Superfoods: doch nicht so super
© Panthermedia.net/Jongjai Jongkasemsuk
RETAIL 29.01.2016

Superfoods: doch nicht so super

Goji-Beeren, Moringa oder Chia-Samen: Die erhoffte ­Wunder­wirkung der exotischen Früchte ist nicht nachweisbar.

••• Von Christian Horvath

Alle Beeren und Samen, die heute unter dem Namen Superfood fungieren, haben eines gemeinsam. Nein, es ist nicht ihre unglaubliche Wirkung auf die körperliche Gesundheit – die ist nämlich keineswegs so berauschend, wie mancherorts berichtet wird; nein, sie haben gemeinsam, dass sie exotisch klingende Namen haben, aus weit entfernten Ländern kommen und ihnen unglaubliche Superkräfte angedichtet werden. In den letzten Jahren haben Chia-Samen, ­Goji- oder Acai-Beeren die Fantasie der Industrieländer beflügelt, mit Essen für ein langes Leben zu sorgen. Vereinfacht gesagt. Was, wenn das ganze, leicht ins esoterische gehende Gerede von den fantastischen Früchten kaum der Realität standhält?

Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München, sagte etwa erst kürzlich zur Süddeutschen: „Superfood, das ist ein reiner PR-Begriff, mit dem man Geschäfte machen will.” Das funktioniere immer nach der gleichen Masche: Man nehme eine Beere oder ein Korn aus fremden Ländern mit einem bestimmten, erhöhten Nährstoffgehalt und behaupte, das sei besonders gesund. „Die kleine Menge, die in diesen Mitteln enthalten ist”, sagt Hauner, „ist aber so geringfügig, dass sie im Grundrauschen der übrigen Ernährung sowieso völlig untergeht.” Der Wissenschaftler liefert auch einen Vergleich bzw. eine Erklärung mit: „Leinsamen hat durchaus eine vergleichbare Wirkung. Aber für Chia-Samen kann man eben das Fünf- bis Zehnfache verlangen.”

Die Wirkung

Auch die Verbraucherzentrale ­Baden-Württemberg stößt ins gleiche Horn: „Superfoods können den Speiseplan durchaus bereichern und ganz neue Geschmackserlebnisse vermitteln”, heißt es in einer Aussendung. Aber: „Ein gesundheitlicher Mehrwert im Vergleich mit der Vielzahl heimischer Gemüse und Früchte ist eher nicht gegeben.”

Zwar haben Produkte wie Goji-Beeren, Chia-Samen oder Acai-Beeren durchaus ansprechende Werte, wenn es um die Wirkung auf die menschliche Gesundheit geht. Das gelte aber auch für heimische Lebensmittel, sagte der Ernährungswissenschaftler Jürgen König von der Universität Wien gegenüber ORF.at: „Zu all diesen sogenannten Superfoods haben wir zumindest eine europäische Alternative.” Den hohen Vitamin-C-Gehalt der Acai-Beeren finde man demnach auch im Sanddorn, der in Österreich heimisch ist. Und die Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffe, die in den Chia-Samen stecken, sind ebenfalls keine exotische Besonderheit. „Die besonderen Dinge, die im Chia drin sind, finden wir genauso in unserem traditionellen Leinsamen. Nur der ist halt aus der Mode gekommen”, erläutert König.
Was die Goji-Beeren für europäische Konsumenten besonders attraktiv macht, ist der Gehalt an Flavonoiden. Diese sekundären Pflanzenstoffe sollen antioxidativ und damit verjüngend wirken, indem sie freien Radikalen entgegenwirken. Die Flavonoide findet man jedoch nicht nur in chinesischen Gojis, sondern in gleicher Konzentration auch in Heidelbeeren aus Österreich. Hinzu kommt, dass die positive Wirkung dieser Pflanzenstoffe durch keine Studie belegt werden konnte.
Gerhard Rechkemmer vom Max Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Lebensmittel und Ernährung in Karlsruhe, winkt ab: „Diese Studien sind nicht haltbar. Es gibt bis dato keine einzige prospektive Untersuchung, die Goji-Beeren eine besondere gesundheitsfördernde Wirkung bescheinigt.” Einzig messbar sind die Inhaltsstoffe der Beere, die durchaus eine stattliche Menge antioxidativer Pflanzenstoffe, Aminosäuren und Vitamine mitbringen kann. „Die Nährstoffqualität ist bei den Produkten aber hohen Schwankungen unterworfen”, sagt Rechkemmer. „Von einem „Superfood würde ich hier deshalb nicht sprechen.”

Risikobehaftet

Ein gesundes Herz, Hilfe beim Abnehmen oder gar eine lange Lebensdauer: Was dem Superfood nachgesagt wird, lässt sich kaum wissenschaftlich beweisen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erreichten zum Beispiel die mittelkettigen Fettsäuren im Kokosöl nur eine kurzfristige Erhöhung der Fettverbrennung, die nach zwei Wochen nachließ. Der hohe Anteil gesättigter Fettsäuren kann sich hingegen sogar negativ auf das Herz-Kreislauf-System auswirken.

Goji-Beeren wiederum haben laut einer Übersicht des Bundesins­tituts für Risikobewertung zwar keine nachgewiesene toxische Wirkung, bestimmte Inhaltsstoffe können aber in Wechselwirkungen mit Medikamenten (Blutverdünnern) treten. Moringa, ein „Wunderbaum” aus dem asiatisch-pazifischen Raum, dessen pulverisierte Früchte der jüngste Zuwachs in der Familie der Superfoods sind, soll das Immunsystem stärken und Zellschädigungen reparieren. Bisher wurden die Wirkungen jedoch nur im Labor untersucht. Ob sich die dort festgestellte Wirkung auf den menschlichen Körper übertragen lässt, ist noch nicht geklärt. Kurkuma zeigte in Tierversuchen, dass es zwar Krebszellen bekämpfen kann, wird aber vom Körper nur schwer aufgenommen.

Hohe Konzentration

Während es einige Vertreter des Superfoods gibt, deren gesundheitliche Wirkung einfach nur nicht nachweisbar ist, gab es inzwischen sogar schon Fälle von verunreinigten Lebensmitteln. Spirulina und Chlorella beispielsweise sind Süßwasseralgen, die entweder in Tablettenform eingenommen werden oder als Pulver in grünen Smoothies populär sind.

Schon vor einigen Jahren fand die Stiftung Warentest in drei von zehn getesteten Präparaten Microcystine, die Leber, Niere und Gehirn schädigen können. Für alle getesteten Produkte wurde festgestellt, dass die enthaltenen Nährstoffe, sofern man sich an die Verzehrempfehlung hielt, sehr niedrig waren. Importierte Goji-Beeren, auch unter dem Namen Gemeiner Bocksdorn bekannt, wiesen Rückstände von Pestiziden und Schwermetallen auf.
Was nicht heißt, dass die PR-Maschine nicht funktioniert. Superfood ist kein Nischenangebot mehr, die Produkte gibt es längst auch in gut sortierten Supermärkten und Drogerien. Im Internet natürlich auch, Chia-Samen sind etwa bei Amazon in Fünf-Kilo-Packungen für rund 30 Euro erhältlich. Der deutsche Biofachhandel erzielte 2015 mehr als acht Millionen Euro Umsatz mit den Samen. Im Jahr davor waren es weniger als vier Millionen.

Skepsis angebracht

Trotzdem mehren sich die kritischen Stimmen. Angela Clausen, Lebensmittel-Expertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, rät zu Skepsis bei stark verarbeiteten Waren: „Inzwischen werden die Superfoods häufig als Zusatz in stark verarbeiteten Produkten vertrieben. Da stellt sich schon die Frage, wie viel gesundheitlichen Nutzen das noch hat.” Sie empfiehlt: „Wenn man Superfoods zu sich nehmen möchte, dann sollte man definitiv besser die ganze Frucht essen als Pulver oder Kapseln.” Mit anderen Worten: Superfoods können durch die enthaltenen Nährstoffe sicher Gesundheit und Körperfunktionen unterstützen. Die den Produkten nachgesagte Wirkung ist aber aus heutiger Sicht längst nicht so groß, wie die Hersteller und Händler gern behaupten.

Was Superfood abgesehen von Wirkung oder Nicht-Wirkung definitiv nicht ist: regional. Die Nachhaltigkeits-Bilanz von Chia-Samen, Acai-Beeren, Goji-Beeren, Granatapfel, Spirulina, Chlorella, Maca-Wurzeln, Mandeln, Ingwer & Co ist nicht sehr super. Die Acai-Beere zum Beispiel wächst nur in Südamerika, Chia-Samen stammen ebenfalls aus Südamerika, Kakao wird aus Afrika, Südamerika und Südostasien importiert, Goji-Beeren kommen meist aus China, Granatäpfel aus Asien oder dem Nahen Osten. Die Transportwege für die vermeintlichen Superfoods sind damit naturgemäß unverhältnismäßig lang – und das für ein Lebensmittel, das einer gesunden Ernährung mit regionalen Produkten kaum etwas voraus hat. Sollten die Superfoods also tatsächlich eine gesundheitliche Wirkung haben, dann heben sie diese mit den langen, emissionsreichen Transportwegen wieder auf. Ernährungswissenschaftler weisen unter anderem deshalb auf die Alternativen hin. Heimische Produkte wie Rote Rüben, Heidelbeeren, Johannisbeeren, Grünkohl, Aronia-Beeren, Leinsamen, Spinat oder Weizengras können Superfoods durchaus ersetzen. Darauf macht die deutsche Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) auf dem Portal Ökolandbau.de aufmerksam.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL