„Daten und Kreativität sind kein Entweder-oder”
© BBDO Wien/Michael Inmann
MARKETING & MEDIA Redaktion 15.12.2023

„Daten und Kreativität sind kein Entweder-oder”

Jana David-Wiedemann, CEO BBDO Group, erklärt, warum sich faktenbasierte Analyse und Intuition gut ergänzen.

••• Von Britta Biron

Big Data hat in Marketing und Werbung längst Fuß gefasst, aber diese Entwicklung wird nicht nur positiv gesehen. Hauptkritikpunkt ist, dass ein zu starker Fokus auf die Analytik die Kreativität behindern würde. Im Gespräch mit medianet erläutert Jana David-Wiedemann, CEO der BBDO Group Kreativagenturen GmbH, warum diese Sorge unbegründet ist und faktenbasierte Analyse und Kreativität sogar sehr gut zusammenpassen.


medianet:
Bei allem, was man rund um Data Driven Marketing hört und liest, drängt sich ein wenig der Eindruck auf, Marketingstrategien und Werbekampagnen wären in der vordigitalen Ära aus dem Bauch heraus entwickelt worden. Es scheint vergessen oder verdrängt zu werden, dass man auch damals Daten genutzt hat – die lagen halt in analoger Form vor und waren sicher auch nicht so umfangreich. Liegt der Unterschied zu früher also eher in der Art und Menge der Daten, oder ist Data Driven Marketing doch ein neuer Ansatz?
Jana David-Wiedemann: Die Werbung als auch die Menschen, für die wir es machen, haben sich in den letzten 100 Jahren deutlich verändert – nicht nur, weil wir uns zivilisatorisch weiterentwickelt haben, sondern weil uns auch deutlich mehr Möglichkeiten für die Kommunikation zur Verfügung stehen.

Seit Bestehen der BBDO, seit Mitte der 70er-Jahre auch hier in Österreich, ist es ein absolutes Fixum und Teil unserer DNA, dass wir strategisch denken und arbeiten – also auf eine psychologisch fundierte Kreativität setzen. Und wenn man zurückschaut, sieht man natürlich, dass wir früher auch auf Daten zurückgegriffen haben, die sich sehr, sehr stark eher aus Befragungen von Menschen gespeist haben – Stichwort klassische Marktforschung. So wie sich die Möglichkeiten der Kommunikation durch die Digitalisierung verändert und vergrößert haben, trifft das auch auf die Erfassung und Nutzung von Daten zu. Das geht Hand in Hand.


medianet:
Hat das auch Auswirkungen auf die Qualität? Bringen mehr Daten über Marken und Zielgruppen generell bessere Ergebnisse?
David-Wiedemann: Mehr Daten ermöglichen uns, konkreter in eine Thematik hineinzuschauen oder auch Dinge gleich zu Beginn auszuschließen. Daten und Kreativität sind kein Entweder-oder, im Optimalfall kann Kreativität durch Daten wirklich inspiriert werden. Das Entscheidende ist, dass wir die Daten auch richtig verstehen. Also wir müssen sie methodisch betrachten: Wer hat die Daten erfasst und warum? Passen diese Daten überhaupt zu unserer Aufgabenstellung? Helfen sie, eine Zielgruppe möglicherweise besser zu verstehen und daraus einen Kontext abzuleiten, der für die Kreation relevant ist? Und dann ist es natürlich ein absoluter kreativer Akt, diese Erkenntnisse in Inhalte zu übersetzen, die von den Menschen gern gehört und gesehen werden. Wenn wir uns anschauen, wie sich Information verändert hat, ist das umso wichtiger. Und beim Lesen von Daten, auch wenn das noch so faktenbasiert und objektivierbar ist, spielt trotzdem genauso wie in der Kreation die Intuition, das Bauchgefühl, eine wichtige Rolle.

medianet:
Trifft das auch schon auf die Entscheidung zu, welche Daten verwendet werden?
David-Wiedemann: Natürlich. Ich muss auf Basis von Erfahrungen, von Kontexten Daten in Relation stellen – zu Beobachtungen, zu früheren Messungen, zu Befragungen, aber unbedingt auch zum Bauchgefühl und einer Intuition. Die Quelle der Kreativität ist es, dass man die Dinge anders sieht, dass man sie neu interpretiert.

Und Daten helfen für die Relevanz. Wir haben mehr Menschen, mehr Aufgaben, mehr Möglichkeiten und müssen dabei umso präziser sein. Und zwar nicht nur, um eine Strategie aufzubauen, sondern auch bei der Erfolgsmessung. Wir befinden uns in einer Endlosschleife, in der sich Hard Facts aus Daten und Kreativität in einem gemeinsamen Spiel immer wieder ausbalancieren.


medianet:
Dinge in einen neuen Zusammenhang zu bringen, da denke ich aber auch an KI; die kann Muster und Zusammenhänge in Daten erkennen, die Menschen vielleicht übersehen.
David-Wiedemann: Natürlich kann eine KI Muster erkennen. Ob sie das besser als Menschen kann, weiß ich nicht, schneller auf jeden Fall. Aber die Frage ist eine andere: Was macht sie damit? Nichts. Da braucht es uns als Menschen, da braucht es unsere linke Hirnhälfte, die viel mit Bauchgefühl, mit Intuition zu tun hat, aber auch mit moralischem Denken, um das Ganze dann auch wieder in unserer realen Welt in den richtigen Kontext zu setzen und daraus Kommunikation zu entwickeln, die wirklich spannend ist, die ihre Aufgaben erfüllt, die effektiv ist.

medianet:
Ist das Wechselspiel aus Kreativität und Daten, das Sie vorhin angesprochen haben, weitgehend unabhängig von der Branche oder der konkreten Aufgabenstellung oder gibt es Unterschiede?
David-Wiedemann: Branchen und Produkte haben vielleicht unterschiedliche Schwerpunkte, trotzdem verfolgen wir immer die holistische Herangehensweise. Unterscheiden können sich aber die Methoden der Datengenerierung und natürlich die Menge an Daten. Es gibt Unternehmen, die sind sehr stark performanceorientiert und machen immer wieder Verhaltens- und Trackingmessungen. Und es gibt Unternehmen, die haben weniger Datenmaterial oder setzen weniger auf harte Fakten, sondern zum Beispiel auf Trend­analysen, die zeigen, welche Themen die Menschen im Moment generell berühren.

medianet:
Abgesehen von den Daten der Kunden, welche weiteren kommen noch zum Einsatz?
David-Wiedemann: Bei der BBDO arbeiten wir gerne mit Trend Reports des Zukunftsinstituts, die ja sehr viele Themenbereiche betreffen. Weitere Quellen, die für uns relevant sind, weil sie viele Daten und Fakten liefern können, sind öffentliche Online-Datenbanken. Und dann haben wir durch die Zusammenarbeit mit unseren Kollegen bei der BBDO AG in London noch ein besonderes Tool – einen Hub, der aus weltweiten Datenquellen eigene Behavioral-Trends und Industrie-Trends zusammen stellt. Diese liefern internationale Perspektiven und sind häufig mit Kommunikationsbeispielen verknüpft. Und das ist für uns eine sehr wertvolle Quelle, um Menschen und Branchen besser zu verstehen und Anhaltspunkte für unsere eigene Arbeit zu bekommen.

medianet:
Kann man sich diese Studien als Metaanalysen vorstellen?
David-Wiedemann: Das ist wahrscheinlich ein ganz passender Begriff, weil sie aus den unterschiedlichsten Quellen unter konkreten Fragestellungen – vor allem im Hinblick auf Kommunikation – entstehen.

medianet:
Ist es ein Problem, dass Österreich als relativ kleiner Markt in internationalen Reports selten abgebildet ist?
David-Wiedemann: Da muss man unterscheiden, ob es Kunden betrifft, die wir vorrangig nur in Österreich betreuen, wie zum Beispiel Billa, oder solche, die wir auch in anderen Märkten begleiten, wie etwa Wiener Zucker. Die Reports der BBDO AG basieren zwar meist auf internationalen Daten, können für uns aber natürlich hier und da für Österreich selektiert werden. Außerdem können wir sehr wohl auch internationale Entwicklungen als Inspiration dafür sehen, welche Trends für den österreichischen Markt relevant sind. Natürlich gibt es unterschiedliche Kulturen, und vielleicht haben Marken und Unternehmen auf den verschiedenen Märkten auch unterschiedliche Ausprägungen oder ein besonderes Standing, aber im Kern ist das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten recht ähnlich. Daher lassen sich Ableitungen aus internationalen Perspektiven sehr gut für Österreich anwenden.

medianet:
Liegt das auch daran, dass durch die Digitalisierung die jüngeren Zielgruppen über Ländergrenzen hinweg immer ähnlicher werden?
David-Wiedemann: Die jungen Zielgruppen sind in einer globalisierten Welt aufgewachsen. Das World Wide Web hat ihnen alle Möglichkeiten gegeben, nicht nur in Österreich zu denken, sondern auch eine Internationalität zu haben, die in vielen Lebensbereichen sichtbar ist, zum Beispiel in der Sprache. Daraus entstehen neue Verhaltensweisen und die sind natürlich für uns die Grundlage in der Kommunikation.

medianet:
Wird die Bedeutung von Daten weiter zunehmen bzw. mit welcher Entwicklung rechnen Sie in der Zukunft und was sind dabei die wichtigsten Herausforderungen?
David-Wiedemann: Ich bin überzeugt davon, dass wir künftig noch mehr Daten zur Verfügung haben werden. Die Herausforderung wird sein, dass wir aus der wachsenden Fülle von Daten trotzdem sehr fokussiert unsere Erkenntnisse ziehen. Wir müssen daher lernen, besser damit umzugehen, um – ich sage es ganz simpel – auch nicht in den Daten zu ersticken. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Was wollen wir? Ein paar Hypothesen aufstellen und dann entsprechend mit den Daten, den Datenmengen umgehen. Gleichzeitig wird die wachsende Datenmenge unheimlich viele Chancen bieten, auch neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und darum ist es für uns essenziell, dass wir mit Daten arbeiten, Daten ernst nehmen, aber auch sehr gut darüber informiert sind, was Daten bedeuten können, wofür sie nützlich sein können und wofür nicht. Man muss Daten nicht immer und um jeden Preis nutzen. Denn nicht jeder Fakt ist relevant.

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