Auf kalkulierten Fluchtrouten
MARKETING & MEDIA Redaktion 17.11.2023

Auf kalkulierten Fluchtrouten

Wenn die Nachrichtenvermeidung seltsame Blüten treibt, ist das wirklich kein Wunder.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

ESKAPIERT. Lesen Sie Science-Fiction-Romane, historische Schwerpunktmagazine, populärwissenschaftliche Abhandlungen und Graphic Novels? Haben Sie zuletzt neue Sender abonniert – Discovery Channel, History, Geo, Spiegel Geschichte, National Geographic, Eurosport, Fix & Foxy TV? Tischlern Sie nach YouTube-Anleitung, erstellen spektakuläre TikTok-Videos und sind absoluter Opinion Leader in Ihrem Telegram-Kanal zum Thema „Nein zum veganen Burger!”? Kochen Sie seit Kurzem zwischendurch gern einmal traditionell usbekisch? Würden Sie sich für die blaue Pille entscheiden (© Matrix)?

„Realitätsflucht” trendet nicht nur in Privatgesprächen. Wunder ist es keins. Die geopolitische Lage ist zum Davonlaufen, die innenpolitische auch. Die vier apokalyptischen Reiter, Pest, Krieg, Teuerung, Tod, haben wir weitgehend durch. Nach den diversen Plagen (Frösche, Ungeziefer, Viehseuchen, Hagel, Heuschrecken usw. usf.) mussten wir uns noch nie besonders intensiv umsehen – und der Alltag war auch schon einmal einfacher zu bewältigen in unseren Breiten. „Eskapismus ist das Gegengift zur Wirklichkeit und wird nur gebraucht von jenen, die an dieser Wirklichkeit auch teilnehmen”, heißt es in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung. Wenn man aber nicht mehr teilnehmen will, nutzt man kalkulierte Fluchtrouten. Ob das gut oder schlecht ist für Herz, Seele und politische Teilhabe, möge jeder für sich selbst entscheiden. Das Reuters ­Institute in Oxford betitelte in seiner Prognose „Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2023” die Nachrichtenvermeidung als Hauptsorge der befragten Führungskräfte aus dem Medienbereich.

Jedoch wird in der Medienpsychologie der Eskapismus traditionell und seit gut 60 Jahren als wichtiges Motiv der Mediennutzung und als granitenes Fundament der Branche gehandelt. Der weltweite Erfolg des „Barbie”-Films wurde großteils dem Drang zur Flucht in pinke Paral­lelrealitäten zugeschrieben. Ergo: Schwarz­malerei ist auch keine Lösung. Rosa ist besser.

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