••• Von Reinhard Krémer
WIEN. Am 24. Februar 2022 begann eine neue Zeitrechnung in Europa. Mit dem Überfall von Putins Truppen auf die Ukraine war eine Phase jahrzehntelangen Friedens zu Ende gegangen. Doch anders als nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien stellt dieser Konflikt eine Bedrohung für die gesamte Weltgemeinschaft dar. Denn seither haben sich Staaten und ökonomische Systeme weltweit vernetzt wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.
Und so haben nicht nur die Aktienmärkte auf den Einmarsch hypernervös reagiert, sondern auch die Rohstoffmärkte – und das nicht nur wegen der Tatsache, dass Europa am russischen Gas hängt wie ein Drogensüchtiger an der Nadel. So bekommt die EU aktuell 40% ihres Erdgases aus Russland; in Österreich sind es sogar 80%. Kein Wunder also, dass sich die vorher schon angespannte Lage am Energiesektor mit Kriegsbeginn weiter verschärft hat. Öl und Gas sind in der Alpenrepublik so teuer wie noch nie.
Die Suche nach dem Ausweg
Verzweifelt suchen Politiker nach Auswegen: Erdgas könnte aus Norwegen und Nordafrika kommen, dazu verflüssigtes Erdgas (LNG) aus den USA und Katar. Doch das geht nicht von heute auf morgen – und es wird teuer. Auch an den Devisenmärkten ging es rund: „Der Kriegsausbruch in der Ukraine hat eine deutliche Befestigung des US-Dollar ausgelöst, der als „‚sicherer Hafen' gesucht war”, sagen die Experten des Erste Group Researchs.
Die weitere Entwicklung der Krise zwischen dem Westen und Russland wird wohl vorerst ausschlaggebend für den Wechselkurs bleiben. Somit wird die Volatilität anhalten, und der Dollar könnte auch noch weiter zulegen. „Schlussendlich sollte aber die Befestigung des Dollar vorübergehend sein. Auch wenn sich nicht abschätzen lässt, wie lange der Krieg dauern wird, sollte die Verunsicherung an den Märkten langfristig nicht so hoch bleiben, wie derzeit. Wenn sich die Situation einmal besser einschätzen lässt, sollte der Dollar somit seine jüngsten Gewinne abgeben, was wir noch vor dem Sommer erwarten”, so die Erste Group-Experten.
Die US-Dollar-Falle …
Fakt ist: Öl und Gas werden wie die meisten Rohstoffe in US-Dollar abgerechnet. Notiert der „Greenback” hoch zum Euro, wird Energie für Europa noch teurer. „Die starke globale Nachfrage nach Energie trifft in der Folge auf ein sich verknappendes Angebot. Stark steigende Preise von Energie, Rohstoffen und Lieferketten-Probleme befördern die hohe Inflation. Eine rasche Veränderung dieser Situation ist nicht in Sicht”, kommen trübe Aussichten von der Erste Group.
… und die Inflationsspirale
Die hohe Inflation ist zusätzlich schon jetzt für Anleger und Sparer enorm schmerzhaft.
Die Ankündigung Putins, den Krieg fortzusetzen, bringt viele europäische Aktienmärkte an den Rand eines Bärenmarkts, da die Konjunkturzuversicht der Börsianer dramatisch einbricht.
Das zeigt sich am von der Investment-Beratungsfirma Sentix veröffentlichten Gesamtindex zur Euro-Zone, der von 16,6 Zählern im Februar auf minus 7,0 Punkte im März und damit den niedrigsten Wert seit November 2020 gefallen ist, meldet die Steiermärkische Sparkasse.
Teuerung hoch wie lange nicht
Ein weiterer Preisauftrieb an den Rohstoffmärkten scheint unaufhaltbar und wird auch die Konsumenten treffen – und das zu einer Zeit, in der die Inflation bereits hoch ist. Die Teuerung ist in der Euro-Zone im Februar um 0,7 Prozentpunkte auf die Rekordhöhe von 5,8% gestiegen.
Während Russland ein wichtiger Produzent von Metallen wie Aluminium, Palladium, Platin oder Kupfer ist, liefert die Ukraine Getreide, Düngemittel sowie andere Rohstoffe und Vorprodukte, die für den Weltmarkt sehr bedeutend sind, meinen die Analysten der Steiermärkischen Sparkasse.
Eine Hungerkrise droht
In der Bedeutung dieser beiden Staaten für die Getreideproduktion liegt auch die Gefahr für die ärmsten Staaten der Welt und ihre Bevölkerung: Denn fast 30% des Exportvolumens beim Weizen weltweit kommen aus Russland und der Ukraine.
Die extrem fruchtbaren Schwarzerde-Böden, die insgesamt rund 70% der ukrainischen Fläche bedecken, umfassen 32 Mio. ha. Das entspricht einem Drittel der Ackerfläche in der gesamten Europäischen Union. Kommt es zu einem Ausfall, droht eine weitere Preisexplosion und damit eine globale Hungerkrise in jenen Staaten, wo die Ernährung der verarmten Bevölkerung vom Brot abhängt. Dazu zählt zum Beispiel der Jemen, wo die Menschen sich zum Großteil von Brot ernähren, weil sie sich nichts anderes leisten können.
In Ostafrika sind zusätzlich mehrere Regenzeiten ausgefallen; die Ernten sind auf den Feldern verdorrt.
Wer besonders betroffen ist
Das Welternährungsprogramm warnt, dass in den kommenden Monaten viele Menschen Nahrungsmittelhilfen benötigen werden. Ein Großteil der Weizenexporte aus Russland und der Ukraine geht nicht in die EU, sondern in den Nahen und Mittleren Osten, wo es auch ohne Hungerkrisen ausreichend Spannungen gibt.
Und in Afrika sind drei Länder besonders betroffen, nämlich Äthiopien, Kenia und Somalia. Auch Dschibuti hat zuletzt einen Notstand bei Nahrungsmitteln erklärt. Äthiopien und Somalia zählen als politisch instabil, ebenso wie der Jemen. Hungerkrisen können leicht zu Kriegen und Aufständen führen, wie es in Afrika schon mehrfach der Fall war.
Kenia im Brennpunkt
Kenia gilt zwar als einer der gefestigten Staaten, doch stehen da im August Wahlen an, wo es danach fast schon traditionell zu teils blutigen Unruhen kommt, die der Mangel an Nahrungsmitteln noch verstärken könnte. Erste Auswirkungen einer drohenden Krise sind auch in Kenia bereits zu spüren, denn 80% des Weizens in Kenia sind importiert und nur 20% werden im Land selbst angebaut. Man importiert aus mehreren Ländern, auch aus Russland und der Ukraine. Auch Mais kommt aus den beiden Ländern nach Kenia. Getrocknet, gemahlen und mit Wasser zu Brei verarbeitet, gekocht und als „Ugali” gegessen – die Grundlage für alle Mahlzeiten, nicht nur bei ärmeren Familien in Kenia. Zusätzlich wird viel Toastbrot gegessen.
20% Preisanstieg bei Brot
Beides ist schon deutlich teurer geworden: Der Preis für 800 g Brot stieg in den letzten Wochen um 20%, bei Maismehl war der Anstieg ähnlich.
Und so warnt ein Berater des ukrainischen Präsidenten Selenski mit Recht: „Uns bleibt maximal eine Woche für die Saat. Wenn der Krieg bis dahin nicht aufhört, dann hat die Welt ein Nahrungsproblem.”
Und so titelte die größte Zeitug Kenias, The Daily Nation, dieser Tage: „Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kann Afrika in den Hunger treiben”.
Die Folge einer Hungerkrise wären Flüchtlingsströme aus ungeahnten Ausmaßes – aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika – vor allem nach Europa.