „sich ein klassischer Supermarkt nicht rechnet”. Eine Kombination von Bedienung und Zugang durch registrierte Karte oder App zu Zeiten, in denen niemand im Geschäft ist oder sein kann, ist erfolgreich, wie Haider sagt: „Viele Nah&Frisch-Standorte, die auf Hybrid umgestellt haben, machen bis zu 30 Prozent mehr Umsatz, da sie nun auch die maximalen Öffnungszeiten ausnutzen können.”

Aber Achtung!

Den „Umsatzboost” für die Kaufleute bestätigt auch Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl. Die Personalkosten sind überall hoch; wer an einem wenig frequentierten Standort ist, kann die Wirtschaftlichkeit durch das hybride Konzept verbessern. Er schlägt in der Sache Alarm: „Wenn in Kombination mit Hybridlösungen die Öffnungszeiten deutlich ausgeweitet werden, dann öffnet sich eine Büchse der Pandora.”

Er erklärt: „Dann werden sich Beschäftigte genötigt sehen, zu ungünstigeren Zeiten zu arbeiten. Oder sie werden eben durch Automaten ersetzt, und wenn das in großem Umfang passiert, muss uns allen klar sein, was das für Arbeitsplätze bedeutet.” Darüber hinaus sind die Automatenshops alles andere als günstig und können hinsichtlich Angebot nicht mit Supermärkten mithalten. Also: „Eine komplette Automatisierung des Lebensmittelhandels kann aus vielerlei Gründen nicht unser Ziel sein.”

Nahversorgung ist mehr

Vor allem im ländlichen Raum greife diese Lösung noch aus weiteren Gründen nicht. Wuchterls Ablehnung des Konzepts „gilt im Besonderen für den Lebensmitteleinkauf am Land. Denn da geht es auch um die soziale Funktion des Nahversorgers.” Während viele jüngere Menschen sehr mobil sind, trifft das auf ältere nicht mehr so zu. Der Einkaufsladen ist in vielen Gemeinden oftmals der einzige Ort, wo man sich auf ein Gespräch treffen kann oder sonstigen sozialen Anschluss findet. Bei Nah&Frisch empfiehlt man den eigenen Kaufleuten auch, sich mit den Menschen in den Gemeinden auszutauschen und zu schauen, zu welchen Zeitpunkten das Einkaufen möglich sein kann.

Das schafft dann letztlich Wertschöpfung vor Ort, wie Haider anmerkt: „Gerade am Land hat das einen großen Mehrwert für die Bevölkerung, da die Kunden auch später am Abend einkaufen können und nicht die Versorgung in der Stadt erledigen müssen.” Das Hybridmodell erlaubt es ja auch, in der Früh einige Stunden zu bedienen, unter Tags können Kunden dies alleine tun und am Abend gibt es wieder Bedienung. Wie eingangs erwähnt, gibt es Ausnahmen, die auf die Bedürfnisse eingehen, wie etwa in Tourismusregionen. Gerade im nahenden Winter werden sich viele Touristen freuen, dass sie zum Skigepäck nicht noch Essen bzw. Verpflegung für drei Tage von Samstag bis Montag mitschleppen müssen.

72 Stunden sind genug

Das heißt aber eben nicht, dass es mehr Öffnungsstunden braucht, hybride Konzepte führen zu einer Ausdehnung bestehender Öffnungszeiten. Das sieht man übrigens auch bei Spar so. „Wir sind mit den 72 Stunden zufrieden, aus unserer Sicht genügt das”, erklärt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann. Obwohl angefragt, wollten sich Vertretungsorganisationen nicht äußern – es sei schlicht heikel.

Den Wunsch nach längerer Öffnungszeit durch manche kann man nachvollziehen, das starre Festhalten an alten Regelungen ist mäßig verständlich. Was dies für die Beschäftigten bedeutet, muss aber stets mitbedacht werden.

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