„Lebensmittel sind nach wie vor leistbar”
© Christian Huber
Gerald Hackl
RETAIL Redaktion 17.05.2024

„Lebensmittel sind nach wie vor leistbar”

Vivatis-Chef Gerald Hackl stellt klar, dass Lebensmittel nur zehn Prozent der Haushaltsausgaben ausmachen.

••• Von Oliver Jonke und Georg Sohler

Gerald Hackl ist seit zweieinhalb Jahrzehnten in der Lebensmittelbranche, seit zwölf Jahren leitet er als Vorstandsvorsitzender die Vivatis Holding AG, eines der größten rein österreichischen Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittelbranche. Im Interview spricht Hackl über die Herausforderungen in der Produktion; er wünscht sich mehr Verständnis in Politik und Bevölkerung für die Branche.

medianet: Die letzten Jahre waren von Krisen geprägt. Wie steht Vivatis Mitte 2024 da?
Gerald Hackl: Am Ende ist es nicht so schlecht gelaufen wie befürchtet, aber es war extrem herausfordernd. Mittlerweile sind wir im vierten Jahr der Krisen, weil nach Covid der traurige und furchtbare Krieg Russlands gegen die Ukraine kam. Eine zweistellige Inflation gab es in den letzten 40 Jahren nicht …

Wir konnten unseren Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr zwar um 117 Mio. Euro auf 1,3 Mrd. Euro steigern, aber es ist verdammt mühsam mit den Kostensteigerungen. In so einem Ausmaß kannte das niemand, sie lagen um zehn Prozent über 2022 und 40 Prozent über dem Vorkrisenniveau 2019.
In Zahlen heißt das: Wir hatten 2023 über 170 Mio. Euro Mehrkosten – normalerweise veranschlagen wir 10 bis 20 Mio. Es geht auch nicht nur um Rohstoffe, Verpackung, Energie und Logistik, sondern auch um die Lohn- und Gehaltssteigerungen in Höhe von über 40 Mio. Euro. Einen Großteil der Mehrkosten mussten wir weitergegeben, 30 Mio. sind aber an uns hängen geblieben, das ist nahezu doppelt so viel mehr als normal.

medianet: Wie reagiert man darauf?
Hackl: Man versucht, noch produktiver zu werden oder die Effizienz weiter zu steigern, aber auch das geht nicht unendlich – vor allem, weil wir schon sehr effizient sind und eine Reihe an Maßnahmen bereits umgesetzt haben, um die Fixkosten zu senken. Ich bin seit zwölf Jahren Vorstandsvorsitzender und wir haben bereits 2013 mit derartigen Programmen angefangen, die uns in der Covidkrise geholfen haben.

medianet:
Wie haben sich die Mehrkosten nun ausgewirkt?
Hackl: Die Erträge sind gesunken. Wir sind angesichts der schwierigen Marktlage zwar zufrieden, aber von den Margen multinationaler Unternehmen weit entfernt. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Geschäftsfelder kann ich keine einzelne Zahl nennen. Der Umsatz von rund 1,3 Mrd. Euro teilt sich aber wie folgt auf: Je ein Viertel unseres Gesamtumsatzes sind erstens LEH und Diskont, zweitens Außerhauskonsum mit Gastro, Großhandel und Hotellerie sowie drittens die Gemeinschaftsverpflegung. Rund 20 Prozent werden im Ausland erwirtschaftet. Wir verköstigen täglich über 300.000 Menschen. Das sind rund 3.000 Bildungseinrichtungen für Kinder, über 2.500 Betriebe, 250 Kantinen, hinzu kommen Seniorenheime oder das Krankenhaus Nord. Die erwirtschafteten Gewinne bleiben großteils im Unternehmen. Was wir verdienen, reinvestieren wir in Gebäude, Anlagen, Technologie, Personal, Schulung, Qualität, Innovation und Co.

medianet:
Also konservativ nachhaltiges Wirtschaften.
Hackl: Es gibt wenige Betriebe, die so arbeiten wie wir. Nachhaltigkeit ist uns eben nicht nur aus ökologischer Sicht wichtig. Wir investieren jedes Jahr um die 40 Mio. Euro. Das sieht man auch. Wir haben ordentliche Betriebe und Anlagen, bilden unsere Mitarbeiter aus und weiter. Es gibt eine klare Strategie, wo wir hin wollen.

medianet:
Wie sieht diese aus?
Hackl: Unsere Strategie lautet: Wachstum, aber nicht um jeden Preis. Es gibt für jede unserer Konzerngesellschaften ein klares Strategiepapier mit Portfoliostrategie, Positionierung, strategischen Maßnahmen und langfristigen Zielen, auf drei bis zu sieben Jahre. Das wird jedes Jahr mit den Verantwortlichen der Unternehmen upgedatet.

medianet:
Gesundes Wachstum gehört dazu, auch im Ausland?
Hackl: Ich stehe zu Österreich, bin Patriot. Aber wenn etwas gut zu unseren Geschäftsfeldern passt, dann investieren wir natürlich auch im Ausland, etwa in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Italien oder Deutschland. In den letzten Jahren sind leider viele heimische Unternehmen ins Ausland verkauft worden. Ob das gut ist oder schlecht, will ich nicht bewerten, aber wir versuchen, solche Unternehmen bzw. Marken, wie z.B. in den letzten Jahren Frisch und Frost, Toni Kaiser oder Wojnar’s, in Österreich zu halten.

medianet:
Der deutsche Markt erscheint besonders attraktiv …
Hackl: Ja, insbesondere, was die Gemeinschaftsverpflegung betrifft. Wir beliefern da seit Jahren München, Ingolstadt und Mannheim. Seit 2019 haben wir mit dem Nürnberger Unternehmen Franken Catering einen Hub. Aktuell machen wir rund 15 bis 20 Mio. Euro Umsatz, das Ziel sind 50 bis 70 Mio. Vor allem Süddeutschland ist für uns sehr interessant. Die Kindergärten in München wollten beispielsweise mit uns kooperieren, dort haben wir bei den Verkostungen immer sehr gut abgeschnitten. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es aber unser Ziel, diese von Deutschland aus zu beliefern und nicht von Österreich. Solche Projekte machen uns Freude.

medianet:
Kommen wir von nachhaltigem Wachstum zum Klimaschutz. Worauf setzt Vivatis?
Hackl: Wir tun extrem viel, denn Nachhaltigkeit ist für uns schon lange ein zentrales Thema. Ein paar Beispiele: All unsere Betriebe haben eine klar definierte Nachhaltigkeitsstrategie, sind energieeffizient und somit energiesparend, wir haben viele PV-Anlagen, beteiligen uns an Windparks und Geothermie, haben die Plattform innovatis, wo wir tolle Ideen sammeln und umsetzen. Wir können dank besserer Routenplanung und Videokonferenzen viel CO2 einsparen. Ich bin vor Covid knapp 70.000 Kilometer im Jahr gefahren, jetzt ist es weniger als die Hälfte. Wir machen, was Sinn macht.

medianet:
Wie sieht Ihre Prognose für das laufende Jahr nun aus?
Hackl: Die Inflation bleibt heuer noch hoch. Manches wird nicht billiger, der Strom liegt 100 Prozent über dem Vorkrisenniveau, Diesel kostet statt einem Euro bis zu zwei. Die Rohstofflage entspannt sich zwar, aber die hohen Lohnabschlüsse führen zu Steigerungen, etwa im Bereich Molkerei. Folglich greift der Konsument oft zu Eigenmarken, bei denen die Wertschöpfung für uns geringer ist. Ich bin ein emotionaler Mensch – was mich massiv bewegt: Weltweit werden bis zu 40 Prozent des produzierten Fleischs weggeworfen, d.h. vier von zehn Rindern, Kälber, Schweinen sterben umsonst. Diese werden geschlachtet, verarbeitet, transportiert, gekauft und dann schmeißt man das Fleisch weg bzw. es muss verbrannt werden. Das sind traurige Zahlen und Fakten. Wenn man alleine mit den österreichischen Verschwendungen Lkws befüllen würde, hätte man eine Strecke mit vollen Lkws von Wien bis Zürich. Damit könnten wir alle Menschen ernähren, die sich hier schwertun. Dann lese ich, dass wir die Preise treiben …

medianet:
Es ist aber zu lesen, dass bis zu 300.000 Menschen armutsgefährdet sind …
Hackl: Das ist uns bewusst. Und bei über 3.600 Mitarbeitern im Unternehmen gibt es auch bei uns Kollegen, bei denen es knapp ist. Wenn eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern nur 30 Stunden arbeiten kann, dann verdient sie nur 2.000 Euro – die tut sich schwer, und das wissen wir, also unterstützen wir sie, weil ich uns auch in der Verantwortung sehe. Wir haben 2022 und 2023 jeweils mehr als eine Million Euro Teuerungsprämien ausbezahlt. Aber auch der Staat trägt Verantwortung und sollte helfen. Das macht er aber nicht zielgerichtet, sondern mit der Gießkanne.

medianet:
Fühlen Sie sich als Produzent von der Politik gut genug unterstützt? Es gab ja einen ‚Lebensmittelgipfel'.
Hackl: Dort wurde uns aber nicht zugehört. Politik und Medien haben Lebensmittelbashing betrieben, es hieß, Produzenten und LEH wären die Inflationstreiber. Das stimmt aber nicht. Ich finde es wirklich schade, weil wir 100 Prozent Österreich sind. Wo es nur irgendwie geht, beziehen wir die Rohstoffe im Inland. Das sind über 100.000 Tonnen Fleisch, Obst, Milch und Gemüse im Jahr. Die Mitarbeiter sind größtenteils aus Österreich, und wir zahlen unsere Steuern hier, generieren Wertschöpfung. Und dann haut man auf uns hin. Ja, es gibt Unternehmen, die Renditen erhöhen, aber die verdienen das nicht in Österreich oder Europa. Der arabische und asiatische Raum boomt, dort wird das Geschäft gemacht.

medianet: Dass es teurer geworden ist, kann man dennoch nicht wegdiskutieren.
Hackl: Ja, das ist richtig. Ich glaube aber, dass Lebensmittel trotzdem nach wie vor leistbar sind. Noch einmal: Wir wissen, dass es für manche schwierig ist. Aber das Essen macht lediglich rund zehn Prozent der Haushaltsausgaben aus. Nach Wohnen und Energie kommt das Auto, dann schon Freizeit, Urlaub und dann erst die Lebensmittel. Ich vergönne allen den Urlaub, aber die Angebote waren letztes Jahr ausgebucht und doppelt bis fast dreifach teurer. So machen wir uns kaputt. Wenn die Menschen täglich in der Zeitung lesen, dass die Lebensmittel alleine für die Inflation verantwortlich sind, glauben sie es irgendwann. Da kauft man einmal in der Woche ein Joghurt und es kostet statt 70 Cent nun einen Euro – teurer ja, aber leistbar. Außerdem werden im Vergleich mit Deutschland Äpfel mit Birnen verglichen. Österreich hat eine andere Topografie, und es gibt alles, auch im hintersten Bergtal. Wir zahlen andere Steuern, es gibt ein hohes Lohnniveau, und heimische Rohstoffe sind aufgrund der kleinstrukturierten Landwirtschaft teuer. In Österreich gibt es zudem einen sehr hohen Aktionsanteil (mehr als 1/3 wird in Aktion verkauft). Die Kunden wurden dahingehend erzogen. All diese Faktoren werden nicht berücksichtigt. Ich liebe dieses Land, aber wir sind manchmal schon etwas schizophren.

medianet:
Wie sieht nun der Ausblick aus? Sie leiten das Unternehmen seit zwölf Jahren – ist es allem zum Trotz Ihre Berufung?
Hackl: Ich bin seit 25 Jahren in der Lebensmittelbranche und habe das Glück, dass ich sehr, sehr gerne in dieser Branche arbeite. Ich könnte mir nichts anderes vorstellen. Ich stehe zu hundert Prozent hinter dem, was wir tun. Das macht mir jeden Tag Freude, mit unseren Landwirten in Österreich zu produzieren. Es mag manchmal mühsam sein, aber Österreich ist ein schönes und sicheres Land.

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