Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
VERWÄHLT. Aus gegebenem Anlass drehen wir das Rad um gut 100 Jahre zurück: Die erste Nationalratswahl in der Geschichte Österreichs fand am 17. Oktober 1920 statt – allerdings in Etappen. In Kärnten wurde sie im Juni 1921 nachgeholt, weil in Südkärnten noch die Entscheidung über die Zugehörigkeit ausstand. Im Burgenland, das erst im November 1921 endgültig an Österreich heranrückte, ging die Wahl am 18. Juni 1922 über die Bühne.
An die 20 Parteien stritten per Plakatflächen um die Wählergunst. „Ganz Wien war eine Plakatausstellung, zum Teil lagen die Flugblätter knöchelhoch auf den Straßen der Städte”, beschreibt es Autorin und ÖNB-Referentin Marianne Jobst-Rieder („Politische Plakate in Österreich im 20. Jahrhundert”). Da möge sich jemand über den Dreieckständer-Wald auf der Wiener Ringstraße beschweren …
Wahlgewinner war die Christlichsoziale Partei; den zweiten Platz errang die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutsch-österreichs. Als – grafisch teils drastisch dargestellte – Feindbilder dienten Juden und Steuern, Kapitalisten und Pfarrer, die Habsburger-Krone – und der Krieg. Berichtet wurde in Arbeiter-Zeitung, Der Morgen, Deutsches Volksblatt, Illustrirtes Wiener Extrablatt, Kronen Zeitung, Linzer Volksblatt, Neue Freie Presse … die Presselandschaft war mindestens so lebendig wie die Plakatszene.
Mit „Zurückhaltung bei den Werbeausgaben” bilanzierte jetzt Focus Research seine Analyse der Wahlwerbung 2024: Die Gesamtinvestitionen der politischen Parteien für die Nationalratswahl seien im August und September geringer ausgefallen als in den Wahlperioden zuvor.
Interessantes Detail: Noch immer dominiert die Außenwerbung das Werbegeschehen, zumindest in den klassischen Medien. Die Messages der Parteien sind heute politisch korrekter als anno dazumal; allein die FPÖ schaffte mit einer Anleihe beim Vaterunser („Euer Wille geschehe”) einen, wenn auch kleinen, Eklat. Am Sonntag ist es so weit. Eine Wahlkampf-Retrospektive lesen Sie ab Seite 12 der aktuellen Ausgabe.