••• Von Alexander Haide
Eigentlich war das Modell der Bildungskarenz eine brillante Idee, um vor allem wenig qualifizierten und gering ausgebildeten Menschen eine Chance zur Weiterbildung zu geben. Zwischen zwei und maximal zwölf Monate darf die Auszeit dauern, in der ein aufrechtes Arbeitsverhältnis (es muss davor zumindest sechs Monate bestanden haben) ruht. Statt des Gehalts gibt es das sogenannte Weiterbildungsgeld, dessen Höhe einem fiktiven Arbeitslosengeld entspricht. Der Grundbetrag beträgt 55% des vorangegangenen durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens. Vor mehr als 25 Jahren eingeführt, ist das Modell der Bildungskarenz ein Erfolg. Doch, so zeigt eine Analyse der Agenda Austria, es ist zu teuer und nicht besonders treffsicher.
Die Anzahl jener Menschen, die eine Bildungskarenz in Anspruch nehmen, ist dramatisch gestiegen: Waren es vor der Pandemie etwa 12.000 Personen pro Jahr, zählte man im zweiten Quartal 2023 mehr als 22.000. Das bedeutet allerdings auch eine Explosion der Kosten. Betrugen sie im Jahr 2019 noch 214 Mio. €, werden es heuer mehr als 510 Mio. sein.
Zielgruppe verfehlt
Ursprünglich sollte die Bildungskarenz vor allem jenen Menschen den Weg zu einer Weiterbildung ebnen, die über eine schlechte Qualifikation bzw. schulische Ausbildung, etwa nur einen Pflichtschulabschluss, verfügen. Die Realität sieht anders aus, denn von den mehr als 22.000 Österreicherinnen und Österreichern in Bildungskarenz fanden sich nur 2.500, die lediglich einen Pflichtschulabschluss besaßen. Im Gegensatz dazu nahmen 8.000 Menschen mit einer höheren Ausbildung oder einem Universitätsabschluss die Bildungskarenz in Anspruch. „Nicht wenige sehen darin offenbar die Gelegenheit, zwischendurch ein Sabbatical auf Kosten der Allgemeinheit einzulegen”, meint die Agenda Austria.
20 Wochenstunden
Als Aus- beziehungsweise Weiterbildung gelten grundsätzlich alle Bildungsoptionen, die für die berufliche Karriere der Person relevant sind. Nicht nur direkt jobbezogene Lerninhalte sind zulässig, sondern auch einer beruflichen Umorientierung dienende Ausbildungen oder Sprachkurse. Nicht akzeptiert werden Kurse mit reinem Hobbycharakter ohne jeglichen beruflichen Bezug, wie etwa ein Yoga-Kurs in Indien oder das Erlangen eines Tauchscheins. Aber: Eine Umschulung vom Programmierer zum Yoga-Lehrer wäre möglich.
Agenda Austria moniert, dass es zwar theoretisch eine Mindestwochenstundenanzahl gibt; von den verpflichtenden 20 Stunden Weiterbildung müssen aber lediglich fünf in Schulungseinheiten abgeleistet werden, der Rest wird im Selbststudium absolviert. Gibt es Obsorgepflichten gegenüber Kindern, reduziert sich die Wochenstundenanzahl von vornherein auf 16.
Männer in der Minderheit
Ein neues Phänomen ist in den vergangenen Jahren zu beobachten: Während bis zum Jahr 2018 beinahe gleich viele Männer wie Frauen die Bildungskarenz in Anspruch nahmen, ist sie nun eine Frauendomäne: Mittlerweile gibt es monatlich durchschnittlich mehr als 18.000 weibliche Leistungsbezieher, aber nur etwas über 4.000 Männer. Besonders hoch – bei beinahe 90% – ist der Frauenanteil übrigens in der Altersklasse der 30- bis 40-Jährigen.
Alternative Bildungsteilzeit
Die Bildungsteilzeit erlaubt eine Reduktion der Wochenstunden im Job um mindestens 25 und höchstens 50%. Das Dienstverhältnis bleibt also bestehen, die Personen beziehen weiterhin ein regelmäßiges, wenn auch reduziertes Einkommen. Zusätzlich gibt es vom AMS ein Bildungsteilzeitgeld, dessen Höhe zwar von der Zahl der reduzierten Stunden, nicht aber vom regulären Einkommen abhängt. Derzeit bezahlt das AMS für jede Stunde verminderter Arbeitszeit einen Fixbetrag von einem Euro.
Babykarenz verlängert
Als zunehmend problematisch erweist sich laut Agenda Austria der rechtlich zulässige Bezug von Weiterbildungsgeld im direkten Anschluss an die Elternkarenz. Im Jahr 2021 betrug der Anteil von Weiterbildungsgeldbeziehern direkt nach der Elternkarenz bereits mehr als 50%. Bei Frauen bezogen 69% die öffentlichen Leistungen mit fließendem Übergang.
„Internationaler Trend”
medianet hat mit Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozial- und Gesundheitspolitik in der WKÖ, über das Thema Bildungskarenz und die Studie von Agenda Austria gesprochen:
medianet: Wie können mehr Menschen mit einem Pflichtschulabschluss motiviert werden, die Bildungskarenz mehr zu nutzen?
Rolf Gleißner: Personen mit höherer Bildung nehmen eher an Weiterbildungsprogrammen teil. Dies hat nichts mit dem Modell der österreichischen Bildungskarenz zu tun, sondern ist international zu beobachten.
Man müsste daher die Bildungsneigung von geringer Qualifizierten erhöhen und die Chancen etwa im Hinblick auf Erwerbseinkommen und Chancen am Arbeitsmarkt stärker kommunizieren. Arbeitsplatznahe Qualifizierungen sind für diese Personengruppe mit Sicherheit ein wesentlicher Hebel.
Gerade in den technischen Branchen und Umwelt-Berufen liegt enorm viel Potenzial, das durch Weiterbildung gehebelt werden könnte. Auch sollten viele Schulungsinhalte speziell geringer Qualifizierte ansprechen, was durch einen modularen Aufbau von Weiterbildung erreicht werden kann.
medianet: Wie erklären Sie sich, dass im Vergleich zu Frauen nur sehr wenige Männer in Bildungskarenz gehen?
Gleißner: Von 2011 bis 2019 war die Verteilung zwischen Frauen und Männern weitgehend ausgewogen, der Frauenanteil betrug 55 Prozent. Die Zahl der Männer ist seit 2019 nicht gesunken, aber die Zahl der Frauen stark gestiegen. Frauen wechseln häufig direkt aus der Elternkarenz in Bildungskarenz. Der Markt bietet sogar speziell für diese Zielgruppe Online-Kurse an.
medianet: Was sagen Sie dazu, dass die ÖVP jetzt Verschärfungen fordert, wie etwa Zugangshürden für gut Ausgebildete?
Gleißner: Die Kosten für das Weiterbildungsgeld und Bildungsteilzeitgeld sind zuletzt rasant auf über 500 Millionen Euro gestiegen. Auch der Rechnungshof hat aus dem Grund eine Reform gefordert und kritisiert, dass die Bildungskarenz häufig zur Verlängerung der Babypause genutzt wird und dass der arbeitsmarktpolitische Nutzen der Bildungsmaßnahmen gering ist bzw. auch nicht überprüft wird. Aus unserer Sicht sollte nur Weiterbildung gefördert werden, die den Status am Arbeitsmarkt verbessert. Daher sind mehr Anforderungen an Inhalt und Ausmaß der Weiterbildung zu stellen.
medianet: Welche grundlegenden Reformen sind nötig und wie rasch – glauben Sie – können diese umgesetzt werden?
Gleißner: Eine Anhebung der erforderlichen Wochenstunden und bessere Überprüfung des Bildungserfolgs wären wichtig. Hier besteht dringender Reformbedarf. Auch sollte es im Vorfeld mehr Bildungsberatung geben, sodass nur Maßnahmen gewählt sowie auch gefördert werden, die den Status am Arbeitsmarkt verbessern. Aus Sicht der Sozialpartner sollte eine Reform bis zum Sommer umgesetzt werden.
medianet: Existiert in einem anderen Land ein ‚ideales' Bildungskarenz-Modell und wie sieht das aus?
Gleißner: Es ist eher umgekehrt. Deutschland interessierte sich für das österreichische Modell der Bildungskarenz, hat es aber nicht umgesetzt.