Warum Corona dem Tabakmarkt guttut
© Andi Bruckner
RETAIL Redaktion 19.03.2021

Warum Corona dem Tabakmarkt guttut

2020 hatte für JTI einige Überraschungen in petto: Ralf-Wolfgang Lothert über Absatzplus, Plastikprobleme und das überschätzte Schmuggelthema.

••• Von Chris Radda und Sabine Bretschneider

WIEN. Ralf-Wolfgang Lothert, Director Corporate Affairs & Communication und Mitglied der Geschäftsleitung von JTI Austria, im Interview über das Ausnahmejahr 2020.


medianet: In der Pandemie gab es offenbar sehr überraschende Entwicklungen am Markt für Tabakwaren. Wie ist es JTI in dieser turbulenten Phase ergangen?
Ralf-Wolfgang Lothert: Auf dem Tabakmarkt war 2020 tatsächlich ein einzigartiges Jahr. Wegen der Grenzschließungen konnten viele Österreicher keine Tabakwaren mehr jenseits der Grenze einkaufen. Das führte dazu, dass der Tabakmarkt im Coronajahr 2020 eine große Steigerung erfahren hat – die größte Steigerung im Volumen seit zehn Jahren. Und: Es gab das größte Plus beim Tabaksteueraufkommen – gut 100 Millionen Euro mehr hat der Staat 2020 eingenommen. Durch die Grenzschließungen und bedingt durch die Gesamtsituation gab es weitere Umwälzungen: Im Osten Österreichs haben die Trafiken mehr verkauft und im Westen um einiges weniger, weil die Kunden aus Deutschland und der Schweiz nicht nach Österreich kommen konnten.

medianet: Wachstum im Coronajahr – damit hatte auch niemand gerechnet, oder?
Lothert: Da spielen mehrere Faktoren mit. Wenn man den Gesamtkonsum in Österreich nimmt, so sind immer ca. 15 Prozent dessen, was hier in Österreich konsumiert worden ist, nicht in Österreich versteuert worden. Das wiederum hat sich in der Pandemie auf neun bis zehn Prozent verringert – eine wirkliche Sondersituation.

medianet: Das bedeutet also nicht, dass die Leute in der Pandemie mehr rauchen, sondern sie haben in Österreich und damit steuerpflichtig gekauft …
Lothert: Man kann das schwer eingrenzen. Unter Umständen beruht ein kleiner Teil des Wachstums auch auf einem Mehrkonsum. Weil die Leute auch mehr Zeit zu Hause verbringen …

medianet: Man könnte es als Journalist so formulieren, dass das Tabakgeschäft ein ‚Zufallsprofiteur' der Covidkrise ist …
Lothert: Nein (lacht). Wir haben nicht damit gerechnet. Das ist richtig, und das hat für uns schon etwas Positives. Aber nachdem vom Verkaufspreis über 75 Prozent an den Staat gehen und dann auch noch ein Teil an die Trafikanten, dann ist es gut für den Staat, für die Trafikanten – und für uns.

Würde tatsächlich alles an Rauchwaren, das hier konsumiert wird, auch hier versteuert, dann wären das noch einmal 220 Millionen pro Jahr für den Staat. Frankreich hat eine Mengenbeschränkung eingeführt, die man zollfrei einführen darf. Österreich sollte auch überlegen, die Menge von 800 Stück wieder auf 200 Stück zu reduzieren.

medianet: Wenn man den Tabakmarkt betrachtet: Was sind aus Ihrer Sicht die Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren, aber insbesondere im Ausnahmejahr 2020, am meisten ausgewirkt haben?
Lothert: Wir haben einen Zuwachs beim Absatz von Feinschnitttabaken verzeichnet. Da sind wir im vergangenen Jahr zum Marktführer aufgestiegen. Weil die Leute mehr Zeit dafür haben, sich daheim ihre Zigaretten zu stopfen. Es ist auch die günstigste Variante.

Wenn man sich die allgemeinen Trends ansieht, dann muss man auf jeden Fall anmerken, dass, anders als andere Staaten innerhalb der EU, Österreich eigentlich ein sehr stabiler Markt ist.
Wenn wir das Ausnahmejahr 2020 herausnehmen, sieht es so aus, dass die Volumina zwar zurückgehen, aber sehr langsam – unter einem Prozent pro Jahr.


medianet: Die Tabakindustrie ist sehr abhängig von den Richtlinien der EU. Was hat es an legistischen Änderungen gegeben in letzter Zeit?
Lothert: Nun, es gibt einiges, das man gar nicht mit Tabak oder Zigaretten in Zusammenhang bringen würde. Zum Beispiel die Single-Use Plastics-Direktive der EU, eine Einschränkung bestimmter Einweg-Erzeugnisse aus Kunststoff. Das betrifft nicht nur Plastiktaschen und Strohhalme, darunter fallen auch – man kann es kaum glauben – Zigarettenstummel.

Zigarettenstummel bestehen hauptsächlich aus Cellulose – aus natürlichen Rohstoffen wie Holz –, verarbeitet zu Celluloseacetat. Dieses Celluloseacetat wird als Kunststoff klassifiziert, obwohl es in zwei bis vier Jahren verrottet. Das führt dazu, dass Mitte dieses Jahres noch ein Warnhinweis auf Zigarettenpackungen stehen wird: ein Piktogramm, dass die Stummel nicht achtlos weggeworfen werden sollen.
Dann kommt auf die Hersteller noch zu, dass wir gemeinsam mit dem Staat dazu Aufklärungskampagnen initiieren müssen. Ab 2023 muss sich die Industrie an den Beseitigungskosten für Zigarettenstummel beteiligen, und wir zerbrechen uns derzeit den Kopf darüber, wie sich das gestalten wird. Zigarettenstummel werden in Österreich übrigens der thermischen Vernichtung zugeführt. Da gibt es nichts zu recyceln.

medianet: Was bedeutet das? Schmälert es die Spannen der Industrie? Wird man das durch Preiserhöhungen ­kompensieren?
Lothert: Diese Direktive ist leider so schnell erstellt und verabschiedet worden, dass selbst die Kunststoffdefinition noch nicht fix ist. Daher ist man als Hersteller nun darauf angewiesen herauszulesen, was da auf einen zukommt.

medianet: Stichwort E-Zigaretten: Ist Rauchen in den letzten Jahren ‚gesünder' geworden?
Lothert: Ich denke, wir sind uns alle einig, dass Rauchen nicht gesund ist. Aber es gibt andere Produkte auf dem Markt. E-Zigaretten haben weniger Emissionen als klassische Tabakprodukte.

Ich würde aber nicht wagen zu behaupten, dass es gesünder ist. Außerdem muss man auch sehen, dass E-Zigaretten immer noch Nischenprodukte sind. Wenn man sich das Tabaksteueraufkommen ansieht, dann kommen 93 Prozent davon allein aus der Zigarette; daran sieht man die Gewichtung.

medianet: Das heißt, wenn wir die Pandemie gegen Ende dieses Jahres in den Griff bekommen, dann wird JTI 2022 eventuell schlechtere Geschäfte machen …
Lothert: Nein, ich hoffe nicht (lacht). Ich hoffe, dass Österreich und die EU etwas daraus gelernt haben und gewisse Höchstmengen festlegt, die aus dem EU-Ausland ins Inland kommen dürfen. Dann ist dem Staat geholfen und dann ist auch uns geholfen. Außerdem: Wenn mich vor einem halben Jahr jemand gefragt hätte, wie sieht der Markt 2021 aus, dann hätte ich sicher eine völlig falsche Einschätzung getroffen. Das ist immer ein bisschen wie Glaskugellesen.

medianet: Wie sehen Sie das Thema Zigarettenschmuggel?
Lothert: In Österreich ist nicht der gewerbliche Schmuggel von Fälschungen das Problem, sondern der Einkauf im benachbarten Ausland, in Ungarn, in Tschechien. Die Aufgriffe, die der Zoll glücklicherweise macht, sind meist Produkte, die ins teurere Ausland weitergehen – nach Frankreich oder nach Großbritannien.

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