••• Von Oliver Jonke und Georg Sander
Der Handel steht vor vielen Herausforderungen, und die Politik müsste anders, besser, mit der Branche umgehen. Rainer Will ist als Geschäftsführer des Handelsverbands dessen Sprachrohr und formuliert klar, was es braucht. Er war zu Gast bei den retail.conversations bei medianet-Herausgeber Oliver Jonke.
Der Handel war nicht immer laut. Vor acht Jahren kam Will in seine Position. Seitdem vertritt er deutlich hörbar die Positionen der 4.000 Mitglieder mit 25.000 Standorten. Insgesamt geht es um die Interessen von 400.000 Menschen. Damit repräsentiert der Handelsverband rund die Hälfte der Beschäftigten im Handel insgesamt. Die Mitgliedschaft ist freiwillig.
Persönlicher Zugang
Rainer Will hat einen persönlichen Zugang zum Thema Handel – warum ihm die Branche so am Herzen liegt? „Ich komme aus einem Familienunternehmen mit Handelsbezug. Wir haben in Schladming eine Tischlerei und ein Möbelhaus geführt; durch meine berufliche Entwicklung habe ich auch die Wirtschaftspolitik kennengelernt. Neben Gewerbe und Handwerk ist der Handel einer der größten Arbeitgeber, mit Relevanz für jeden Ortskern und die regionale Wertschöpfung, aber politisch ein Stiefkind.” Es brauchte aus seiner Sicht einen unabhängigen Verband: „Man muss Klartext sprechen.”
Abgrenzungen
Der große Unterschied zwischen Handelsverband und Wirtschaftskammer ist aus seiner Sicht, dass die Politik im Verband keinen Einfluss habe: „Wir haben keine Politiker in unseren Reihen, sind auf äquidistanter Position gegenüber Regierung und Opposition.” Nur Vorteile habe es nicht, keine Politiker in den Reihen zu haben, aber es erleichtere die Abstimmung, da man nicht auf solche Befindlichkeiten Rücksicht nehmen müsse.
Dennoch gilt es, unterschiedlichste Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen – von den großen nationalen Playern hin zu den kleinen Unternehmen, stationär und online. Was diese eint? „Die Benachteiligung betrifft sowohl den kleinen Nahversorger, als auch einen Internet-Einzelhändler.” Ein Beispiel: Während der Coronakrise wurde verhandelt, politisch aber anderes umgesetzt.
Dahinter stehe das System, dass in Österreich stets die Exportorientierung das Credo sei, Stichwort: Jeder zweite Euro wird im Export verdient. Dass aber der erste Euro in Österreich verdient wird, das „wird da oft nicht erwähnt. Dahinter steht ein mächtiger Außenwirtschaftsapparat als Exportpromotionagentur.” Diese drehe sich stark um die Industrie. Die Industriellenvereinigung habe gewisse Themen eben früh durchschaut. „Mein Anspruch ist es, das auf die gleiche Ebene zu heben”, meint Will. „Wir haben viel geschafft, es ist aber noch viel zu tun.”
Probleme der Vergangenheit
Gerade das neue Jahr zeige, dass es hierbei einiges braucht. Zwar sei die Branche „verhalten optimistisch”, aber man müsse von einer Stagnation ausgehen; die Bevölkerung brauche noch einige Monate, bis die Teuerungen verdaut sind. Positiv sei auf jeden Fall, dass die KV-Abschlüsse hoch ausfielen. Das koste zwar zunächst, werde aber gegen Mitte des Jahres in den Aufschwung führen – vor allem dann, wenn sich die Märkte international beruhigen.
Zwei Zahlen zeigen hier, warum Optimismus angebracht sein könnte: Die Supply-Chain-Probleme verringerten sich. 2022 waren noch 84% der Händler von Lieferkettenproblemen betroffen, nun nur noch 17%. Es werde aber – auch wenn sich die Lage wieder stabilisiert habe und es Staatshilfen gebe – dennoch die eine oder andere Pleite geben.
Eine gewisse Schuld treffe den Staat selbst. Zwar habe man propagiert, niemand werde zurückgelassen, aber rund 30% der Betriebe müssen Cofag-Hilfen retournieren – auch, so Will, weil im März 2022 nachträglich Richtlinien geändert worden seien, auf die man sich für 2020 und 2021 verlassen hatte: „Die Rückforderungen kommen jetzt, wo die Teuerung voll durchschlägt.” Es sei auch eine Haftungsfrage, weil die Bilanzen so dann nicht mehr stimmen würden, wegen der Änderungen und aufgrund von OGH-Urteilen. So könne es auch rechtlich für Geschäftsführer relevant werden.
Aber: „Die Händler haben im besten Wissen und Gewissen versucht, die Schadenminderungspflicht einzuhalten. Der Vertrauensgrundsatz der Republik wurde aus unserer Sicht gebrochen. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig.” Er hofft auf Augenmaß.
Arbeitsmarktfragen
Trotzdem müsse man in die Zukunft blicken. Auch 2023 braucht es den Staat, etwa in Sachen Energiekostenzuschuss, um die gestiegenen Kosten zu lindern. Selbst tue man schon viel: „Wir machen viel hinsichtlich Effizienz und Nachhaltigkeit, haben Ratgeber dazu herausgegeben, unterstützen Innovation und haben einen Sustainability Report erstellt.”
Mittel- und langfristig gehe es im beschäftigungsintensiven Bereich Handel um die Arbeitsmarktreform. Diese wurde bekanntlich 2022 abgesagt – und es gibt trotz der erwähnten guten KV-Abschlüsse 14.000 Stellen zu besetzen. Mit einem Vorurteil will er aufräumen: „Wir sind keine Billiglohnbranche, haben auch bei niedrigen Einkommen und Lehrlingen oftmals zweistellige Prozenterhöhungen umgesetzt.” In der Praxis werde oftmals auch überbezahlt, und die Arbeitgeber versuchen, Angestellte zu Vollzeitarbeit zu motivieren. Allerdings gebe es verschiedene Gründe, warum die Angestellten das nicht wollen. Etwa, weil man nicht darauf angewiesen ist oder Betreuungspflichten dies nicht zulassen.
Das Recht auf eine angemessene Kinderbetreuung ist in dem Zusammenhang ein großes Anliegen des Handels, nicht nur, aber auch, weil 72% der Beschäftigten Frauen sind. Warum es diese nicht gibt? „Die Umsetzung hinkt in Österreich immer den Versprechungen hinterher. In der Realität gibt es nicht einmal in Ballungszentren ausreichend Kinderbetreuungsplätze.”
Bei den Jüngeren gehe es indes darum, dass eine „Generation Geringfügig” heranwachse, die mit Arbeitslosengeld und Geringfügigkeit sowie Teuerungsprämie ähnlich verdient wie jemand, der 38,5 Stunden arbeitet: „Vollzeit muss steuerlich so attraktiv sein wie Teilzeit.” Auch bei Älteren müssten mehr Menschen einfacher arbeiten können. Derzeit gehe das nur in geringfügigen Arbeitsverhältnissen: „Es ist ihnen verboten, mehr zu arbeiten. Dabei wäre es eine Win-win-Situation: Ein super Zuverdienst und die Händler hätten erfahrene Arbeitskräfte.” Aus Branchensicht ist das auch bitter notwendig: 45% der Handelsunternehmen beklagen, dass sie zu wenig Personal haben.
Errungenschaften
Zwar gibt es viele Herausforderungen – die Arbeit des Handelsverbands führt aber auch zu Verbesserungen: 2019 erreichte man durch eine Beschwerde bei der Bundeswettbewerbsbehöre, dass Amazon acht wesentliche Punkte der AGB des Marktplatzes ändert, die zuvor heimische Händler benachteiligten. Durch den Handelsverband fiel nach sechsjährigem Kampf am 1. Juli 2021 die sogenannte 22-Euro-Freigrenze, durch die Drittstaaten wie China u.a. keine Einfuhr-umsatzsteuer zahlen mussten, das Paketvolumen aus China sank danach um 50%. Oder: Mittlerweile müssen alle Händler eine ARA-Gebühr zahlen, wie alle hier Produzierenden auch. Darauf hofft man auch hinsichtlich des Arbeitsmarkts.
Auch was die Teuerung betrifft, sieht sich der Handelsverband an der Seite der Konsumenten. Etwa, wenn vor allem internationale Konzerne hohe Gewinne veröffentlichen und Preisanstiege dann viel deutlicher ausfallen, als es gerechtfertigt sei. Unterstrichen wurde dieser Umstand nicht zuletzt in der Coronakrise, als allen klar wurde, welche Rolle der Handel innehat, wie wichtig er ist. Auch darüber und über spannende geplante Veranstaltungen spricht Rainer Will im Video:
Den gesamten retail conversations-Beitrag sehen Sie hier:
https://tv.medianet.at/
Redaktion TV: Andy Marada