Covid-19 und das Ende der Start-ups?
© Stefan Huger | Nikolaus Franke.
CAREER NETWORK Redaktion 17.02.2021

Covid-19 und das Ende der Start-ups?

Warum sich Krisenzeiten besonders gut zum Gründen eignen und warum sich noch mehr Menschen gerade jetzt in die Selbstständigkeit eines Start-ups wagen sollten, analysiert der Entrepreneurship- und Innovationsexperte der WU im Folgenden.

WIEN. Wenn die Corona-Pandemie schon internationale Großunternehmen und ganze Volkswirtschaften erschüttert – wie sollen neue und unbekannte Start-ups da noch bestehen können? Müssen wir uns auf das Ende des weltweiten Gründungsbooms einstellen? Ist Gründen doch nur ein Schönwettersport? „Zu diesem Schluss könnte man kommen“, sagt Nikolaus Franke, wissenschaftlicher Leiter des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation, „doch das genaue Gegenteil ist der Fall.“

Warum sich Krisenzeiten besonders gut zum Gründen eignen und warum sich noch mehr Menschen gerade jetzt in die Selbstständigkeit eines Start-ups wagen sollten, analysiert der Entrepreneurship- und Innovationsexperte der WU im Folgenden.

Die Corona-Pandemie und ihre Bekämpfung stellen einen der massivsten Änderungsschocks seit dem Ende des zweiten Weltkriegs dar. Wir erleben ihn als dramatische Wirtschaftskrise und soziale wie politische Zerreißprobe: Das Bruttoinlandsprodukt ist gefallen, die Arbeitslosenzahlen sind explodiert, die Zahl der Konkurse steigt stetig und die Staatsverschuldung läuft in vielen Ländern völlig aus dem Ruder. Investoren und Konsumenten sind verunsichert. Man könnte meinen: Keine gute Zeit, um ein Unternehmen zu gründen.

Aus der Geschichte lernen
Doch ein Blick zurück kann bisweilen sehr erhellend sein. Auch in der großen Finanzkrise des Jahres 2008/2009 schien die Welt vor einem Abgrund zu stehen. Was vielen unter uns aber möglicherweise nicht bewusst ist: Gerade in dieser Zeit der fallenden Börsenkurse und ökonomischen Erschütterung wurden viele äußerst erfolgreiche und innovative Unternehmen wie Uber, Airbnb, WhatsApp, Instagram, Pinterest oder Slack gegründet.

Aber woran liegt das? Drei Spezifika einer Krise sind dafür ausschlaggebend
1. Mehr potenzielle Entrepreneure = mehr Start-ups
Zunächst einmal gibt es mehr potenzielle Unternehmensgründer. In Unternehmen laufen Sparprogramme. Budgets werden eingefroren. Aussichtsreiche Projekte werden auf Eis gelegt. Es gibt Einstellungsstopps und Entlassungen auch von hochqualifizierten Arbeitnehmern. All dies schafft eine große Basis von Menschen, die Chancen sehen, die nach neuen Möglichkeiten suchen und teilweise suchen müssen, von Menschen, die mit einem Mal aus ihrer persönlichen Komfortzone gedrängt werden.

2. Die Nachfrage verschiebt sich = unternehmerische Chance
Der gegenwärtige Zwang zu Homeoffice führt zu einem steigenden Bedarf an Kommunikationsmedien und Teamplattformen. Die Lockdowns fördern unter anderem Online-Shopping, Lieferdienste und Unterhaltungssoftware. Gestiegene Hygieneerfordernisse erhöhen die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln. Gleichzeitig entstehen aber auch neuartige Bedürfnisse. Masken, Covid-Schnelltests und -impfstoffe sind Beispiele dafür. Eine verstärkte Nachfrage wiederum schafft den Spielraum für Innovationen und neue Geschäftsmöglichkeiten, den Unternehmensgründer brauchen.

3. Angebotsseite: träge Tanker vs. reaktionsschnelle Jetski
Die neuartige Nachfrage trifft drittens auf eine Angebotsseite, die Start-ups Chancen eröffnet. Viele bestehende Unternehmen sind mit sich selbst beschäftigt. Sie kämpfen ums Überleben. Kostensenkungsprogramme und Restrukturierungen erschweren langfristige Investitionen, wie Innovationen es nun mal sind. Dazu kommt, dass Großunternehmen notorische Schwächen in Bezug auf Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit haben. Schon mittelständische Unternehmen sind oft wesentlich schneller. Der Unterschied zwischen großen und kleinen Unternehmen wird oft mit dem Vergleich von Tankschiffen und Schnellbooten illustriert. Und wenn mittelständische Unternehmen in ihrer Wendigkeit an Schnellboote erinnern, dann sind Start-ups wie Jetski. Keine ökonomische Organisationsform ist auch nur ansatzweise so agil wie ein kleines Gründerteam. Weder Bürokratie noch Koordinationserfordernisse halten sie zurück. In der Vergangenheit etablierte Strukturen, die sich zäh gegen Veränderung stemmen, gibt es nicht. Wenn sie am Morgen eine Idee haben, haben sie zu Mittag bereits die ersten Schritte in Richtung Umsetzung gemacht. Damit können Start-ups einen wesentlichen Beitrag leisten, um das durch die Krise entstandene Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage schnell auszugleichen – und so helfen, die Krise zu überwinden.

Zauberformel im Kampf gegen globale Herausforderungen
Noch ein weiterer Effekt wäre wünschenswert. Die Corona-Pandemie führt der Gesellschaft ihre Verwundbarkeit vor Augen. Das Virus ist aber nicht die einzige „Grand Challenge“, vor der wir stehen, und wo wir entsprechend unternehmerische Ideen und innovative Lösungen brauchen. Klimawandel, Migration, Energiesicherheit und demografische Verschiebungen sind Beispiele für solche Herausforderungen. Erste Anzeichen dafür, dass sich Start-ups mit ihrer kreativen Energie besonders auch in diese Bereiche einbringen, sind unverkennbar. Ein schönes Beispiel ist das Start-up „Dachgold“ mit der Initiative „Tausendundein Dach“. Die ehemalige Studentin Cornelia Daniel verfolgt mit ihrem Team das Ziel, Firmendächer mit Solarzellen auszurüsten. Aktuell haben sie das schon bei 648 Dächern geschafft und damit einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz geleistet und die begehrte Auszeichnung zur „Österreicherin des Jahres 2020“ erhalten. Die Menschheit kann durch einen solchen Gründungsboom nur gewinnen. (red)

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