Verblasst der Glanz?
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LUXURY BRANDS&RETAIL irmie schüch-schamburek 17.11.2023

Verblasst der Glanz?

Brüssel/Wien/London. Die Diamantenindustrie ist zurzeit in arger Bedrängnis. Der RapNet Diamond Index für geschliffene 1-Karat-Diamanten fiel seit März 2022 um 35%, und Branchengigant De Beers, der im Vorjahr noch einen Rekordumsatz von 6,6 Mrd. USD verzeichnet hat, sieht sich heuer mit einem drastischen Minus von knapp 30% konfrontiert. Den Mitbewerbern geht es ähnlich. „Es ist wahrscheinlich, dass sich der Abwärtstrend weiter fortsetzen wird”, ist laut Martin Rapaport, Gründer und Herausgeber des Rapaport Diamond Report und einer der führenden Branchenexperten, auch nicht so rasch mit einer Besserung zu rechnen. Als Konsequenz der ungünstigen Marktlage haben De Beers und andere Minenunternehmen Auktionen abgesagt bzw. generell weniger Diamanten angeboten, und Indien hat vor Kurzem einen zweimonatigen Importstopp verhängt.

Die Ursachen der Misere sind mannigfaltig. „Schuld ist eine geringe Nachfrage”, so Stefan Nikl, Präsident des Diamant Club Wien. „Einerseits schwächelt die Weltwirtschaft, und es gibt eine hohe Inflation, andererseits ist die wirtschaftliche Entwicklung der größten Abnehmer, USA und China, sehr schwach.” Auch die Veränderungen in der geopolitischen Lage tragen zu einer erheblichen Verschiebung der Marktdynamik bei. „Der globale Wirtschaftskrieg wird sich mittel- bis langfristig verschärfen, und das wird sich auch auf den Diamantenmarkt auswirken”, ist Rapaport überzeugt.

Schwache Nachfrage

So verhängten die USA kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Sanktionen gegen den staatsnahen russischen Diamantproduzenten Alrosa, der etwa 27% des Weltmarkts abdeckt. Allerdings betrifft der Bann ausschließlich Rohdiamanten, die ohnehin nicht direkt aus Russland in die USA importiert wurden. Russische Edelsteine, die den üblichen „Umweg” über Schleifbetriebe in Indien, Isreal oder Belgien nehmen, konnten weiterhin legal die US-Grenzen passieren.
Die G7-Staaten und die EU prüfen zurzeit technische und rechtliche Möglichkeiten, um russische Diamanten – egal ob roh oder geschliffen – aus dem internationalen Handel zu verbannen. Eine rasche Entscheidung ist eher unwahrscheinlich – einerseits wegen der unterschiedlichen nationalen Interessen, andererseits (wie De Beers-CEO Al Cook in einem offenen Brief an die Vertreter der G7 betont) wegen der Komplexität des Themas: „Jeder Rahmen muss praktikabel sein und darf die Diamantenexporte aus Produktionsländern außerhalb Russlands nicht beeinträchtigen. Insbesondere muss jeder Rahmen für die Einfuhr von Diamanten die Arbeitsplätze, Unternehmen und Existenzgrundlagen schützen, die die Wirtschaft der Diamanten produzierenden afrikanischen Länder aufrechterhalten. Außerdem müssen wir realistisch sein, was die derzeitigen Möglichkeiten technologischer Lösungen angeht. De Beers hat die weltweit führende Blockchain für Diamanten, Tracr, entwickelt, aber selbst wir erkennen an, dass keine einzelne technologiebasierte Plattform heute in der Lage ist, die Anforderungen der G7 zu erfüllen. In naher Zukunft kann die Technologie einen Rahmen unterstützen, aber sie kann nicht der Rahmen sein.”

Natur vs. Labor

„Das Hauptproblem jedoch sind Labordiamanten, die immer öfter Naturdiamanten in Schmuckstücken ersetzen”, ist Rapaport überzeugt. „Die Umstellung der Verbraucher auf synthetische Diamanten wird beständig und langfristig sein, nicht wie die wirtschaftlichen Bedingungen, die kommen und gehen”, fügt der Experte hinzu.
Die Umsätze der Labordiamanten-Branche haben sich in den vergangenen Jahren laut dem Marktforschungsunternehmen Research and Markets vervielfacht, und zwar von 700 Mio. USD im Jahr 2016 auf 14,6 Mrd. USD im Vorjahr, und bis 2030 wird mit einer weiteren Steigerung auf 21,4 Mrd. USD gerechnet.
Dafür purzeln auch bei den Labordiamanten die Preise. Vor wenigen Jahren waren sie aufgrund ihrer Seltenheit noch ähnlich teuer wie ihre natürlichen Brüder. Mittlerweile sind sie um mehr als 40% billiger – und der Abwärtstrend setzt sich weiter fort.
Vor allem in China gibt es große Fabriken, die mit niedrigen Herstellungs- und Lohnkosten sowie Umwelt- und Arbeitsschutz-Standards den Weltmarkt mit günstiger Massenware überschwemmen. Für die Hersteller in den USA oder Kanada erhöht sich damit der wirtschaftliche Druck. WD Lab Grown Diamonds, der zweitgrößte US-Hersteller von Labordiamanten, konnte dem nicht mehr standhalten und musste vor wenigen Wochen Insolvenz anmelden.
Labordiamanten sind physikalisch gesehen „echte” Diamanten, ihren Weg in die Schmuckindustrie haben sie aber erst vor wenigen Jahren gefunden, als durch die Weiterentwicklung der Herstellungsverfahren Größe und Qualität gestiegen sind. Der zurzeit größte, geschliffene und vom International Gemmological Institute (IGI) zertifizierte Lab-grown Diamond ist der „Pride of India” mit einem stattlichen Gewicht von 30,18 Carat und in der Topqualität H VS2.

Kuckucks-Diamanten

Eine Unterscheidung von natürlichen und künstlich hergestellten Diamanten ist erst seit relativ kurzer Zeit und auch nur mit speziellen und teuren Prüfverfahren möglich, die längst noch nicht flächendeckend im Einsatz sind. Dass aus reiner Profitgier die günstigen Synthesen unter Naturdiamanten geschmuggelt werden, wundert nicht – in den letzten Jahren gab es etliche Skandale rund um Großhandelspakete, die beide Produktgruppen enthielten.
„Die großen Diamantenhändler haben alle inzwischen Screening-Geräte, die Chargen mit 1.000 Diamanten, auch mit geringer Karatzahl, etwa 0,01 Karat, prüfen können. Sie sortieren natürliche Diamanten und solche, die kein eindeutiges Ergebnis zeigen. Keines dieser Geräte kann synthetische Diamanten erkennen – es kann nur natürliche Diamanten von Typ IIa-Diamanten trennen, und diese können natürlich oder synthetisch sein. Die nicht eindeutig als natürlich identifizierten Diamanten werden als Labordiamanten gehandelt. Bei Melee-Ware macht eine Weiteruntersuchung finanziell keinen Sinn, daher werden fragliche Diamanten als synthetisch aussortiert. Um Sicherheit zu gewährleisten, ist, zumindest derzeit, menschliche Intelligenz und Erfahrung vonnöten”, erklärt Clemens Schwarzinger, Leiter des Center for Scientific Gemmology an der Johannes Kepler Universität in Linz und ein renommierter Edelstein-Experte.
Etliche namhafte Hersteller von Labordiamanten kennzeichnen ihre Ware, um Betrügereien vorzubeugen, beispielsweise durch winzige Hologramme; um Verwechslungen zu verhindern – ob unabsichtlich oder bewusst –, reicht das aber längst nicht aus.

Hochkarätig ist nicht …

In wirtschaftlich schwierigen oder zumindest ungewissen Zeiten ist ein günstiger Preis für viele Kunden ein relevantes Kaufargument – insbesondere in den USA, dem weltweit größten Abnehmer von geschliffenen Diamanten. Eine Umfrage der amerikanischen Hochzeitswebsite „The Knot” ergab, dass bereits 2021 fast ein Viertel aller verkauften Verlobungsringe einen künstlich hergestellten Stein enthielten, die Schätzungen für 2022 liegen bei rund der Hälfte.
„Österreich ist ein traditioneller Markt und eher vorsichtig bei neuen Entwicklungen oder neuen Produkten”, erklärt Stefan Nikl. „Speziell bei Diamanten ist den Kunden eine gewisse Wertstabilität wichtig, die viel mehr mit Naturdiamanten als mit Synthetics verbunden wird.”
Doch auch in aufgeschlosseneren Märkten ist eine gewisse Rückkehr zum Naturdiamanten erkennbar. Die Gewinnspanne der Juweliere betrug 2022 laut Rapaport 24% für den natürlichen Diamanten gegenüber 83% für den synthetischen Stein. Durch den starken Preisverfall sind Lab grown-Diamanten aber trotzdem weniger rentabel. Im August 2023 kostete ein Ein-Karat-Minendiamant etwa 5.185 USD, ein synthetischer gleicher Qualität hingegen nur mehr 1.425 USD, berichtet das amerikanische Nachrichtenportal Quartz.

… gleich hochwertig

Ein weiterer Aspekt ist die Qualität des Schliffs. Neben den berühmten drei Cs „Carat/Clearity/Colour” ist der Schliff ein wesentliches Kriterium für das optische Erscheinungsbild und den Wert eines Diamanten. Insbesondere günstige Labordiamanten sind oft hochkarätig, haben eine tadellose Farbe, einen hohen Reinheitsgrad, aber einen minderwertigen Schliff, was sie im Vergleich zu einem physikalisch gleichwertigen, aber besser geschliffenen Naturdiamanten optisch verblassen lässt.
Dies ist jedoch Endverbrauchern zumeist ebenso wenig bewusst wie die mangelnde Wertbeständigkeit der Synthesen. Rapaport sieht hier auch den Schmuckhandel in der Pflicht und bereitet daher eine Petition vor, in der die Federal ­Trade Commission (FTC) aufgefordert wird, Juweliere zu verpflichten, beim Verkauf von Labordiamanten-Schmuck auf diesen Umstand explizit hinzuweisen.

Umwelt-Problematik

Ein oft zugunsten synthetischer Diamanten vorgebrachtes Argument ist neben dem attraktiveren Preis das Thema Nachhaltigkeit. Auf den ersten Blick scheinen sie tatsächlich umwelt- und ressourcenschonender und sozial verträglicher als Naturdiamanten zu sein. Doch das ist nicht immer richtig. Neben der US-amerikanischen Diamond Foundry, die ihre Reaktoren zu 100% mit Wasserkraft aus dem Colorado River betreibt und unter anderem die deutsche Schmuckmarke Diavom beliefert, oder der israelischen Lusix, die ausschließlich Solarenergie verwendet, arbeiten die chinesischen Produzenten meist mit Kohlestrom.
Da Nachhaltigkeitsaspekte bei Kaufentscheidungen eine immer größere Rolle spielen, setzt auch die Naturdiamanten-Branche in ihrer Kommunikation verstärkt auf dieses Thema, informiert in Kampagnen über Umwelt- und Artenschutzprojekte an den Minenstandorten oder stellt die wirtschaftliche und soziale Funktion der Diamantenförderung – vor allem in Afrika – in den Fokus.
Daneben investiert die Branche auch viel in neue technische Methoden, um die Herkunft der Edelsteine bis hin zu Mine nachverfolgbar zu dokumentieren. Zudem soll jetzt auch der Kimberly Process um soziale und ökologische Aspekte ergänzt werden. Bisher betrifft die Zertifizierungen ausschließlich die Herkunft von Naturdiamanten, unabhängig von der Art und Weise ihrer Förderung, und schließt nur solche aus dem Handel aus, die zur Finanzierung von Bürgerkriegen dienen. Russlands ist daher immer noch Mitglied des Kimberly Process.

Fairtrade Diamonds

Abseits der großen Minen gibt es bereits etliche Projekte von fairer, sozial gerechter und umweltverträglicher Diamantgewinnung. Ein Beispiel dafür ist das österreichische Unternehmen Benedikt Diamonds. Benedikt Lufua, Gemmologe und Österreicher mit kongolesischen Wurzeln, bezieht seine Diamanten direkt aus kleinen Minen, in denen ausschließlich mit umweltfreundlichen Methoden wie Spitzhacke, Schaufel & Sieb gearbeitet wird. Der direkte Zugang zur Quelle ermöglicht eine 100%ige Rückverfolgbarkeit und stellt sicher, dass die Diamanten konfliktfrei geschürft sind. Von dem Preis, der 30% höher liegt als jener konventionell gewonnener Edelsteine, profitieren vor allem die Diamantensucher.
Ein Millionen Jahre alter Diamant, geformt durch die Kräfte der Natur, aus den Tiefen der Erde geborgen, hat eine ganz andere (symbolische) Strahlkraft als ein Labordiamant. Das ist auch vielen Juwelieren bewusst. Eine Umfrage von Rapaport bei amerikanischen Juwelieren hat ergeben, dass selbst etliche, bei denen Labordiamant-Schmuck einen maßgeblichen Umsatzanteil ausmacht, dies nicht gerne an die große Glocke hängen. Sie fürchten einerseits Kritik von Mitbewerbern oder Repressionen von Lieferanten, die ausschließlich die teureren Naturdiamanten anbieten, und andererseits auch einen Image- und Vertrauensverlust bei ihrer bestehenden Kundschaft.

Luxusmarken entdecken …

Auf der anderen Seite gewinnen die Synthesen, oft liebevoll „Manufakturdiamanten” genannt, was in den Köpfen der Konsumenten positive Emotionen weckt, sowohl in der Schmuck- als auch in der Uhrenbranche immer mehr Freunde. Breitling lancierte im Rahmen seiner mission to do better-Nachhaltigkeitsstrategie die beiden neuen 36- und 32 mm-Modelle der Navitimer mit Labordiamanten. Die Edelsteine sind zu akkreditierten Produzenten rückverfolgbar und entsprechen den SCS-007 Nachhaltigkeitsstandards für Diamanten. Auf den von Oris heuer vorgestellten Aquis Diamond-Modellen funkeln ebenfalls künstlich hergestellte Edelsteine.
Auch Prada verwendete in der neuen Eternal Gold-Kollektion ausschließlich Manufakturdiamanten, die speziell gezüchtet und in der Form des ikonischen, dreieckigen Prada-Logos geschliffen wurden. Bis zum Jahresende will die italienische Luxusmarke die gesamte Schmuckkollektion auf Labordiamanten umstellen.
Und auch andere Luxusmarken haben keine Berührungsängste mit den künstlich geschaffenen Edelsteinen. Der zur LVMH-Gruppe gehörende französische Nobeljuwelier Fred präsentierte kürzlich die limitierte Haute Joaillerie Force 10 Duality-Kollektion, in der natürliche und synthetische Diamanten im markeneigenen Fred-Hero-Schliff und zertifiziert vom Gemological Institute of America (GIA) miteinander kombiniert sind.

… die funkelnden Synthesen

TAG Heuer hatte bereits im Vorjahr mit der „Carrera Plasma” den ersten Luxus-Zeitmesser mit Labordiamanten vorgestellt, heuer folgten weitere Modelle, darunter die Plasma Diamant d’Avant-Garde mit einem rosafarbenen 2,5-Karäter als Krone und einem in Logo-Form geschliffenen rosa Diamanten auf dem polykristallinen Diamantzifferblatt.
Dem Beispiel werden vermutlich noch weitere Schwestermarken folgen, schließlich hat die Gruppe über LVMH Luxury Ventures 2022 in den israelische Lab-grown Diamond Hersteller Lusix investiert.
De Beers ist mit der Marke Lightbox selbst seit einigen Jahren im Labordiamanten-Business tätig, nahm die heuer neu gelaunchte Verlobungs-Linie aber nach einer Testphase am US-Markt wieder aus dem Programm. Als Grund wurde genannt, dass man die Geschäftsaussichten in diesem Segment als nicht ausreichend lukrativ ansieht.
Rapaport geht davon aus, dass die Positionierung echter Diamanten als Luxusprodukt langfristig deutlich gestärkt werden werde und gerade im Sektor der Verlobungsringe Natur gegen Labor punkten kann. Die Zukunft der künstlich hergestellten Konkurrenz sieht er vor allem im Sektor der Fashion Jewellery.
Das bestätigt auch der österreichische Schmuckkonzern Swarovski, der im großen Stil mit Labordiamanten den Schmuckmarkt erobern möchten. „Laborgezüchtete Diamanten werden in der Zukunft der Diamantenkategorie eine bedeutende Rolle spielen und stellen eine strategische Wachstumskategorie für Swarovski dar”, erklärt CEO Alexis Nasard.
Auch das dänische Schmuck­label Pandora möchte die Regeln für ­Diamantschmuck neu schreiben und wirbt dafür mit veränderten Kult-Slogans. So heißt es nun anstatt „Diamonds are a girl’s best friend” – „Diamonds are everyone’s best friend” und „Diamonds on ring fingers” wurde durch „Diamonds on every finger” ersetzt.
Schmuck-Labordiamanten sind also gekommen, um zu bleiben – als bereicherndes Element und nicht als Ersatz für Naturdiamanten.

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