ÖWR: Führungswechsel im Jubiläumsjahr
© Katharina Schiffl
Team Louisa Böhringer (sie steht ab ­sofort an der Spitze der ­Geschäftsstelle des ÖWR), ­Michael Straberger, Präsident des Werberats, gemeinsam mit der ehemaligen Geschäfts­führerin Andrea Stoidl.
MARKETING & MEDIA Anna Polyzoides 23.03.2018

ÖWR: Führungswechsel im Jubiläumsjahr

Präsident Michael Straberger, die ehemalige Geschäftsführerin Andrea Stoidl und ihre Nachfolgerin Louisa Böhringer über die Zukunft des Werberats.

••• Von Anna Polyzoides

Noch nie wurden so viele Beschwerden über Werbekampagnen beim Österreichischen Werberat eingereicht und so viele ÖWR-Entscheidungen getroffen wie im letzten Jahr. Der Werberat verzeichnete 2017 228 Entscheidungen der insgesamt 504 eingegangenen Beschwerden. „Die Zahlen zeigen, dass seitens der Bevölkerung die Sensibilität für Ethik und Moral in der Werbung einmal mehr gestiegen ist”, so Werberatspräsident Michael Straberger.

Mediale Aufreger

„Wir hatten 2017 einige öffentlichkeitsstarke Beschwerden zu Werbemaßnahmen, die in der breiten Bevölkerung zu großer Aufregung geführt haben, zum Beispiel die ‚Osterhöschen' zu Beginn des Jahres”, erinnert sich die bisherige ÖWR-Geschäftsführerin Andrea Stoidl: „Daraus folgend, wurde die öffentliche Diskussion über ethische und moralische Grundwerte in der Werbung angeregt und Entscheidungen des Werberats zunehmend öffentlich diskutiert. Diese waren auch Teil der medialen Berichterstattung. Entsprechend dazu hat unser Bekanntheitsgrad auch außerhalb der Werbebranche zugenommen.” Dies erkläre die steigende Anzahl an Beschwerden mit lokalen Ursprüngen, die vor allem aus den Bundesländern an den Werberat herangetragen wurden. „Durch die Publizität denken die Menschen über Themen wie Ethik und Moral nach. Bei größerer Sensibilität in der Bevölkerung muss man mit höheren Fallzahlen rechnen”, ergänzt Straberger.

Das Thema, das 2017 den meisten Anlass zu Beschwerden lieferte, war geschlechterdiskriminierende Werbung. Auch die Bereiche Ethik & Moral und rechtswidriges Werbeumfeld sind steigend, gefolgt von Beschwerdegründen „Gefährdung von Kindern und Jugendlichen”, „Gewalt”, „Rassismus” und „Gesundheit”. Eine gravierende Veränderung zeigt sich in den Mediengattungen, in denen Werbungen gezeigt werden, die zu Beschwerden führten: Zum ersten Mal finden sich Internetmedien ganz vorn, noch vor der Plakatwerbung. Mit 52 Beschwerden entfällt ungefähr ein Viertel aller Beschwerden auf den digitalen Medienkanal. „Damit ist das Internet als Fallmedium beim Werberat angekommen”, so Straberger.

„Pre-Copy-Advice”

Die steigende Sensibilität für ethische Werbung ist nicht nur in der Bevölkerung zu messen, sondern auch die Auftraggeber blicken mit einem wacheren Auge darauf: „Immer mehr Unternehmen machen von unserem Angebot des ‚Pre-Copy-Advice' Gebrauch. Im Rahmen dieser Vorbegutachtung schicken Unternehmen ihre Werbemaßnahme noch vor Veröffentlichung bzw. vor der Umsetzung. Seitens der Geschäftsstelle wird die Werbemaßnahme im Hinblick auf den Ethik-Kodex gesichtet und schließlich eine Empfehlung ausgesprochen, ob sie den Richtlinien entspricht oder nicht”, erklärt Straberger. „So sind Unternehmen jedenfalls auf der sicheren Seite und müssen – bei Beanstandung – keine zusätzlichen Produktionskosten auf sich nehmen”, so Straberger.

Steigend ist auch die Zahl der Sujetrücknahmen. „Die Reaktionen auf die Kontaktierung des Werberats sind unmittelbarer als zuvor”, weiß Straberger: „Wir messen eine hohe Fallzahl von Sujetrücknahmen, bereits dann, wenn wir werbetreibende Unternehmen auf die Beschwerde aufmerksam machen und entsprechend unserer Verfahrensordnung um Stellungnahme ersuchen. Die Einsicht bei professionellen Unternehmen ist mehr als groß, sie suchen keine Konfrontation mehr.”
„Wenn wir werbetreibende Unternehmen mit einer Beschwerde konfrontieren, dann merken wir, dass sie sich dem Vorwurf ernsthaft stellen und versuchen, eine entsprechende Entscheidung zu treffen”, ergänzt die neue Geschäftsführerin Louisa Böhringer.

Botschafter der Branche

„Besonders stolz sind wir auf unser Gremium der Werberäte und Werberätinnen, das durch das ehrenamtliche Engagement, das Verantwortungs­bewusstsein und die persönliche Expertise jedes einzelnen Mitglieds den Werberat zu einer durchsetzungsstarken und anerkannten Institution gemacht hat”, so Straberger weiter. „Als wir begonnen haben, waren wir zwölf Werberäte, heute sitzen 242 im Rat. Jeder einzelne davon ist gleichzeitig ein Botschafter unserer Idee. Dass so viele Menschen mit Interesse und Leidenschaft auf dem Arbeitsplatz, im Bekannten- und Familienkreis über Themen der Ethik und Moral diskutieren, ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für eine Non-Profit-Organisation wie uns, sich selbst Kraft zu ­geben.”

Engagiertes Team

Als Botschafter der Werbebranche gilt neben dem etablierten Rat auch der junge Werberat, der inzwischen rund 70 Mitglieder zählt. Sie treiben die Entwicklung zu einem Werberat, der im Sinne von sich selbst auferlegten ethischen und moralischen Grundwerten agiert, stetig ­voran.

„Statisch gesehen, sind junge Werberäte strenger. Auch durch ihre Ausbildung haben sie, was das sozial-gesellschaftliche Verständnis angeht, eine hohe Basis. Früher kam das Thema Wirtschaftsethik in der Ausbildung gar nicht vor”, erklärt Straberger.

Verbote verhindern

Alle Werberäte, sowohl im etablierten als auch im jungen Werberat, tragen aktiv zu einer funktionierenden Selbstregulierung in der Werbebranche bei, erklärt Böhringer: „Die Begründung einer Entscheidung wird stark aus den individuellen zusätzlichen Kommentaren der einzelnen Werberäte gespeist. Denn mit jeder Entscheidung sensibilisieren wir die Branche und regen zur Diskussion an. Das heißt: Jede Entscheidung wird die Sensibilität in der Zukunft stärken.”

Bisher sind Konflikte zwischen Auftraggeber und Agenturen wegen Werberatsentscheidungen die Ausnahme.
In den allermeisten Fällen werde konstruktiv mit Beschwerden und den Aufforderungen des ÖWR umgegangen, sagt Straberger: „Den ganzen Prozess gehen Auftraggeber und Agenturen gemeinsam, bei Beschwerden wird gemeinsam entschieden. Dass der Auftraggeber seine Agentur verklagt, das gibt es bei uns nicht. Das ist auch nicht die Idee: Wir sind ein Service für die Werbewirtschaft und verhindern durch unsere Arbeit Werbe­verbote.”
Das Wichtige sei, dass sich die gesamte Branche weiterentwickle: „Das ist für mich das Entscheidende: Dass die Leute mehr nachdenken und jeder im Kopf ein wenig weiterkommt. Durch unsere breit akzeptierte Arbeit im ÖWR entwickelt sich das Kommunikationsumfeld.”

Sicheres Werbeumfeld

Der eigenen Weiterentwicklung stellt sich der ÖWR in Zukunft mit Böhringer an der Spitze der Geschäftsstelle. Sie legt den Fokus der ÖWR-Arbeit auf die Leitthemen Konsumentenstudie und sicheres Werbeumfeld: „Wir wollen unsere Konsumentenstudie neu auflegen und eine Zeitvergleichsmessung zur letzten darstellen. Als essenziell sehe ich außerdem das Thema ­sicheres Werbeumfeld. Das ist eine Initiative, der wir neues Gewicht geben wollen”, so Böhringer.

Sie blickt gespannt auf ihre Aufgaben als neue Geschäftsführerin: „Ich freue mich auf die Aufgaben, die im zehnten Jahr des ÖWR neu bevorstehen und denen wir uns im Doppelspiel mit dem Präsidenten und unseren Vorständen stellen werden.”

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