••• Von Christian Novacek
Wer hierzulande Bier sagt, muss Seidl sagen – und meint damit nicht eine flotte Gebindeform des Gerstensafts, sondern den legendären Bierpapst. Im medianet-Interview über Bierträume und Schäume:medianet: Sie haben als Bierpapst ein neues Bierbuch am Markt. Was wurde denn über Bier in Österreich bis dato nicht gesagt?
Conrad Seidl: Über Bier ist nie alles gesagt – aus dem einfachen Grund, dass die Bierszene ständig in Bewegung ist. Dasselbe gilt für die Gastro-Szene. Und die Bewegung geht in die richtige Richtung: Mehr Vielfalt, mehr Auswahl, besseres Service. Viele Lokale, die im ‚Bier Guide 2017' aufgelistet sind, hat es vor zehn Jahren noch gar nicht gegeben; einige Brauereien hat es vor fünf Jahren noch gar nicht gegeben. Und da wir jedes Jahr mehrere Dutzend Bier-Innovationen sehen, muss man natürlich auch betonen, dass es etliche Biere vor einem Jahr noch nicht gegeben hat.
medianet: Ist Österreich Ihr Bier-Traumland?
Seidl: Österreich ist ein Land, in dem es viele ausgezeichnete Biere gibt – und, was vielleicht noch wichtiger ist: Es gibt kaum Biere, für die man sich genieren müsste. Denn selbst bei den kleinen und kleinsten Brauereien wird mit beachtlicher Professionalität gebraut – technische Fehler sind sehr selten geworden. Aber natürlich gibt es Länder, in denen es noch mehr Innovationsfreude gibt. Das sind meist Länder, die keine so etablierte Biertradition haben; da denken die Brauer unbefangener, und die Konsumenten in Ländern wie USA, Italien, Brasilien oder auch Vietnam sind auch probierfreudiger.
medianet: Welches ist für Sie das beste Bier in Österreich und warum?
Seidl: Das beste Bier ist immer das, auf das man sich als nächstes freut. Natürlich gibt es einen Grund, warum ich sehr oft in die ‚1516 Brewing Company' gehe.
medianet: Wie beurteilen Sie aktuelle Trends am Biermarkt, konkret jenen hin zum alkoholfreien Bier – kann alkoholfreies Bier einen echten Biertrinker zufriedenstellen?
Seidl: Alkoholfreies Bier ist in den letzten Jahren viel besser geworden – es wurde auch intensiv daran geforscht. Aber wahrscheinlich werden die alkoholfreien Biere immer in einer Nische bleiben, auch wenn diese Nische größer wird. Denn wie Sie richtig vermuten, wird der ‚echte Biertrinker' zum ‚echten Bier' greifen, wenn er die Wahl hat.
medianet: Bier wurde von der Brau Union einst als ‚gesundes' Getränk bezeichnet. Inwieweit lässt sich das heute noch sagen?
Seidl: Bier ist ein gesundes Getränk, wenn man nicht zu viel davon trinkt. Das ist erwiesen, das dürfen Ärzte sagen, das dürfen Journalisten sagen – nur die Brauereien dürfen das nicht sagen, weil geltendes EU-Recht verbietet, gesundheitliche Wirkungen bei alkoholischen Getränken auszuloben. Auch Guinness darf nicht mehr sagen ‚Guinness is good for you', wie es jahrzehntelang geworben hat. Einer kleinen deutschen Brauerei wurde kürzlich sogar verboten, zu bewerben, dass ihr Bier ‚bekömmlich' wäre ...
medianet: Biergenießer neigen geschmacklich gern in Richtung Pils. Wie erklären Sie sich, dass die Deutschen ein gutes Pils zu schätzen wissen, die Österreicher hingegen lieber Märzen schlucken?
Seidl: Das hat historische Wurzeln, die in der Nachkriegszeit liegen – da wurde vom damals noch bestehenden Bierkartell Märzen zum Edelbier hochstilisiert. Auch Deutschland war ja nicht immer ein Pilsland; dazu wurde es erst in den 1960er- Jahren mit dem offensiven Marktauftritt der Pils-Brauer aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Und viele deutsche Pilsbiere entsprechen längst nicht mehr dem ursprünglichen, herben Pilscharakter – da entsteht ein falscher Eindruck. Und als Österreicher können wir stolz darauf hinweisen, dass einige der immer wieder bei Wettbewerben ausgezeichneten Pilsbiere aus Österreich kommen.
medianet: Der österreichische Biermarkt ist einerseits stark konzentriert, andererseits schäumen die Nischen über. Inwieweit fördert oder verhindert die Marktsituation hierzulande bierige Innovationen?
Seidl: Derzeit läuft es für die Innovationen gut. Aber für kleine Brauer kann es schwierig werden, mit ihren Ales, Stouts und anderen Nischenprodukten in Gastrobetriebe zu kommen, die vertraglich an größere Brauereien gebunden sind. Die werden nämlich künftig selber Pale Ales in ihrem Sortiment anbieten – allein das ‚Stiegl Columbus' dürfte in der Größenordnung von 8.000 Hektolitern verkauft werden, das entspricht der Größe einer kleinen Familienbrauerei.
medianet: Hätte ‚Stout' in Österreich mehr Chancen, wenn es den Willen dazu gäbe? Oder haben die Iren schlichtweg andere Vorlieben, was Bier betrifft?
Seidl: Sicher gibt es auf jedem Markt Gewohnheiten der Konsumenten, und die Iren sind an das Stout so gewohnt wie die Österreicher an ihr Märzen. Einem Stouttrinker kann man schwer ein Helles verkaufen, einem Märzentrinker schwer ein Stout. Aber das ist ja auch nicht notwendig: Biere wie Porters, Stouts und Pale Ales richten sich ja an Konsumenten, die eben die gängigen Biere nicht so mögen – also Weintrinker und natürlich Frauen, die sind tendenziell wählerischer.
medianet: Was geht Ihnen am heimischen Biermarkt ab?
Seidl: Der Respekt für Zapfkultur und perfekte Leitungspflege! Leider werden immer noch viele der von den Braumeistern mit viel Aufwand gebrauten Biere auf den letzten Metern zum Gast versaut.