Demografie stellt die Systeme auf den Kopf
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HEALTH ECONOMY Redaktion 06.09.2019

Demografie stellt die Systeme auf den Kopf

Das Thema Alter verändert die Medizin, ihre Finanzierung und die Versorgung, zeigt ein medianet-Schwerpunkt.

Die demografische Entwicklung hat offenbar weit tiefere Auswirkungen, als bisher gedacht. Die Lebenserwartung steigt im Durchschnitt um zwei Jahre pro Jahrzehnt. Das wirft nicht nur Fragen der Versorgung auf, sondern auch der Finanzierung von Pflege, aber auch der sozialen Sicherungssysteme insgesamt. Nicht zuletzt deshalb ist die Frage der künftigen Finanzierung der Pflege auch ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die aktuellen Wahlprogramme der Parteien zieht. Wie eine Lösung aussehen soll, ist allerdings offen.

Kosten weniger das Problem

Ein zentrales Thema ist allerdings nicht die Frage der Kosten, sondern der Organisation der Systeme – nicht zuletzt deshalb, weil immer weniger junge Menschen da sind, die sich um die Betreuung älterer Menschen kümmern können. Ein Beispiel dafür zeigt eine Studie österreichischer und deutscher Demografen, in der untersucht wurde, wie sich die Bevölkerungsstruktur auf die Zahl der Hausärzte in einer Region auswirkt. Demnach geht in Städten ein hoher Anteil an Über-60jährigen mit einer höheren Hausarztdichte einher, am Land ist das Gegenteil der Fall. Hausärzte lassen sich also vor allem dort nieder, wo sie eine langfristige Zukunft sehen.

Studie untersucht Arztdichte

Michael Kuhn vom Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Carsten Ochsen von der Universität Rostock haben in ihrer im Fachblatt The Journal of the Economics of Ageing veröffentlichten Studie in Deutschland die Zahl der niedergelassenen Allgemeinmediziner auf Landkreisebene in den Jahren 1995 bis 2009 untersucht und der Bevölkerungsstruktur gegenübergestellt. Die Ergebnisse lassen sich nach Angaben der Experten auch auf Österreich übertragen.

Ärzte gehen in Städte

Zu erwarten wäre, dass viele ältere Menschen in einer Region – mit einem höheren Bedarf an medizinischen Leistungen – für Ärzte positiv sind. In ländlichen Gebieten ist aber das Gegenteil der Fall, dort mangelt es speziell in Regionen mit vielen älteren Menschen an Hausärzten. Einer der Grunde nach Ansicht von Ärzten: Viele alte Patienten und wenige Ärzte verlangen einem Arzt auch viel ab – das Arbeitsvolumen steigt.

Eine entscheidende Rolle für das Verhältnis von Einwohnerstruktur zu Hausärzten spielt demnach auch die Vergütung. So haben die Demografen errechnet, dass im städtischen Raum Behandlungen von Über-60jährigen für Ärzte durchschnittlich um rund 90% lukrativer sind als von 20- bis 59-Jähriger. Dagegen bringt am Land die Behandlung älterer Patienten um rund zehn Prozent weniger ein als jene von Jüngeren. Als Gründe dafür nennen die Wissenschafter große Distanzen, lange Wegzeiten, eine ungleiche Verteilung der einkommensstärkeren Bevölkerung mit privater Krankenversicherung sowie die geringe Zahl der Ordinationen im ländlichen Raum.
Aus gesundheitspolitischer Sicht sehen die Forscher Handlungsbedarf, um einer zunehmend ungleichen Versorgung mit Hausärzten zwischen Stadt und Land entgegenzuwirken. So bedürfe es finanzieller Anreize wie höhere Einkommen oder Prämien für die Ansiedlung von Hausärzten im ländlichen Raum.
Auswirkung hat die Demografie auf die Krankheitsbilder: Wie nun beim Europäischen Kardiologenkongress in Paris gezeigt wurde, ist Krebs in einigen der reichsten Staaten der Erde bereits die häufigste Todesursache. „Die Welt erlebt einen neuen epidemiologischen Übergang”, stellen die Autoren von zwei Studien fest, die auch in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet publiziert worden sind. Herz-Kreislauf-Erkrankungen bleiben weltweit insgesamt die häufigste Todesursache bei Menschen im mittleren Alter. Doch das trifft auf die reichsten Länder nicht mehr zu. Dort nehmen altersbedingte Erkrankungen wie Krebs zu.

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