Gastkommentar
••• Von Jürgen Zacharias
WIEN. Der jüngste Zwischenfall mit russischen Drohnen im polnischen Luftraum Mitte September hat eindrücklich gezeigt: Günstige, kleine, unbemannte Systeme entfalten enorme strategische Wirkung. Zunächst herrschte Unklarheit: Wie viele Drohnen waren unterwegs? Wie tief drangen sie in den polnischen Luftraum ein? Von wem wurden sie letztlich abgefangen – und mit welchen Mitteln? Der Gedanke, mehrere Millionen Euro teure Flugabwehrraketen einzusetzen, um Drohnen im Wert von ein paar Tausend Euro zu bekämpfen, verdeutlicht ein strukturelles Dilemma: die extreme Kosten-Asymmetrie zwischen Angriff und Abwehr.
Doppelte Attacke
Moskau reagierte erwartbar: Leugnen, Abwiegeln, Spott. Während russische Staatsmedien die Aufregung im Westen belächelten, nutzte der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma die Gelegenheit, Polen offen mit einem Angriffsszenario zu drohen. Warschau wurde damit gleich doppelt attackiert – einmal durch die Drohnen im eigenen Luftraum, einmal durch die russische Propaganda. Beides zusammen verschärft die Lage, weil es physische und psychologische Dimensionen verknüpft.
Komplexes Unterfangen
Vor allem aber legte der Vorfall operative Schwächen offen: Selbst eine der am besten ausgestatteten Armeen Europas war nicht in der Lage, ein gutes Dutzend Billigdrohnen sofort zu stoppen. Erst nach hunderten Kilometern Flugstrecke griffen Abwehrmaßnahmen. Das ist weniger eine Frage fehlender Technik als vielmehr ein Organisationsproblem: Defizite in Sensorik, Frühwarnsystemen, integrierter Luftverteidigung und in der geografischen Verteilung von Abwehrmitteln wurden schonungslos sichtbar.
Polen als Testlauf
Brisant wird es, wenn solche Vorfälle eskalieren: Mehr Wellen, größere Stückzahlen, Drohnen mit Sprengköpfen – dann verwandelt sich eine Machtdemonstration rasch in einen ernsthaften Angriff. Die Ukraine liefert seit Monaten die Realität dazu: massierte Drohnenangriffe legen Infrastruktur lahm, zerstören zivile Einrichtungen, kosten Menschenleben und binden enorme Ressourcen. Polen war im Vergleich dazu vielmehr Ziel eines Tests, nicht einer echten Attacke. Doch das Ergebnis des quasi Testlaufs wirft Fragen auf: Welche Note würde Warschau sich selbst für seine Abwehr geben? Was folgt daraus?
Zu ziehende Konsequenzen
1. Drohnenabwehr darf kein Randthema bleiben – sie muss zentrale Priorität in Aufrüstungs- und Verteidigungsplänen sein.
2. Notwendig sind mehr Sensoren, ein mehrschichtiges Abwehrkonzept – von elektronischen Störsystemen bis zu mobiler Kurzstrecken-Luftverteidigung –, flexible und räumlich verteilte Systeme sowie günstige, skalierbare Effektoren.
3. Die Kosten-Asymmetrie muss politisch adressiert werden – nur mit preiswerten Abwehrlösungen lässt sich der Vorteil kleiner Drohnen ausgleichen. Und das betrifft nicht nur die großen NATO-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Auch kleinere Länder wie Österreich, die Schweiz oder die baltischen Staaten müssen sich wappnen.
Fazit
Kleine Drohnen sind keine Allmachtswaffe. Aber sie sind ein Katalysator, der die Verteidigungsfähigkeit moderner Gesellschaften radikal auf die Probe stellt. Wer jetzt nicht handelt, wird später einen sehr viel höheren Preis zahlen.
